Taunusgymnasium diskutiert mit hessischem Finanzminister

Dr. Thomas Schäfer (hessischer Finanzminister), Svenja Appuhn, (Schülersprecherin Taunusgymnasium), Nick Pietzonka (Sprecher des Finanzministeriums). Foto: Krüger

Königstein (sk) – Der bundesweite EU-Projekttag an Schulen fand mittlerweile zum zehnten Mal statt. Im Rahmen der deutschlandweiten Europawoche vom 30. April bis 9. Mai diskutierten zahlreiche Spitzenpolitiker in ganz Deutschland mit Schülerinnen und Schülern über Europa, so auch im Taunusgymnasium am vergangenen Montag. Auf Veranlassung der Schülersprecherin, Svenja Appuhn, folgten der hessische Finanzminister, Dr. Thomas Schäfer, sowie der Sprecher des Finanzministeriums, Nick Pietzonka, und weitere hochrangige Referenten der Einladung des TGK zur Podiumsdiskussion über Europa. Der Theatersaal des Gymnasiums war bis auf den letzten Platz mit Schülern der Jahrgangsstufen 10 und aufwärts gefüllt. Das Podium besetzten der Finanzminister, die Schülersprecherin sowie der Sprecher des Finanzministeriums, der die Diskussion ruhig und moderat leitete. Drei große Themenkomplexe kristallisierten sich eingangs der Gesprächsrunde heraus: die Flüchtlingskrise, die Diskussion um TTIP sowie der Rechtspopulismus.

Auf die Frage, was Svenja Appuhn vorrangig bei dem Thema „Flüchtlingskrise“ bewege, stellte sie kurz klar, dass es auf dem Taunusgymnasium gar keine Flüchtlinge gebe, sie sich aber für die Zukunft wünsche, dass den Flüchtlingen der gymnasiale Schulzweig offenstehe. Sie frage sich, wie und ob die Integration von Flüchtlingen in das gesellschaftliche Leben und in den Arbeitsmarkt funktioniere. Noch genauer wollte ein Schüler aus dem Publikum von dem Finanzminister wissen, was die hessische Landesregierung ganz konkret für die Flüchtlinge unternehme. Dr. Schäfer erklärte, dass das Land mit 1,3 bis 1,5 Milliarden Euro die teils enormen Anstrengungen zur Erstunterbringung von Flüchtlingen finanziert habe, 800 zusätzliche Lehrer eingestellt und zusätzliche Stellen geschaffen habe, um schneller feststellen zu können, welche Flüchtlinge überhaupt Aussicht auf ein längerfristiges Bleiberecht in Deutschland haben. Etwa 25 Prozent der Flüchtlinge seien unter 14 Jahre alt, so der Finanzminister. Und diesen helfe die Landesregierung vornehmlich mit Angeboten zur Sprachförderung. Zu diesem Zweck werde die Anzahl der Lehrerstellen sukzessive erhöht. Denn nur, wer die deutsche Sprache verstehe, könne sich auch aktiv am Arbeitsmarkt beteiligen, bekräftigte der Minister.

Kritik wurde aus dem Publikum laut. „Sind die 1,3 oder 1,5 Milliarden Euro denn irgendwo anders eingespart worden?“, fragte ein Schüler und nahm damit Bezug auf ein vielfach zitiertes Argument rechter Parteivertreter. Das verneinte der Finanzminister klar mit Blick auf die gesunde finanzielle Lage seines Landes, die glücklicherweise eine Finanzierung der durch den Flüchtlingsstrom bedingten zusätzlichen Ausgaben ermögliche, ohne bereits verplante Töpfe angreifen zu müssen. „Wie begegnet ihr in der Schule dem Flüchtlingsthema?“ wollte Nick Pietzonka wissen. Die Schülersprecherin berichtete von bewegenden Bildern in den Medien, die die Schüler betroffen und teilweise auch wütend machten. Aber auch Ängste vor Arbeitsplatzmangel wegen des Flüchtlingsstroms werden von den Schülern formuliert, obgleich nach Ansicht von Svenja Appuhn eine solche Angst-Kultur an dem Taunusgymnasium nicht gelebt werde. Vielmehr thematisierten die Schüler den Erdogan-Deal. Auf die Frage, wie der Finanzminister dazu stehe, erklärte Thomas Schäfer, dass seiner Meinung nach nur ein gemeinsam gesteuerter europäischer Prozess sinnvoll sei, die Flüchtlingskrise zu meistern. Und deshalb betrachte er den Deal mit dem türkischen Staatspräsidenten als sinnvoll. Man könne sich halt nicht immer aussuchen, mit welchen Staaten man Vereinbarungen treffe; mitunter müsse man auch mit Staaten verhandeln, die eben nicht unserem Demokratie-Maßstab genügen, so Dr. Schäfer. Seiner Meinung nach könne man die Flüchtlingskrise nur in den Griff bekommen, indem man die Schlepperbanden bekämpfe, dadurch die Flüchtlingswege reduziere und internationale Regelungen, beispielsweise mit der Türkei treffe, um die Menschen vom ungeordneten Grenzübertritt abzuhalten. Gleichzeitig müsse man den Menschen Perspektiven in ihren Herkunftsländern aufzeigen, damit sie in ihrem Heimatland bleiben. „Auf jeden Fall haben wir eine humanitäre Verpflichtung zu helfen und Perspektiven zu schaffen“, so der Minister.

Svenja Appuhn sieht in der Verlängerung der Schulpflicht für Flüchtlinge bis zum 21. Lebensjahr eine praktikable Lösung, um das Bildungsniveau anzugleichen. Davon hält der Finanzminister wenig, da Bildung seiner Meinung nach nicht von starren Altersgrenzen abhänge. Zurzeit prüfe man, welche Möglichkeiten die Berufsschulen den Flüchtlingen bieten können. „War die Schließung der Balkanroute das richtige Signal?“ fragte der Ministeriumssprecher Pietzonka. Die Schülersprecherin verneinte und verwies auf den vielfach diskutierten europäischen Verteilerschlüssel, der ihrer Meinung nach zu gerechteren Ergebnissen innerhalb Europas führe.

Außerdem bekräftigte sie ihre Auffassung, dass „Menschenrechte nicht verhandelbar sind“, wofür sie aus dem Publikum großen Beifall erntete. Unter dem Stichwort „Einwanderungsgesetz“ oder „Integrationsgesetz“ erteilte der Minister der „ungeordneten“ Zuwanderung eine Absage, während er eine geordnete Zuwanderung ähnlich wie in den USA oder Kanada mit Blick auf unsere demografische Entwicklung als vorteilhaft betrachtet. Dabei sei er sich sehr wohl der Gefahr bewusst, sich in nationalen Egoismen zu verrennen. Das müsse verhindert werden, indem Europa für die nächsten Generationen in den Fokus gerückt werden muss. Fragen danach, wie Europa in 30 oder 50 Jahren aussehe, kommen nach Ansicht von Dr. Schäfer zu kurz. Heute entscheiden Politiker über Themen, deren Auswirkungen erst in 30 oder 50 Jahren zu spüren sein werden, also zu einem Zeitpunkt, den die Entscheider nicht mehr erleben werden. Gerade deshalb ist es so wichtig, Europa als langfristiges Projekt zu sehen.

Reges Interesse zeigten die Schüler an dem nächsten Schwerpunktthema über das Transatlantische Freihandelsabkommen, kurz TTIP genannt (englisch: Transatlantic Trade and Investment Partnership). Darunter versteht man eine Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den USA, deren Vertragsbedingungen seit 2013 ausgehandelt werden. Mit der aktuellen Veröffentlichung von geheimen Verhandlungsdokumenten durch Greenpeace ist wiederholt erhebliche Kritik an der Intransparenz der Vertragsverhandlungen laut geworden. Der hessische Finanzminister wies derartige Kritik zurück.

Es habe noch nie ein transparenteres Freihandelsabkommen gegeben als dieses, so der Minister. Denn abgeschlossene Verhandlungseinheiten seien ja bereits im Internet veröffentlicht worden. Auf den Einwand eines Schülers, dass Greenpeace Leak ja nun gezeigt habe, dass die USA die höheren Standards in der EU unterlaufen möchten, reagierte der Minister mit dem gefühlten erhobenen Zeigefinger. „Vorsicht“, mahnte er seine jungen Zuhörer, „auch in den USA gelten hohe Standards“.

Dabei verwies er auf die VW-Abgasaffäre, die nicht von deutschen Behörden aufgedeckt worden sei, sondern von amerikanischen. Die jungen Zuhörer ließen sich von dieser Erklärung kaum beeindrucken und bohrten weiter. Könne man immer noch von Transparenz sprechen, will ein Schüler wissen, wenn die USA laut der geheimen Greenpeace Dokumente auf die Einfuhr von gentechnisch veränderten Lebensmitteln drängten, während Europa diese weitgehend verbiete? Müsse den Verbrauchern nicht offengelegt werden, welche gegensätzlichen Fronten die Verhandlungsparteien aufgebaut haben? Bislang hieß es, die europäischen Bürger müssten keine Sorgen und Bedenken haben, doch die Greenpeace Dokumente zeigten ein anderes Bild. In der darauffolgenden Diskussion verwarf Dr. Schäfer die Einwände der Schüler und betitelte die Debatte über genmanipulierte Lebensmittel als „scheinheilig“. Er sprach von einer moralischen Überhöhung der Deutschen, wenn es um genmanipulierte Lebensmittel gehe. Denn die Deutschen seien einfach nicht bereit, ordentlich Geld für ihre Nahrungsmittel zu bezahlen. Dass es den jungen Schülern hierbei nicht um die grundsätzliche Diskussion über genmanipulierte Lebensmittel ging, sondern um ihr Grundverständnis von Transparenz politischer Entscheidungsfindungen, die sie als junge europäische Bürger und Verbraucher betreffen, fand keine tiefergehende Betrachtung.

Das letzte Schwerpunktthema Rechtspopulismus leitete die Schülersprecherin ein mit den von der AfD geschürten Ängsten zu den Themen Flüchtlingskrise, soziale Ungerechtigkeit, Arbeitsplatzmangel, unsichere Zukunft und unsichere Rente. Diffuse Ängste der Menschen seien meist das Ergebnis von Unwissenheit, weshalb sie für verbesserte Aufklärung plädiere. Dem stimmte Thomas Schäfer zu. Auf die Frage, welche Aufklärungsarbeit Hessen aktiv betreibe, erklärte der Minister, dass man vornehmlich über alle Themen offen rede und sich jeder Bürger über das Internet oder Broschüren des hessischen Ministeriums informieren könne. Problematisch sei jedoch, dass lediglich 50 Prozent der Bürger überhaupt an Politik interessiert seien. Ein Aufzwingen von Aufklärung funktioniere leider nicht. Hätten da nicht die etablierten Parteien viel früher gegenlenken und den Menschen die Ängste nehmen müssen, fragte eine Schülerin.

Der Minister erklärte, dass ein Großteil der Wähler der AfD aus dem deutschen Mittelstand komme. Leute, denen es nicht besonders schlecht gehe, die aber Angst haben, dass es ihnen künftig schlechter gehen werde, haben aus Verunsicherung die AfD gewählt. Dieses Phänomen der Angst habe man unterschätzt. Aber wie sich beim Blick in die Geschichte zeige, sei der politische Verbleib der AfD nicht garantiert. So gab es die NPD Ende der 60er-Jahre, die Republikaner in den 90er- Jahren und jetzt die AfD. Insbesondere die Politiker, aber auch die Medien sollten nicht den Fehler begehen, jeden Wähler der AfD als Nicht-Demokraten zu bezeichnen, sondern sich kritisch mit der AfD auseinander zu setzen, um den Quatsch, den die AfD erzählt, als Unsinn zu entlarven. Der AfD als Partei sollte man nicht so viel Beachtung schenken, denn jede Diskussion über die AfD bringe ihr mehr Nutzen als sie ihr schade.

Zum Abschluss der Podiumsdiskussion stellte Svenja Appuhn die Frage in den Raum, ob das Wahlrecht mit 16 Jahren eingeführt werden soll, damit die von der Bildungspolitik Betroffenen auf landespolitischer Ebene mitbestimmen könnten. Darin sieht der Minister keinen Sinn, denn seiner Meinung nach sei die Diskussion über die Reform des Wahlrechts und die damit verbundene Senkung des Wahlalters eine Phantomdiskussion, da dann alle anderen Rechtsbereiche ebenfalls reformiert werden müssten.



X