Verfechterinnen der Demokratie in Nöten

Königstein (bh) – Es ging ihnen um nichts Geringeres als den Kampf um die Werte der Demokratie, den etwa 160 Mainzer Klubbisten, die ab 1793 auf der Festung Königstein in Gefangenschaft, jedoch weder angeklagt noch verurteilt waren. Fünf Frauen waren darunter, denen lediglich ihre Verwandtschaft mit den tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedern des Mainzer Jakobinerklubs angelastet wurde. Politische Geiseln sozusagen. „Die Frauen der Demokraten in Festungshaft“, sie stehen nun im Blickpunkt des gleichnamigen 4. Sammelbandes, den Christoph Schlott, Vorsitzender des publizierenden Vereins Terra Incognita in der Buchhandlung Millennium vorstellte.

Die Briefe der bekanntesten unter ihnen, Caroline Böhmer, beschreiben die Zustände auf der Festung, aus der sie gerade entkommen war. „Gehen Sie hin, lieber Gotter, und sehn Sie den schrecklichen Aufenthalt, den ich gestern verlaßen habe – athmen sie die schneidende Luft ein, die dort herrscht … – sehn Sie die traurigen Gestalten, die Stundenweis in das Freye getrieben werden, um das Ungeziefer abzuschütteln, vor dem Sie dann Mühe haben sich selbst zu hüten … – denken Sie sich in einem Zimmer mit sieben andern Menschen, ohne einen Augenblick von Ruhe und Stille, und genöthigt, sich stündlich mit der Reinigung deßen, was sie umgiebt, zu beschäftigen, damit Sie im Staube nicht vergehn … – und dann ein Herz voll der tiefsten Indignation gegen die gepriesne Gerechtigkeit, die mit jeden Tage durch die Klagen Unglücklicher vermehrt wird, welche ohne Untersuchung dort schmachten, wie sie von ohngefähr aufgegriffen wurden … Meine Gesundheit ist sehr geschwächt – aber wahrlich die innre Heiterkeit meiner Seel so wenig …“, schrieb sie an die Freunde in Gotha, Friedrich Wilhelm und Louise Gotter, aus ihrem sich der Haft anschließenden Hausarrest in Kronberg. Die freigeistige und zugleich die für Frauen ihrer Zeit geltenden Regeln häufig ignorierende Bildungsbürgerin kam im Sommer 1793 auf Anordnung des preußischen Königs frei.

Eckart Kleßmann, der heute 83-jährige Biograf der Caroline Michaelis/Böhmer/Schlegel/Schelling, und den lokalhistorisch interessierten Leserinnen und Lesern vielleicht noch bekannt als Vortragsredner zur Einweihung der Bronzetafel zum Gedenken an die Gefangenen auf der Festung, fasst die Geschichte der weiblichen Inhaftierten zusammen.

Sein Aufsatz „Aufgeklärte Frauen, die Mainzer Republik und die Liebe zur Freiheit“ ist ein bedeutender Bestandteil dieses neuen Sammelbandes. Das vordergründige Motiv der Machthabenden zur Inhaftierung der fünf Frauen auf der Festung war wohl deren Rufschädigung, indem ihnen ein unmoralischer Lebenswandel angedichtet wurde.

Das präsentierte Buch enthält ein Faksimile der als Theaterstück getarnten anonymen Schmähschrift „Die Mainzer Klubbisten zu Königstein oder ‚Die Weiber decken einander die Schanden auf!‘“. Die Publikation erschien zur Diskreditierung der Frauen zu einem Zeitpunkt, als diese noch auf der Festung oder in Hausarrest waren. 1907 – mehr als ein Jahrhundert später – gab es gar eine Neuauflage, denn auch die zu Kaisers Zeiten herrschende politische Klasse hatte, wie Schlott es formulierte, „wenig Lust auf Demokraten.“

Die Schauspielerin Gertrud Gilbert ermöglichte den Zuhörerinnen und Zuhörern in der Buchhandlung Millennium durch ihre empathische Lesung der zeitgenössischen Texte einen schnellen Einstieg in die Thematik dieses 4. Sammelbandes. Christoph Schlott erinnerte zum Abschluss der Präsentation daran, dass die Inhaftierten junge Menschen waren, die sich für die Demokratie eingesetzt hatten. Er verband dies mit der Hoffnung, dass auf einen Aufstand der Teens und Twens gegen eine ungerechte Herrschaft auch heutzutage gezählt werden darf. Was er wohl meinte: Geschichte wiederholt sich. Wiederholt sich Geschichte?

Eine virtuose Textinterpretin: Gertrud Gilbert.

Lore und Joachim Hetze, die Sponsoren der 1993 eingeweihten Bronzeplatte zum Gedenken an die Gefangenen, freuten sich über die Buchvorstellung.

Fotos: Heute

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