Ein Jahr in Kanada – Wenn Abiturienten auf Reisen gehen

Für den jungen Königsteiner Erik, der ein Jahr in Kanada verbrachte, symbolisiert dieses Panorama den Blick „in die weite Welt“, die sich für ihn mit dieser Reise auftat.

Foto: privat

Königstein (gs) – Schon ziemlich früh, lange bevor die anstrengenden Abiturklausuren vor der Tür standen – stand für den Königsteiner Schüler Erik Jahn fest, dass der nächste Schritt ins ferne Kanada führen würde. Zunächst galt es Mitstreiter für das Projekt „Ein Jahr Kanada auf eigene Faust“ zu finden und weil interessante Vorhaben alleine nur halb so viel Spaß machen, waren es dann zwei Freunde, die sich entschlossen auf große Reise zu gehen. Unglücklicherweise benötigen auch Schüler für einen einjährigen Aufenthalt ein entsprechendes „Work and Travel“ Visum, welches auch gleichzeitig zum notwendigen Broterwerb in Form eines Jobs berechtigt. Bedauerlicherweise ließ es sich nicht vermeiden, dass sich die Reiselustigen am PC einfanden, um leider feststellen zu müssen, dass alle entsprechenden 2.100 Online-Visa für diesen ersten Vergabetag bereits innerhalb kürzester Zeit vergeben waren. Aber wer einen Traum verwirklichen will, der lässt sich nicht so leicht entmutigen, meistert mit der richtigen Motivation auch die eine oder andere Hürde und versucht sein Glück im zweiten Durchgang der Visavergabe erneut – und hat diesmal Erfolg!

Neben dem nicht unerheblichen Lernaufwand für die anstehenden Abiturprüfungen musste nun auch noch vieles geplant, durchdacht, verworfen und neu durchdacht und in Angriff genommen werden. Ein Abenteuer bleibt ein Abenteuer und manches wurde auch spontan entschieden – das machte die Sache erst richtig spannend!

Wer Erik Jahn persönlich kennt, wird keine Minute an den Gedanken verschwenden, dass er solch ein Projekt nicht irgendwie organisiert bekommt. Ausgestattet mit einer großen Portion Überzeugungskraft, Lebensfreude und Organisationstalent machte er sich an die Umsetzung des Projektes. Im Oktober 2015 verabschiedete er sich für acht Monate von seiner Familie und seinen Freunden und entschwand mit seinem Schulfreund Daniel im Flugzeug nach Kanada.

Schon lange vor der Abreise hatten sich die beiden Reiselustigen vorausschauend um einen Job in einem Hotelresort bemüht und gingen davon aus, dass dieser sicher sei – oder? Nach der erfolgreichen Ankunft in Vancouver stand zunächst erstmal das Kennenlernen eines neuen Landes einschließlich der Kontaktaufnahme mit den „Locals“ im Vordergrund und für die ersten Wochen war nun Abenteuer angesagt! Der Job war ab Dezember geplant und es blieb zunächst genug Zeit, um sich Land und Leute anzusehen. Die beiden Freunde hatten viel Kontakt zu anderen „Backpackern“, was aber aus informationstechnischer Sicht nicht schlecht war. Die Zeit war wichtig zum Ankommen und selbstständig werden. Unterkünfte mussten gesucht werden, Klamotten gewaschen werden, Winterklamotten für den Job mussten gekauft werden – und das alles mit einem begrenzten Budget. Ein echter Lernprozess. Sightseeing wurde zur Hauptbeschäftigung und auf fünf Wochen in Vancouver und Vancouver Island folgten Reisen mit dem Greyhound-Bus, die manchmal auch in entlegene Orte führten, wo eigentlich „nichts los war“. Eine besondere Erinnerung hinterließ ein Hippie-Hostel in dem Ort Kelowna. Neben echt kleinen Betten, nächtlichen Partys und einer deutschen Mitarbeiterin, die einen Pfau an die Wand malte (weil jeder etwas von sich in dem Hostel hinterließ) machten die beiden erstmals die Erfahrung fehlender Privatsphäre in einem Zwei-Bett-Zimmer, weil sich die junge Dame genau dort ihrem Kunstprojekt widmete.

Der erste Job stand vor der Tür und dort sollte erstes eigenes Geld verdient werden – wenn es denn geklappt hätte mit dem Job. Dummerweise hatten es sich die Manager des Hotels zwischenzeitlich anders überlegt und plötzlich keinen Bedarf mehr an Aushilfskräften. Nun war guter Rat teuer, denn für das weitere Überleben musste ein Einkommen her. Aber zum Glück fanden die zwei über persönliche Kontakte doch noch ihren Traumjob. Ein Hotel in Sun Peaks suchte dringend Night- Manager und wie sollte es anders sein – das Hotel verfügte über eine räumliche Nähe zur Snowboardpiste, einen Whirlpool und ein Fitnessstudio.

Somit stand fest, dass die beiden Abenteurer des Nachts über das Hotel und seine Gäste wachten, während am Tag die Party auf der Snowboardpiste stattfand. Die neu erworbene Snowboardausrüstung und ein Season-Pass machten es möglich. Was die beiden Jungs hier fanden, war genau das, wonach sie gesucht hatten. An die Nachtarbeit hatten sich die zwei schnell gewöhnt und um noch etwas mehr Geld zu verdienen, schoben sie so manchen Wochenenddienst extra, weil dieser mit Zulagen super bezahlt wurde. Als Schlafstätte während der arbeitsfreien Nachtstunden diente oft ein kuscheliges Bett aus warmen Handtüchern, die praktischerweise auf dem Wäschetrockner drapiert wurden. Das Leben im Hotel, denn hier wohnten die beiden auch, war so interessant, dass sie an Weihnachten auch gut einmal ohne die Familie auskommen konnten. Das Essen wärmte eine selbst organisierte Mikrowelle und die Erfahrung von kanadischen Christmas-Partys war ein echtes Kontrastprogramm zum heimischen Weihnachten. Pakete der Familie trösteten über die fehlenden Geschenke hinweg, vor allem, wenn sie nützliche Dinge aus der Heimat enthielten.

Aber alles hat einmal ein Ende, so leider auch die Snowboardsaison in Kanada und unsere Reisenden machten sich, nun mit gut gefülltem Portemonnaie, auf den Weg zum nächsten Abenteuer – dem Erwerb eines eigenen Autos, um damit durchs Land zu fahren und die Freiheit zu genießen.

Im Frühjahr trafen sie während einer Zwischenstation bei der freundlichen Mrs. Wong, in deren Hostel sie fast die einzigen Gäste waren und daher das tollste Zimmer bekamen und umsorgt wurden, Jerry. Jerry war ein echter Glücksfall für die zwei Reisenden, denn er war Automechaniker und ausgesprochen hilfsbereit. Er nahm sich die Zeit und half den Jungs bei der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug. Das Ergebnis war ein fünf Meter langer Van, bei dem die Idee war, dass er – nach kleinen Ein- und Umbauten – auch zum Schlafen während des bevorstehenden Roadtrips taugen sollte. Erik, handwerklich sehr begabt, nahm sämtliche Umbauten selbst vor und heraus kam ein wirklich beachtliches Ergebnis, voll tauglich für eine zweieinhalb monatige Tour zu zweit.

Der Traum eines jeden Abenteurers sollte nun endlich wahr werden – ein Trip quer durch Kanada. Schlafen ab und zu mal in einem Hostel, ansonsten im Auto – Freiheit pur! Dieses Gefühl der absoluten Freiheit ist allerdings nicht so ganz umsonst, büßt man doch durchaus Komfort ein, denn ein flauschiges Bett, eine Dusche und Sanitäreinrichtungen waren leider nicht an Bord. Der Weg führte die beiden über die Rocky Mountains, in stundenlangen Fahrten durch die wunderbare Natur von Kanada und gelegentlich auch in Höhen, wo in den Bergen noch Snowboarden möglich war. Was leider nicht bedacht war – die Nationalparks öffnen in Kanada zum Teil erst ab Mitte Mai.

Deshalb war mehr Wildnis im Programm und das Wandern eröffnete eine wunderbare Sicht auf eine Natur und ein Leben, wie wir es hier nicht kennen. Die Freunde haben viele schöne Dinge gesehen und erlebt. Da gab es den Besuch der Schmugglertunnel in Moose Jaw, die als Originalschauplatz früher Al Capone zum Alkoholschmuggel dienten oder die Begegnung mit einem verrückten Schweizer namens „Rolf der Rote“, der diesen Namen trug, weil er einen bunten Bart und einen roten Zaubermantel trug. Er lebt in einem absolut flippigen Haus in Radium, auf dessen Dach Ziegen wohnen, die mittels selbstgebauter Seilbahn dort hinauf gelangen. Sein Haus ist ein verrücktes Museum und die ganze Situation mehr als surreal. Zu Ostern sind die beiden spontan im Schnee gewandert – in Sneakers, Jacke und Jeans – um einen Sticker, den ihre Freunde schon im Vorjahr fotografiert hatten zu suchen, nur um das gleiche Foto eines Eintracht-Stickers in Kanada zu machen! Manchmal wanderte Erik auch alleine los, was in der kanadischen Wildnis vielleicht nicht immer unbedingt die beste Idee war. So verirrte er sich auf einer seiner Wanderungen, ließ sich von Warnhinweisen über das richtige Verhalten bei Bärenbegegnungen jedoch nicht erschrecken und fand glücklicherweise nach insgesamt sechs Stunden zu seinem Freund zurück, der am letzten Aussichtspunkt auf ihn gewartet hatte – so sieht wahres Abenteuer aus.

Über einen Kurzaufenthalt in Montreal, wo die jungen Herren ausgiebig irrwitzige Biersorten testeten, z.B. mit Tomatensaft, ging es weiter in die USA. Auf dem Programm standen Besuche der Städte Boston und New York, wo die beiden jeweils eine Woche mit Sightseeing verbrachten und doch lange nicht alles gesehen hatten. Und weil nicht alles immer klappen kann, fiel der letzte Road-Trip dann leider aus, weil das Auto kaputt ging. Eine defekte Bremsscheibe brachte das Auto nach einer kilometerlangen Bremsspur zum Stehen, praktischerweise genau vor einer Polizeistation. Da dieser Parkplatz eher ungünstig war, sorgten die Gesetzeshüter für den Abschleppdienst und unsere Freunde waren nun unfreiwillig in Toronto gestrandet. Auch diese Hürde nahmen die zwei Freunde sportlich und machten das Beste aus ihrer Situation. Sie verbrachten den letzten Monat nun einfach in dieser überaus interessanten Stadt.

Das Auto wurde, nach erfolgreicher Reparatur, an eine junge Deutsche weiter verkauft und die zwei Abenteurer quartierten sich in einem dubiosen Hostel in Chinatown ein, um die letzten Wochen ihrer Reise in vollen Zügen zu genießen.

In Toronto ergaben sich langfristige Freundschaften mit netten Kanadiern und so tauchten die beiden in das kanadische Leben noch mal so richtig ein. Sie genossen die vielen Bars und kleinen Geschäfte und die vielen landestypischen Dinge, die eine Großstadt im Sommer mit sich bringt, bevor es von hier wieder nach Hause ging. „Rückwirkend betrachtet war es eine tolle Erfahrung. Es hat leider nicht alles geklappt, wie es geplant war, aber wir haben immer das Beste aus den Situationen gemacht,“ resümiert Erik Jahn über sein Jahr in Kanada. Die englische Sprache ist nun kein Problem mehr und das Jahr hat ihm viel Selbsterkenntnis gebracht. Würde er das Ganze nochmal machen? Ja – das würde er. Aber er würde manches anders machen. Diese Erkenntnis nennt man Lebenserfahrung!



X