„Brecht den harten Panzer der Hartherzigkeit auf!“

Eine Gedenkstunde wider das Vergessen vor dem Modell der ehemaligen jüdischen Synagoge. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Ein trüber, verregneter Novembernachittag. Dazu noch ein Sonntag. Eigentlich die beste Zeit, es sich mit einer Tasse Tee auf dem Sofa gemütlich zu machen, anstatt in die Kälte hinauszugehen. Aber genau das taten zahlreiche Königsteiner, darunter auch, wie beobachtet wurde, so mancher Bürgermeisterkandidat bzw. Kandidatin. Sie alle hatten sich vor dem Modell der ehemaligen jüdischen Synagoge versammelt, die in der Progromnacht, auch bekannt als „Reichskristallnacht“, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergebrannt wurde. Wie jedes Jahr gedenken hier Vertreter der Stadt Königstein, der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden und Rabbiner Andrew Steiman sowie Hans-Dieter Vosen vom Vorstand der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus der schrecklichen Ereignisse, die vor 75 Jahren zur Deportation und Ermordung der damals in Königstein lebenden Juden geführt haben.

Das Wetter sei sogar gnädiger als damals die Menschen, stellte Bürgermeister Helm mit den Gedanken an die Menschen verachtenden Ereignisse gerichtet fest. Gleichzeitig unterstrich er den Sinn und die Bedeutung dieser Zusammenkunft „wider das Vergessen“. „Die Seelen der Gerechten seien in Gottes Hand und keiner kann sie rühren“, zitierte Bernhard Dönicke, Vertreter der katholischen Pfarrei Maria Himmelfahrt, um kurz darauf das von Emil Fackenheim aufgestellte 614. Gebot vorzustellen, das in Erinnerung an den Holocaust besagt: Die sechs Millionen Juden, die während der Nazi-Zeit ermordet wurden, dürften nie vergessen werden. Diese Menschen hätten noch nicht einmal die Chance gehabt, vor ihrem Tod zu beten und hätten im Konzentrationslager kurz vor der Gaskammer immer noch geglaubt, es würde sich um Duschen handeln.

Stadtverordnetenvorsteher Freiherr Alexander von Bethmann nahm den Aspekt des Antisemitismus in der damaligen Bevölkerung unter die Lupe. Mit den Menschen seien auch wichtige Bauwerke und Zeichen jüdischer Kultur verschwunden. Vor diesem Hintergrund sei es erschreckend festzustellen, dass heutzutage zehn Prozent der Deutschen, denen man antisemitische Tendenzen nachsagen könne, immer noch der Meinung seien, die Juden hätten zu viel Einfluss. Fakt sei, so von Bethmann, dass 16 Prozent der Deutschen für rechtsradikales Gedankengut anfällig seien.

Eine Grauzone stelle wiederum die Haltung gegenüber der israelischen Regierung dar. Daher gelte es heute, vor dem Hintergrund der damaligen Geschichte, wachsam zu sein, wenn Rechtsradikales um sich greift bzw. wenn Parolen wie „Heimat“, und „Vaterland“ missbraucht werden. Antisemitismus sei nichts weiter als ängstlicher Hass auf Menschen, die anders sind und als Sündenböcke für die eigenen Misserfolge herangezogen würden, so der Stadtverordnetenvorsteher. Dem müsse man beherzt entgegentreten, aber nicht etwa, indem man Gewalt mit Gewalt begegnet. Im Falle der AfD habe man diese dadurch in eine Opferrolle gedrängt, die dann auch noch ausgeschlachtet wurde. Man müsse eine offene Gesellschaft bleiben, mahnte von Bethmann an.

Stadtarchivarin Beate Großmann-Hofmann erinnerte an die letzten sieben jüdischen Bürger, die vor 75 Jahren in Königstein gelebt haben. Sie ziterte auch aus einem damaligen Zeitungsartikel, der fünf Tage nach dem Verlassen der letzen Juden aus Königstein erschienen war und von dem Hass dieses dunklen Kapitels zeugt: „Königstein ist jetzt judenfrei.“ In Gedenken an diese Menschen, die Bürger dieser Stadt waren (Albert Cahn, Louise Gemmer-Henlein und Tochter Gertrude Gemmer, Bertha und Adolf Hess und Sohn Werner Hess sowie Clementine Mayer), wurden sieben Rosen am Modell der Synagoge niedergelegt. Eine stille Erinnerung, die jedoch auf ewig verbunden sein wird mit der Angst, dem Scham, der Zerstörung sowie dem Ende von Humanität in unserem Land, wie die evangelische Pfarrerin Katharina Stoodt-Neuschäfer festhielt. Diese Schuld der deutschen Geschichte müsse nun umgewandelt werden in Verantwortung für die Gegenwart, sodass Ausgrenzung und Abgrenzung keine Chance haben.

Die fürchterlichen Ereignisse der Pogromnacht dürften nicht vergessen werden. „Brich Du den harten Panzer der Hartherzigkeit auf!“, apellierte sie an alle, Nächstenliebe in ihr Herz zu lassen und den Mut zu haben, sich gegen Antisemitismus zu erheben. Die Würde der Menschen sei genau an diesem Ort zerstört worden, so Andrew Steimann, der abschließend das jüdische Totengebet „El male rachamim“ sprach und feststellte, dass es notwendig sei, an jenem Ort der Zerstörung zu beten, um die Würde der Menschen wiederherzustellen. Gedenken wolle man auch stellvertretend an die Millionen von Menschen, deren Schicksale während dieser Zeit des Terrors unbekannt seien. Für ihn habe die Veranstaltung so etwas wie einen roten Faden gehabt, denn Denken und Gedenken sei nicht nur an die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft gekoppelt.



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