Gewalt und Religion im Königsteiner Forum: „Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, erzeugt stets die Hölle“

Wenn Religionen auch nicht als alleinige Wurzel zunehmender Radikalisierung gelten können, liefern sie doch oft den zusammengestoppelten Hinterbau für so manches „unerwünschte Beiprodukt unserer Moderne“: Dr. Behnam T. Said untersuchte im Königsteiner Forum den Zusammenhang von Religion und radikaler Gewalt. Foto: Friedel

Königstein (hhf) – Wie nahe Wohl und Wehe im Leben beieinander liegen, zeigte sich diesmal schon in der Einleitung zum Vortrag im Königsteiner Forum. Kaum hatte Moderator Professor Dr. Diether Döring verkünden können, dass die Vortragsreihe heute ihren 50.000. Besucher seit Gründung zählen konnte, musste er zu den traurigen Mitteilungen wechseln: „Als Christenmensch weiß man, dass man nicht ewig ist...“ Mit Dr. Rupert Neudeck, Mitbegründer der „Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte e.V.“ ist nicht nur ein engagierter Friedensaktivist verstorben, sondern auch der für Oktober eingeplante Referent im Forum. Ihm zu Ehren wird der Termin nicht neu besetzt.

Gut besetzt war hingegen wieder einmal die „Aula“ der Volksbank, in der Dr. Behnam T. Said der Frage „Gewalt und Fundamentalismus: Religion als Legitimation oder als Ursache von Gewalt?“ nachgehen wollte. Der Referent ist selbst in einem deutsch-afghanischen Haushalt aufgewachsen, woraus auch sein frühes Interesse an beiden Kulturen resultiert.

2003 begann der Hamburger eben dort ein Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Kombination mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, ergänzt um Studienaufenthalte in Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien. Seit 2010 begann der mittlerweile als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesamt für Verfassungsschutz tätige Said eine Promotionsarbeit, die noch in diesem Jahr als Buch erscheinen wird, weitere Bücher aus seiner Feder haben bereits große Bekanntheit erlangt, zum Beispiel „Salafismus – Auf der Suche nach dem wahren Islam“.

Religion und Gewalt sei „ein großes Thema, auch emotional berührend“, deutete Behnam T. Said ein komplexes Gebilde an, in dem sich sogar Theorie und Praxis gegenseitig beeinflussten. In dieser Vielfalt gebe es zwar einige Fakten, oft gelte aber auch „richtig und falsch gibt es nicht, nur besser oder weniger gut begründete Argumente.“

Außerdem gilt es für Christen der westlichen Welt, erst einmal von dem für uns selbstverständlichen Bild einer Religion Abstand zu nehmen, um einen globalen Vergleich zu ermöglichen. Immerhin hat bereits die Aufklärung – nachdem das Mittelalter nur die eine, wahre Religion kannte – die Akzeptanz für einen Plural der Religionen geschaffen, die oft andere Werte und vielfältigere Bedeutung haben als die Trennung von Kirche und Staat. Die Religionswissenschaft redet daher auch innerhalb großer Religionen gerne von „Glaubensweisen“ und versteht darunter „Dinge des Glaubens, in dem der Mensch sein Verhältnis zu einer ordnenden Macht ausdrückt.“

Wohl in der Macht der Ordnung liegt auch das Potenzial der Gewalt, vor allem, wenn da verschiedene Vorstellungen aufeinander treffen. Ob dieses Miteinanders formulierte der Referent dann auch: „Religion mag eine Rolle spielen bei Konflikten, ist aber nicht ursächlich.“ Umgekehrt wenden sich Menschen nach einer im sozialen oder politischen Bereich erlebten oder auch nur empfundenen Erniedrigung gerne der Religion als einer anderen Ordnungsmacht zu. Hier kann nun Religion instrumentalisiert werden, um solche Menschen zu „rekrutieren“, was aber in aller Regel nicht mehr viel mit deren Ursprünglichen Werten gemein hat.

Eine sehr stark ausgeprägte „Ordnungsreligion“ ähnelt in ihrer Funktion dann schon eher dem Nationalismus, die wahre Basis für Gewalt liegt aber im Spannungsverhältnis zwischen politischer Ideologie und religiöser Gesellschaft. Schon oft wurde in historischen Zeiten die Verteidigung der Religion als Grund für politisches Handeln angeführt, umgekehrt – so zum Beispiel im Nordkaukasus – bildet religiöse Zugehörigkeit bis heute die Grundlage, sich auch politisch gegen andere Mächte abzugrenzen.

Ganz ähnlich dieser Berührungspunkte zwischen Politik und Religion gliedern sich schließlich auch die Formen des Terrorismus auf, so ist es relativ gut bekannt, dass die PKK einen separatistischen Kampf führt und keinen religiösen. Im Zusammenhang mit dem Islam wird dagegen oft ein religiöser Zusammenhang konstruiert, der bei näherem Hinsehen aber nicht stand hält.

Vor allem in der Vergangenheit war immer wieder ein Zusammenhang zwischen religiös, aber auch atheistisch motivierten Anschlägen und Rechts- oder Linksterrorismus zu erkennen. In den 1990er-Jahren löst sich der Schwerpunkt „religiöse Gewalt“ im Nahost-Konflikt ebenso schnell in politische Interessen einzelner Gruppierungen auf wie später der Anschlag auf das World-Trade-Center und die resultierenden Irak-Kriege oder Afghanistan. Auch in Afrika ist die Liste der Untaten, bei denen Religion eine Rolle spielt groß, aber auch nicht frei von gekoppelten Interessen anderer Art und die separatistischen „Tamil Tigers“ haben in den Jahren 1983 bis 2000 mehr Selbstmord-Attentäter hervorgebracht „als alle Islamisten zusammen.“

Warum aber sind Religionen, darunter auch die ausgesprochen friedliebenden, so flexibel einsetzbar für terroristisches Gedankengut? Der fromme Beter im stillen Kämmerlein spielt hier kaum eine Rolle, er wird selten gehört (von Menschen zumindest). Laut angepriesen werden dagegen weltweit „Sinnesprodukte“, die in Zeiten der Individualisierung einzelne Aspekte von Religion und Politik verbinden. „Es bedarf nicht der Religion im engeren Sinne, um sein eigenes Leben zu opfern“, vielmehr opfert sich ein solcher Märtyrer meist „für eine heilige Sache, wie immer sie sich begründet.“ Solche Ersatzreligionen bieten gerne neben einem zukünftigen Heilsversprechen auch eine neue Identität an, seit Muhammad Ali ist die Namensänderung im Islam geläufig, aber auch Lenin, Stalin oder Atatürk waren nicht die Geburtsnamen ihrer Träger. Die Legitimation von Gewalt muss schließlich durch eine fundamentalistische Hermeneutik aus den jeweiligen heiligen Schriften abgeleitet werden, was meistens zu theologisch nicht haltbaren Konstrukten führt. Das geht durchaus so weit, dass sich Al-Quaida-Aktivisten gegen einzelne Auslegungen verwehren, so geschehen bei der Verbrennung eines abgestürzten Piloten in Jordanien.

Wie einfach es scheint, einzelne Passagen aus religiösen Schriften zu nehmen und damit eigenes Handeln zu rechtfertigen, belegt die alttestamentarische Stelle, in der es heißt „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ eindrücklich. Zwar lässt sich damit Rache hervorragend untermauern, doch wird unter anderem die gesamte Liebesbotschaft des Neuen Testamentes unterschlagen. Das jedoch wird einem „religiösen Analphabeten“ kaum auffallen – und das sind die meisten, die in den Prozess der individuellen Radikalisierung hineinrutschen. Nicht jeder Extremist muss allerdings auch zum Attentäter werden, eine extremistische „Pegida“ zum Beispiel, die mit christlichen Grundsätzen argumentiert, kann aber schnell als Brandstifter für andere fungieren.

„Radikalisierung ist ein Prozess“, erklärte Dr. Said, vor dem Hintergrund zunehmender Akzeptanz extremistischer Ideologien unterliegen ihm überdurchschnittlich viele Menschen zwischen 20 und 29 Jahren aus sozial schwachen Verhältnissen und nichtreligiösem Elternhaus, eher in Ballungsräumen als auf dem Land. Scheitern in Schule oder am Arbeitsmarkt führt zu großer Frustration, daraus resultiert schnell eine Suche nach anderen Schuldigen und eine ungeklärte eigene Identität. Solchermaßen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, bieten zum Beispiel Salafisten schöne, klare Lösungen in einer komplexen Welt, lassen Raum zum Protest gegen Gesellschaft und Elternhaus und bieten die Abgabe von Verantwortung an höhere Mächte an. Neben der Suche nach Status und Sinn darf aber auch der Geruch von Action und Abenteuer nicht übersehen werden, der diese Art „emotionaler Religiosität“ umgibt.

Auch wenn die „neuen Atheisten“ in den USA Religionen als die Wurzel allen Übels ansehen, zeigt die Praxis doch deutlich, dass das Thema viel komplexer ist. Hinter den dämonischen Feindbildern verstecken sich nur allzu oft Interessenpolitik oder (zum Beispiel in Bezug auf Flüchtlinge) Ressourcenkonflikte ganz weltlicher Art. Dennoch bieten sich Religionen für derlei Umdeutungen nicht nur als leichte Opfer an, sondern können das Unheil auch ganz alleine heraufbeschwören. Daher schloss Dr. Behnam T. Said mit einem Zitat von Karl Popper: „Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, erzeugt stets die Hölle.“



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