Deutschland 1948: Rosinenbomber, Rucksackpriester und Kapellenwagen

Kapellenwagen vor der Aussendung
Fotos: privat, Manfred Colloseus

Königstein (kw) – Vor 70 Jahren trat am 20. Juni 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen im Nachkriegsdeutschland die Währungsreform mit der Einführung der D-Mark in Kraft. Als Antwort hierauf ließ der sowjetische Staatschef Josef Stalin am 24. Juni alle Straßen, Bahnlinien und Wasserwege nach Westberlin sperren, um die Menschen der Insel der Freiheit inmitten der sowjetischen Besatzungszone auszuhungern. Die westlichen Besatzungsmächte reagierten ohne Zögern. In einer beispiellosen logistischen Hilfsaktion gelangten auf dem Luftweg fast ein Jahr lang die notwendigsten Versorgungsgüter in den Westen der Stadt. Bereits am 26. Juni startete der erste „Rosinenbomber“ von Wiesbaden aus zum Flugfeld Berlin-Tempelhof. Der damals fünfzehnjährige Königsteiner Fritz Kehrer erinnert sich bis heute, dass am 12. Dezember 1948 der erste Rosinenbomber zwischen Königstein und Altenhain abstürzte. In der Folgezeit verloren 78 Amerikaner, Engländer und Deutsche während der Hilfsaktion ihr Leben.

Untrennbar verbunden

Ebenfalls vor 70 Jahren kam im Herbst 1948 Pater Werenfried van Straaten erstmals nach Königstein. Sein Name ist untrennbar mit dem von Prälat (später Weihbischof) Dr. Adolf Kindermann verbunden, unter dessen Leitung das Albertus-Magnus-Kolleg in Königstein zum Zentrum der katholischen Vertriebenenseelsorge wurde. Beide setzten sich auf christlichem Fundament nachhaltig für die aus ihrer Heimat vertriebenen, entwurzelten Menschen ein. Der am 17. Januar 1913 im niederländischen Mijdrecht geborene Philippus van Straaten trat 1934 im belgischen Tongerlo als Pater Werenfried (Der für den Frieden kämpft) in die Prämonstratenserabtei ein. Die Not der in Baracken, alten Bunkern und Elendsquartieren untergebrachten Heimatvertriebenen aus dem Deutschen Osten machte ihn zutiefst betroffen.

Bereits Weihnachten 1947 schrieb er in der Klosterzeitschrift den aufrüttelnden Artikel “Frieden auf Erden? – Kein Platz in der Herberge“. Er löste mit seinem Aufruf in Belgien eine von ihm nicht erwartete Welle der Hilfsbereitschaft aus. Es waren die einstigen Kriegsgegner, für die er um humanitäre Hilfe bat. Er erbettelte von den flämischen Bauern Lebensmittel und Speck, damit er helfen konnte, den größten Hunger zu lindern. Er erhielt so viel Speck, dass er den Spitznamen “Speckpater” bekam. Die Welle der Hilfsbereitschaft gilt als Geburtsstunde des heute weltweit engagierten großen kirchlichen Hilfswerkes „Kirche in Not – Ostpriesterhilfe“.

An dieser Stelle kann nicht das gesamte Lebenswerk van Straatens beleuchtet werden. Schwerpunkt ist die Zeit der „Rucksackpriester“ und der legendären Kapellenwagen. Mit wenigen liturgischen Gegenständen im Rucksack ausgestattet, fuhren die Priester zunächst mit Fahrrädern von Lager zu Lager. Es war Pater Werenfried, der mit der Ostpriesterhilfe zur Tat schritt. Bald folgten den Fahrrädern Motorräder. Der Aufruf „Ein Fahrzeug für Gott” erbrachte 400 Volkswagen. Dann kam die Zeit der Kapellenwagen. 35 bis zu 16 Meter lange Lastwagen wurden zu fahrenden Kirchen umgebaut. Ab 1950 fuhren sie zu den versprengt lebenden Katholiken in die Diaspora. Die Seelsorger führten auf den Ladeflächen ungeahnte Mengen von im Ausland gespendeten Hilfsgütern wie Lebensmittel, Bekleidung, Spielzeug und Süßigkeiten mit. Die „Missionare für Gott“, die überwiegend aus dem Ausland kamen, haben in den Jahren von 1950 bis 1970 nach Schätzungen über eine Million Menschen erreicht.

1982 durch die Bundesrepublik Deutschland mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, wurde Pater Werenfried van Straaten von der Stadt Königstein am 21. November 2002 die Ehrenbürgerschaft verliehen. Der Pater, der einmal sagte „Die Ostpriesterhilfe ist groß geworden in Königstein, und Königstein ist groß geworden durch die Ostpriesterhilfe“, verstarb wenige Wochen später am 31. Januar 2003. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Königsteiner Friedhof.

Ein von Manfred Colloseus in der Stadtbibliothek gestaltetes Schaufenster zeigt im Oktober historische Fotos und Zeitzeugnisse des unvergessenen „Bettlers für Gott“.

„Speckpater“ Werenfried van Straaten

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