Von „verrückten“ Grenzsteinen und Schickanierzwickeln

Falkenstein (gs) – Während draußen langsam, aber sicher der Herbst Einzug hielt, trafen sich die Mitglieder des Männergesangvereins Falkenstein (MGV) zu ihrem traditionellen „Hessischen Abend“ im gemütlichen Vereinshaus. Neben den Mitgliedern fanden auch zahlreiche Gäste ihren Weg nach „Alt Falkenstein“, unter ihnen auch Königsteins Altbürgermeister Antonius Weber. Neben der Vorfreude auf schmackhafte hessische Schmankerln wie Äppelwoi, Handkäs oder Flaaschworscht freuten sich die Gäste auf den angekündigten Vortrag von Falkensteins Lokalhistoriker Hermann Groß, der in diesem Jahr einige Schmunzelgeschichten zum Thema „Ärjer an de Grenz“ zusammengetragen hatte. Was Grenzen anbetrifft, so war es früher nicht anders als heute – es gab immer wieder Zank und Streit und nicht immer war die Beilegung dieser Streitigkeiten mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar. Noch bevor die Erzählrunde startete, erinnerte Hermann Groß an die Vorkommnisse des 9. November vor 80 Jahren, als marodierende Nazis aus Kronberg auch durch Falkenstein zogen und jüdische Häuser anzündeten. Die Villa Blau im Reichenbachweg und einige andere Häuser in der Feldberg- und Taunusstraße fielen damals dem Feuer zum Opfer, wohl auch, weil man der Feuerwehr von oberer Stelle beschied, dass man sich mit dem Löschen nicht so beeilen müsse. Groß konnte bei seiner einfühlsamen Erzählung auf Augenzeugen zurückgreifen, die diese furchtbare Nacht damals miterlebten und diese Erzählung lebendig werden ließen.

Doch eigentlich war dieser Abend „Grenzerfahrungen“ gewidmet. Da waren zum einen die Jagdgrenzen. So erzählte Groß von einer Jagdgesellschaft, deren anvisiertes Wild sich während der Jagd auf Kronberger Gebiet zu retten suchte, dort jedoch erlegt wurde und deren Jäger um den verdienten Braten gebracht wurden, weil die Jagdbeute nun mal demjenigen zusteht, auf dessen Jagdgrund es das Zeitliche segnet. Dumm nur, dass die Kronberger damals auch die halbe Jagdgesellschaft wegen Wildfrevel gefangen nahmen und diese erst auf richterliche Anordnung wieder frei ließen. Der Hirsch blieb jedoch den „Kronenburgern“ – sehr zum Ärger der Falkensteiner. Die humorvolle Erzählkunst eines Hermann Groß war es dann auch, die diese Schilderung einer Hirschjagd – teils in hochdeutsch, teils in Mundart – so herzerfrischend machte. Wer bis dato noch nicht wusste, was ein „Schickanierzwickel“ ist, der konnte sein Wissen an diesem Abend auffrischen. Es handelt sich dabei um ein Grundstück, das zwischen den Anrainern immer wieder zu Streitigkeiten führt. Früher traf dies auf die „Helbighainer Wiesen“ zu, wo es früher „verrückte“ Grenzsteine gab und die Bürger davon überzeugt waren, dass dort die Geister derjenigen umgingen, die widerrechtlich Grenzsteine versetzt hatten. Dem einen oder anderen begegneten diese Geister nach durchzechter Nacht, was der Legende immer wieder neue Nahrung gab. Man stritt sich dort auch einmal um den Leichnam eines toten Weißbinders aus Oberursel, dem nach seinem Ableben im Winter interessanterweise die Schuhe fehlten.

Es war jedoch weniger wichtig, wie der Mann zu Tode gekommen war oder wo die Schuhe geblieben waren, sondern es gab Streit um die Zuständigkeit für den Toten, was letztendlich aufgrund der personellen Überlegenheit und des Mitführens von allerlei Waffen zu Gunsten Königsteins entschieden wurde.

Auch die Königsteiner Kurkapelle hatte in späteren Jahren mit Grenzstreitigkeiten zu kämpfen, war sie doch auf Falkensteiner Gemarkung musikalisch tätig geworden, was nicht ohne Weiteres geduldet werden konnte und somit mit einer Geldbuße geahndet wurde. Es entbrannte ein Streit zwischen Königstein und Falkenstein, ob denn die Musik der Kapelle „Kunst“ gewesen sei, denn dies wäre erlaubt gewesen. Das Amtsgericht wurde angerufen, um über die Frage „Kunst – ja oder nein“ zu befinden. Dies bescherte den Königsteinern ein wunderbares Konzert im Hofe des Amtsgerichtes an dessen Ende das Urteil feststand: Musik ist Kunst und damit straffrei! Welche skurrilen Blüten Grenzstreitigkeiten manchmal treiben, war auch der Geschichte des „Feldbergrennens“ zu entnehmen. Viele Anwesende erinnerten sich noch gut an die Motorradrennen in den Jahren 1950 bis 54, und so gab es den einen oder anderen im Vereinsheim, der zu der Geschichte etwas beisteuern konnte. Das Rennen, veranstaltet von den „Reifenbergern“, ging über eine Distanz von 11,5 Kilometern und führte auf einer Länge von 1,5 Kilometern über Falkensteiner Gemarkung. Kassiert wurde der „Eintritt“ von den Zuschauern direkt an der Strecke, was die Jugend kreativ zu umgehen wusste. Man positionierte sich auf dem Falkensteiner Gebietsabschnitt und drehte dem Kassierer eine lange Nase, als der „Eintritt“ erheben wollte, denn man stand ja nicht auf Reifenberger Gebiet, sondern auf Falkensteiner. Später dachte man sogar einmal darüber nach, in Reifenberg, ob dieser Streckennutzung, um eine Beteiligung an den Einnahmen nachzusuchen, was sich jedoch zerschlug. Es gab allerhand kurzweilige und amüsante Geschichten zum Thema Grenzstreitigkeiten, die Hermann Groß zu diesem Thema „ausgegraben“ hatte und die er in seiner charmanten und humorvollen Art wunderbar zu erzählen wusste. Es ist immer wieder erstaunlich, wie es Groß gelingt, zu den unglaublichsten Themen sehr spannende, aber auch oft heitere Geschichten in der Ortschronik „auszugraben“ und wie immer war es diese wundervolle Kombination aus Geschichtswissen und humorvoller Erzählkunst, die den lokalhistorischen Vortrag von Hermann Groß so unvergleichlich machten.

Nach dem Erzählen wurde gegessen.

Foto: Scholl



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