Braucht die Arbeitswelt nur noch Smartphone und Notebook?

Schneidhain
(gs) – Der „Offene Treff für Jedermann“ setzte seine diesjährige Vortragsreihe zum Thema: „Fluch oder Segen – Wie Digitalisierung unser Leben beeinflusst!“ mit einem sehr interessanten Vortrag zum Thema: „Digitalisierung der Arbeitswelt – Strukturelle und persönliche Erfahrungen“ fort. Dr. Christian Lauer hatte mit Oliver Moschner-Schweder einen Referenten eingeladen, der sich bestens in der Materie auskannte. Als Produktmanager eines großen globalen Industrieautomatisierers ist er seit Jahren auch in Politik und Verbänden aktiv und setzt sich mit der Materie auf vielen Ebenen auseinander. Mit seiner These, die Digitalisierung sei ein schleichender, unumkehrbarer Prozess, der vielfach vordergründig unbemerkt bliebe, leitete er einen Vortrag ein, der vielen Anwesenden einen ganz neuen Einblick in die moderne Arbeitswelt eröffnete.

Oliver Moschner-Schweder startete mit einem Einblick in die moderne Welt eines Kundendienstmitarbeiters. Da Unternehmen heute einen umfangreichen Kundendienst erwarten, der schnell und kompetent alle Probleme zu lösen in der Lage ist, müssen die Mitarbeiter im Kundendienst („an der Front“) in der Lage sein, unterschiedlichste Problemlösungen innerhalb kürzester Frist anzubieten. Technische Spezialisierung hilft dort nicht mehr, wo komplizierte Automationsanlagen repariert werden müssen. Die Lösung dieses Problems heißt „Augmented Reality“ und ist der Jugend aus Onlinespielen wie „Pokemon Go“ hinreichend bekannt. Weniger bekannt ist deren Einsatz in Unternehmen. Der Kundenmonteur vor Ort trägt eine Datenbrille, mit deren Hilfe er ein Bild der defekten Anlage in ein Kundencenter überträgt. Dort sitzt ein entsprechender Fachmann, der dem Monteur vor Ort die notwendigen Teile und Arbeitsschritte über die Datenbrille in sein „Bild“ einspielt. Der Monteur führt die „optischen“ Anweisungen des Fachmannes aus und ist so in der Lage, verschiedenste Reparaturen an den unterschiedlichsten Anlagen durchzuführen. Einziges Problem dieses Verfahrens ist das notwendig schnelle Datennetz – vor Ort ist es oft nicht leistungsstark genug. Darüber hinaus müssen Bedenken der Unternehmen zum Thema der Datensicherheit geklärt werden. Hier zeigen sich zwei große Themen, für die in der Zukunft eine praktikable Lösung gefunden werden müsste. In der Produktion hingegen werden vermehrt Fertigungsroboter eingesetzt. Abgesehen von den „klassischen“ Anwendungen beispielsweise in der Automobilindustrie, kommen heute vermehrt „Exoskelette“ zur Anwendung. Sie gleichen mechanisch unterstützten Arbeitsanzügen, die es dem Mitarbeiter ermöglichen, dank der Maschinenkraft schwere Dinge zu bewegen und die Feinmotorik des Menschen mit der Grobmotorik der Roboter zu kombinieren. Durch diese körperliche Kombination verschwimmt die Grenze zwischen Mensch und Maschine sowohl visuell, als auch praktisch. Darüber hinaus unterstützen „kollaborierende Roboter“ die Menschen etwa durch die Handreichung schwerer Bauteile, deren Einbau der Mitarbeiter vornimmt.

Folgen für Mitarbeiter mit geringer

Qualifikation

Moschner-Schweder wies an dieser Stelle darauf hin, dass die Roboter naturgemäß einfache, sich ständig wiederholende Tätigkeiten übernehmen und diese „einfachen“ Arbeitsplätze in Zukunft fehlen würden. Mitarbeiter mit geringer Qualifikation würden in Zukunft immer weniger gebraucht, was faktisch einem fortschreitenden Arbeitsplatzabbau gleichkäme. Nicht nur in der Produktion und im Kundenservice, sondern auch im Handwerk nimmt der Grad der Digitalisierung rasant zu. Hier betrifft sie weniger die Auftragsausführung, sondern eher die Arbeitsvorbereitung. Es finde, so Moschner-Schweder, eine zunehmende Vernetzung statt. Oft kann der Handwerker schon im Beratungsgespräch vor Ort mit Hilfe seines Tablets und der entsprechenden Anwendungsprogramme Räume exakt vermessen, die gewünschten Arbeiten visualisieren und eine erste Kostenkalkulation erstellen. Der Handwerker von früher wird zunehmend zum „Programm-Anwender“ und muss entscheiden, welches Programm welche Lösung für den Kunden bietet und wie sinnvoll dieses einsetzbar ist. Die notwendigen Kompetenzen zur erfolgreichen Führung eines Handwerkbetriebes ändern sich unaufhaltsam und fordern entsprechende Kenntnisse der Mitarbeiter. Eine weitere Branche, die von der Digitalisierung stark betroffen ist, sind die Logistikdienstleistungen. Pick-Roboter, die in den Zentralen großer Logistikdienstleister selbständig Waren in Lagern aus- und einräumen können, sind heute schon real. Darüber hinaus ist die Entwicklung der Roboter weit fortgeschritten, die in der Lage sein werden, selbständig angeforderte Waren aus verschiedenen Lagerorten zusammenzutragen und als Bestellung zusammenzustellen. Auch die Verwaltungs- und Bürolandschaft ist einer Veränderung durch Digitalisierung unterworfen. An erster Stelle steht die Datenverwaltung, die heute fast nur noch digital erfolgt und damit unzählige „Archivare“ und Bürogehilfen überflüssig machte. Wie an vielen anderen Stellen sieht Moschner-Schweder auch hier das Problem, dass Niedriglohn-Arbeitsplätze ersatzlos entfallen werden. Eine weitere „Errungenschaft“ ist das mobile Büro, von dem sich viele Mitarbeiter mehr Freiheit bei der Einteilung ihrer Arbeitszeit versprachen, was aber erwiesenermaßen zu dem Anspruch einer ständigen Erreichbarkeit und unzähligen, unbezahlten Arbeitsstunden führte.

Verlust sozialer Interaktion

Maximale Flexibilität und Mobilität stehen hier dem weitgehenden Verlust von sozialer Interaktion gegenüber, denn mit einem mobilen Büro trifft man keinen Mitarbeiter in der Kaffeeecke, um kleine Probleme auf dem kurzen Dienstweg zu lösen oder ein paar persönliche Worte auszutauschen. Der Mitarbeiter ist im Job alleine, mit nur kurzen und unverbindlichen Kontakten. Zudem entziehen sich die Home-Office Arbeitsplätze, deren Ausstattung und die Arbeitszeiten jeglicher Kontrolle durch beispielsweise Betriebsräte. Moschner-Schweder stellte die berechtigte Frage, ob dieses wirklich der Traum vieler Mitarbeiter sein. In Büros gäbe es immer öfter „Shared Desks“, die anwesende Mitarbeiter jeden Tag neu besetzen können. Der Mitarbeiter hat also keinen festen Arbeitsplatz mehr im Büro, sondern muss sich jeden Tag einen neuen Tisch zum Arbeiten suchen. Sein persönlicher Besitz befindet sich derweil in einem Schließfach. Keine Pflanze, kein Familienfoto und keine Statement-Tasse zeugen mehr von der Persönlichkeit des Mitarbeiters. „Eigentlich braucht es zur modernen Büroarbeit nur noch ein Smartphone und ein Notebook“, fasst Oliver Moschner-Schweder abschließend zusammen. Um diesen veränderten Arbeitsanforderungen gerecht werden zu können, bedürfe es einer veränderten Bildungslandschaft und es stelle sich im Hinblick auf die anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt die Frage, ob die Form des „Frontalunterrichts“ noch zeitgemäß sei. Wir müssen das Lernen lernen und uns den Fragen stellen „Sind wir der erwachenden künstlichen Intelligenz gewachsen?“ und „Was ist Lernen?“ Wenn wir meinen, dass lernen: „Infos aufnehmen – sie neu verknüpfen – Neue Infos erhalten“ bedeutet, so müssen wir feststellen, dass Computer heute auch schon lernen. Ein bedrückender Gedanke! Oliver Moschner-Schweder stellte in seinem Vortrag die unterschiedlichsten Aspekte der Digitalisierung vor und war aufgrund seiner großen Erfahrung in der Lage, diese für alle Gäste interessant und erlebbar darzustellen. Durch seine Arbeit in politischen Gremien und Verbänden setzte er sich sehr kritisch mit dem Thema auseinander und machte eindringlich auf die Gefahren der Digitalisierung aufmerksam, ohne diese jedoch negativ darzustellen. Vielmehr war es ihm ein Anliegen seine Zuhörer darauf aufmerksam zu machen, dass ein großer Regelungsbedarf für einzelne Arbeitsformen notwendig sei und dieses Thema einen größeren Stellenwert einnehmen sollte, als es das heute tut. „Herausforderungen brauchen neue Ideen“, war ein Fazit seines Vortrages, dem man sich ganz sicher anschließen kann.

Dr. Christian Lauer (links) im Gespräch mit dem Referenten Oliver Moschner-Schweder.

Foto: Scholl



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