Kohnstamm: Ein Held der Stadt Königstein

Für bewundernde Blicke sorgten die Reproduktionen der Kirchner-Bilder im Treppenhaus des Brunnenturms der Kohnstamm-Villa. Foto: Schemuth

Königstein (el) – Er war eine ungewöhnliche Persönlichkeit – jemand, dem man nicht alle Tage begegnete und doch war er präsent und greifbar im Königsteiner Stadtleben am Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Welt noch nicht ahnte, dass circa ein Jahrzehnt später der Erste Weltkrieg ausbrechen würde. Die Rede ist von Dr. Oskar Kohnstamm, der als Neurologe und Psychiater 1904/1905 ein nach ihm benanntes Sanatorium im Ölmühlweg 12 in Königstein eröffnete und bei seiner Behandlung unter anderem auf die Hypnose setzte. 1911 wurde es vom Architekten Hugo Eberhardt erweitert. Hier behandelte der Facharzt, der in Gießen studiert hat und unter anderem an der Charité in Berlin tätig war, vor allem Nervenleiden.

Dass zu seinen Patienten auch zahlreiche Prominente – Dichter, Denker, Schauspieler, Musiker und Maler – gehörten, das wissen nur die wenigsten. Prof. Jürgen Hesse weiß es, denn er hat sich im Zuge der Umgestaltung des einstigen Sanatoriums in das heutige Siegfried Vögele Institut – Internationale Gesellschaft für Direktmarketing mbH – das sich hier seit 2002 befindet, mit der Historie des markanten Gebäudes beschäftigt. Das, was er zu Tage gefördert hat, stieß auch auf großes Interesse bei den zahlreichen Königsteinern, die kürzlich an einer historisch bedeutsamen Hausführung durch die Villa Kohnstamm teilnahmen. So groß war der Andrang, dass die Interessierten in zwei Gruppen aufgeteilt werden mussten, die dann von Prof. Jürgen Hesse, Gründungsgeschäftsführer des Siegfried Vögele Institutes, und Stadtarchivarin Beate Großmann-Hofmann persönlich durch das Haus mit seinen imposanten Strukturen geführt wurden. „Er hatte einen hellen, virulenten Geist und war nie um eine Diskussion verlegen“, skizzierte Hesse den Charakter des Nervenarztes, der zusammen mit seiner Frau Eva, die ebenfalls Ärztin war, das Sanatorium im Ölmühlweg aufgebaut hat. Bei der Kohnstamm Villa handelt es sich eigentlich um einen ganzen Gebäudekomplex, wobei es architektonisch sicherlich anspruchsvoll war, das Haus Nummer eins des Ensembles an die Hanglage anzuschmiegen.

Kaum hatte das Sanatorium seine Pforten geöffnet, da waren die 25 vorhandenen Plätze, die intellektuelle und hochgestellte Menschen ansprechen sollten, auch schon ausgebucht und dabei waren die Preise mit 50 Reichsmark für die damalige Zeit ganz schon gesalzen. Zum Vergleich: 22 Reichsmark machten zu jener Zeit den Wochenverdienst einer vierköpfigen Familie aus. Das Villengrundstück umfasste ursprünglich 6.000 Quadratmeter und wurde später auf 8.000 Quadratmeter erweitert. 2.800 Quadratmeter davon waren nutzbar. Heute steht das Ensemble unter Denkmalschutz.

Psychosomatische Leiden wurden hier behandelt bzw. unter anderem das, was der Volksmund heute als „Burnout“ bezeichnet. Wohlhabende Menschen ließen sich hier heilen. Da Kohnstamm selbst Jude war, suchten viele Juden seinen Beistand. Die Patienten rekrutierten sich aus dem Bankenwesen, waren sogar Angehörige eines bekannten Warenhaus-Konzerns oder aber Celebrities der damaligen Zeit wie etwa Henry van de Velde, der Schauspieler Alexander Moissi, der Komponist Otto Klemperer oder aber Gerdt von Bassewitz, Autor des Klassikers „Peterchens Mondfahrt“, den von Bassewitz tatsächlich im Sanatorium geschrieben hat. Für seine Handlung standen die Kinder von Kohnstamm Pate. Auch der bekannte Maler Ernst Ludwig Kirchner, der die expressionistische Kunstrichtung vertrat, konsultierte Kohnstamm.

Einer der wichtigsten Therapieansätze des Nervenarztes bestand darin, wie er sagte, dass „die Patienten während ihres Sanatorium-Aufenthaltes das tun sollen, was sie am besten können.“ Während das für Carl Sternheim seine dramatischen Gedichte waren, bedeutete es für Kirchner Werke zu schaffen, die ihn selbst überdauern würden und die auf ewig auch mit der Kurstadt Königstein verbunden sind.

Über einen Kreuzgang gelangt man in das Haus Nummer drei und das bei einem Höhenunterschied von neun Metern. Was sich dem Betrachter im Treppenhaus des Brunnenturms offenbart, ist einfach fantastisch und ist auf die bereits erwähnte Therapieform von Kohnstamm zurückzuführen. Er war es, der darauf bestand, dass Kirchner während seines Aufenthaltes im Jahr 1916 vier Wandkassetten des Treppenhauses bemalt. Die Bilder zeigen einen Zyklus von drei Grazien, die bis zum Bauchnabel im Wasser stehen – der so genannte „Fehmarn-Zyklus“. 1937 wurden die Werke in der Villa Kohnstamm von den Nazis für „Entartete Kunst“ erklärt und zerstört.

Leider sind heute nur noch Farbreste von den einstigen Kunstwerken erhalten. Hinter den Farben sieht man es noch vereinzelt Grün und Blau schimmern. Mühevoll machte sich Prof. Hesse daran, textile Foto-Reproduktionen in Originalgröße von den früheren Gemälden im Originalmaßstab anzufertigen.

In einem der Räume, in dem heute die Vorstände der Deutschen Post tagen, um wichtige Entscheidungen zu treffen, stand früher der Schreibtisch des Nervenarztes, der seine Patienten in seinem holzvertäfelten Sprechzimmer empfing. Heute wird der Raum auch als Aufnahme-Studio im Zuge von Seminaren genutzt.

Wie es so oft bei Ärzten der Fall ist, achtete Kohnstamm nicht so sehr auf seine eigene Gesundheit wie er sollte. Sein Verfall nahm seinen Lauf mit dem Tod seines ältesten Sohnes Rudolf, der sich im Krieg bei den Jüdischen Freiwilligen Bataillonen gemeldet hatte und 1916 im Alter von 19 Jahren in Verdun fiel. Ein großer Mann wie Kohnstamm verstarb daraufhin an einem Blinddarm-Durchbruch. Was bleibt, ist sein Werk für die Ewigkeit und die Gewissheit, mit der Menschen wie Prof. Hesse, die sich mit seinem Leben und Wirken beschäftigt haben, sagen können: „Ein Held der Stadt.“

Die Verbindung zu einem der Häuser der Villa Kohnstamm weist einen Höhenunterschied von neun Metern auf.

Das einstige Sanatorium Kohnstamm im Ölmühlweg war international bekannt.

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