Demokratie drinnen warm gefeiert, draußen auf Eis gelegt

Im Balkonzimmer der Villa Borgnis lief die Heizung auf Hochtouren, der Balkon taugte freilich nur zum Kühlen der Getränke. Während hier abends der Empfang der Stadt Königstein, morgens der Empfang des Vereins für Heimatkunde und am Nachmittag eine kleine Ausstellung mit Kleidung und Utensilien aus der Zeit um 1800 regulär stattfanden, kämpften Organisatoren und Geschäftsleute im Freien mit dem „termingerechten“ Wintereinbruch. Oben: Christoph Schlott überreicht Bürgermeister Leonhard Helm (links) und Stadtverordnetenvorsteher Alexander Freiherr von Bethmann (rechts) „Nyloprints“eines Dekrets des Nationalkonvents vom 18. März 1793. Unten: Schneewehen behinderten morgens noch den Blick auf die historischen Bilder in den Schaufenstern der Innenstadt (links). Die Burg war für den Publikumsverkehr wegen Glätte gesperrt worden, doch konnten Kanoniere und Feuerwerker dort ihre Arbeit bis in die Nacht verrichten. Fotos: Friedel

Königstein (hhf) – Es war kalt auf der Festung Königstein, die Unterbringung eng und unhygienisch. Nicht nur die Romantikerin Caroline Schlegel-Schelling beklagte sich damals über diese Zustände, aber sie tat es wohl am wortgewandtesten.

Was vor über 200 Jahren den Häftlingen des Staates Kurmainz zu schaffen gemacht hat, holte die Königsteiner nun zur Feier der ersten Demokratiebewegung in Deutschland, deren Protagonisten später zum Teil hier inhaftiert waren, wieder ein, zumindest was die Temperaturen betraf (und damit Hand in Hand die Grippewelle, ehedem war es eher Typhus).

Allerdings klagten die heutigen Veranstalter nicht groß, sondern packten an – die einen schoben Schnee, die anderen planten um und einige mussten sich schon morgens an den Abbau machen. Als größte Pechvögel dürfen wohl die Plasterschisser gelten, die ihr Festzelt auf dem Kapuzinerplatz am Samstag schon aufgebaut hatten – nachdem auch das Kinderkarussell wegen glatter Straßen nicht kommen konnte, machte man sich keine Hoffnung mehr auf Gäste, die bei dieser Kälte sitzen bleiben wollten und packte alles wieder ein. Einige Säcke Brötchen dürften wohl inzwischen im Opel-Zoo angekommen sein, eine Frankfurter Wohltätigkeitsorganisation freute sich zeitgleich über die Bratwurstvorräte aus dem „Obsteck“, auch hier hatte man die Idee, im Freien zu grillen, aufgegeben.

Unverdrossen verkauften dagegen die „Krabbelknirpse“ ihre Ostereier und auch Feinkost Noy hatte eine Theke vor den Laden gestellt, die allerdings überwiegend dazu diente, Gäste hereinzulocken. Die warmen Geschäftsräume zogen schließlich zum verkaufsoffenen Sonntag doch noch genug Publikum an, so dass eine Mehrheit der beteiligten Firmen sich zumindest den Umständen entsprechend zufrieden mit dem Verlauf des Tages zeigte.

Als Gradmesser darf sicher das Burg- und Stadtmuseum gelten, das an diesem Tag einen Rekordbesuch von über 150 Interessierten erlebte – gezählt vom zweiten Vorsitzenden des Vereins für Heimatkunde, der die eigentliche Kustodin vertrat, die in Glashütten zunächst eingeschneit war.

Während Christoph Schlott sein Programm auf der Burg- bzw. Festungsruine wegen der Rutschgefahr zusammenstreichen musste, eröffnete Rudolf Krönke den Tag mit einem Empfang im Namen des Vereins für Heimatkunde, der in diesem Jahr das 50-jährige Bestehen des Burg- und Stadtmuseums feiert. „Die Demokratie hat einen Dämpfer bekommen“, bemitleidete er seine Mitstreiter, die sich einen Besuch auf dem Empfang freilich nicht nehmen ließen – mit Klaus Kroneberg als Hauptmann der Festungsgarde waren sogar die Plaschis vertreten.

Dann aber verpasste die Demokratie dem Rolf einen Dämpfer: Ursprünglich hatte er damit geliebäugelt, seine Stadtführung ob der Kälte in eine kleine Ansprache im Kurhaus umzuwandeln, doch forderte eine Mehrheit von gut 30 Wetterfesten den Rundgang vehement ein. Diesem großen Interessen an der Heimatkunde beugte sich der Lokalhistoriker natürlich gerne, und so rückten die liebevoll mit Exponaten rund um die Zeit vor 225 Jahren dekorierten Schaufenster doch noch in den Mittelpunkt.

Um 15 Uhr kündeten Böllerschüsse davon, dass die Pyrotechnik-Mannschaft auf der Burg ihr Werk verrichten konnte, Christoph Schlott kommentierte kurzerhand von der Konrad-Adenauer-Anlage aus das Geschehen.

Das ebenfalls für die Burg geplante Schauspiel „Der Freiheitsbaum“ mit Tino Leo, das dieser am folgenden Tag auch in Mainz vorstellte, wurde dem abendlichen Empfang der Stadt Königstein – wiederum in der Villa Borgnis – angegliedert. Dort präsentierte der Verein „Hessen-Militär e.V.“ vorab historische Exponate „zum Anfassen“ in zeitgenössischer Zivil- und Militärkleidung.

„Der ganze Tag ist ein Event der Anpassung“ eröffnete Bärbel Römer von Seel schließlich die Abendveranstaltung, Bürgermeister Leonhard Helm bekräftigte noch einmal, dass es für Königstein dennoch „ein besonders demokratisches Wochenende“ gewesen sei, das immerhin mit der Verleihung des Eugen-Kogon-Preises begonnen hatte. Ob man den Zug Napoleons durch Europa feiern solle, ließ er dahingestellt, doch sei sicherlich „zerstörend ein Neuaufbau begonnen worden“ und die Demokratie aus Frankreich auch nach Deutschland gelangt.

Dass diese Ereignisse nun auch in der Lokalgeschichte angekommen sind, die „die Burggeschichte sehr verändert, aber nicht beendet“ haben, sahen alle als einen Gewinn für die Kurstadt und gelobten, weiter an dem Thema zu arbeiten.

Dank für den Anstoß erhielt Christoph Schlott von „Terra Incognita“, der sich mit zwei „Nyloprint“- Sonderdrucken eines Dekrets des in Mainz versammelten rheinisch-deutschen Nationalkonvents vom 18. März 1793 revanchierte. Es handelte sich dabei um Nummer zwei und drei einer Auflage von nur zehn Stück, deren erstes Exemplar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Landtag in Mainz überreicht wurde – allerdings erst am nächsten Tag.

Mit Unterstützung von Dieter Küppers, der im rechten Moment die Nationalhymne aus dem Hintergrund auf der Geige beisteuerte, wirbelte Tino Leo noch in verschiedenen Rollen mit seinem Theaterstück „Der Freiheitsbaum“ durch den Saal, ein Schauspiel, das ebenfalls am nächsten Tag in Mainz wiederholt werden sollte und jeweils ob seiner großen Vielfalt reichlich Applaus erntete.

Einen großartigen Abschluss fand der Tag schließlich mit erneuten Salutschüssen um 20 Uhr, die von der Burg über die Stadt hallten – zu jedem einzelnen hatte Christoph Schlott jeweils ein besonderes Zitat aus der Geschichte der Demokratie herausgesucht. Gewissermaßen als Zugabe hatten die Fachleute der „Pyrotechnik Bergstraße/Interessensgemeinschaft Frankensteiner Kanonenfreunde“ anschließend noch den Beschuss der Festung vom Falkensteiner Burgberg aus in Szene gesetzt, ein unheimlich donnerndes Hörspiel mit optisch fassbaren Einschlägen im Zielgebiet.

In Folge dieser Treffer geriet das Objekt schließlich erst in einen hellen Brand, der weithin leuchtend die Silhouette des Königsteiner Wahrzeichens sichtbar machte, dann glühte die Ruine unter roter bengalischer Beleuchtung aus: In diesen Mauern werden nie wieder Demokraten als Häftlinge leben müssen.

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