Familienmensch im Ministerium sieht ein gutes „Miteinander der Generationen“

Schneidhain (hhf) – „Herr Siegberg grüßt aus Hamburg“, daher vertrat ihn Dr. Wolfgang Scheiding als Moderator im „Offenen Treff für jedermann“. Vielleicht wegen des jüngst gefallenen Schnees hatten sich diesmal nur 20 Zuhörer im evangelischen Gemeindehaus am Hohlberg eingefunden, die aber wurden direkt angesprochen: „Wer kennt noch Drei- oder Viergenerationenhäuser? – Vielleicht hier noch einige?“, eröffnete Wolfgang Scheiding den sechsten Vortragsabend zum Jahresthema „Altersbilder im Wandel der Gesellschaft“. Für die Kindergeneration sei so etwas aber kaum noch vorstellbar, zumal eine erhöhte Mobilität in der Gesellschaft einen frühen Umzug des Berufes wegen geradezu fordert. „Die jungen Leute wollen schnell selbstständig werden“, vielleicht auch der Kontrolle der Eltern entrinnen, kompensiert wird dies dann gerne durch moderne Medienangebote wie „WhatsApp“: „Diese Technologie ist wichtig, um mit den Enkeln zu kommunizieren.“

Es ist also durchaus ein „Nebeneinander der Generationen“ zu verzeichnen, doch verbindet sie auch noch einiges. Dazu hat sich nun auch die Hessische Landesregierung das Ziel gesetzt, die Verständigung zwischen den Generationen wieder zu verbessern und generationenübergreifende Projekte zu fördern. Was lag daher näher, einen Referenten aus diesem Gremium einzuladen, um ihn über den Stand der Dinge zu befragen?

„Miteinander der Generationen“ war der Vortrag von Dr. Wolfgang Dippel überschrieben, der seit 2014 als Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration tätig ist. Mit „fast 61 Jahren“ zählt er zwar noch zu den „jüngeren Älteren“, blickt aber schon auf ein Leben voller unterschiedlichster Erfahrungen zurück. Nach dem Hauptschulabschluss hat er „den zweiten Bildungsweg konsequent genutzt“, studierte schließlich Sozialwesen, politische Wissenschaft und Erziehungswissenschaften an der Gesamthochschule Kassel. Nach fünf Jahren als Geschäftsführer des CDU-Bezirksverbandes Kurhessen-Waldeck wechselte der gelernte Industriekaufmann 1998 als Referent zum Landeswohlfahrtsverband und bekleidete ab 2004 für zehn Jahre das Amt des Bürgermeisters in Fulda, bevor er ins Ministerium nach Wiesbaden wechselte.

Zu all diesen Facetten kommt noch eine wesentliche Kompetenz hinzu: „Ich bin in Nordhessen geboren und zur Schule gegangen“, um die mittlerweile 92-jährige Mutter kümmert er sich noch immer. Ähnlicher Familiensinn schien auch Ex-Bundespräsident Horst Köhler nicht fremd: „Wollen wir uns ausmalen, was passiert, wenn Jung und Alt in Deutschland entdecken, was sie gemeinsam möglich machen können“, formulierte er seinen Traum, in dem sich „Ungestüm und Neugier der Jugend“ mit der „Erfahrung und Gelassenheit der Älteren“ zu etwas Gutem verbinden.

Damit vertrat er auch ganz die Meinung von Wolfgang Dippel, der auch aus eigener Erfahrung beipflichtete: „Die ältere Generation hat eine Vorstellung davon, wie sie leben will“, während die Kinder gerade Erfahrungen sammeln, was alles möglich ist, zum Beispiel bei einem Aufenthalt in den USA der Sprache wegen, in Ausbildung in Norwegen oder auch in Wohngemeinschaft mit dem Papa. „Wir haben uns für dieses Familienmodell entschieden, das muss nicht richtig sein“, wenn aber, dann sollten die Kinder sowohl genügend Freiraum für eigene Erfahrungen bekommen als auch Unterstützung der Eltern. Diesen wiederum müssen ebenfalls persönliche Interessen zugestanden werden, zum Beispiel das Ziel, so lange wie möglich selbstbestimmt leben zu wollen, alleine oder vielleicht in einer Wohngemeinschaft. Allein die Frage „wer soll mich begleiten“ scheint dabei offen zu bleiben, Kinder und Nachbarn sind weggezogen, die Rentnerbank auf dem Land steht leer, aber „auch in der Großstadt vereinsamen Alte“.

In Hessen leben zur Zeit schon 1,2 Millionen Menschen über 65 Jahre, das entspricht einem Fünftel der Bevölkerung, 2030 wird es voraussichtlich ein Drittel sein. 70 Prozent der 205.000 Pflegebedürftigen werden heute noch zu Hause versorgt, doch sieht die Zukunft deutlich anders aus. Dazu kommt, dass die Entwicklung der verschiedenen Regionen schon immer sehr unterschiedlich verläuft: „Es gab Stadtflucht und nun wieder Landflucht“, stets eine Herausforderung für die Politik: „Wir müssen Veränderungen auf den Weg bringen.“ Besonders nahm der Staatssekretär dabei die Kommunen in die Pflicht, die sich auf unterster Ebene um Attraktivität bemühen sollen. Während der Staat zum Beispiel die Weichen bei Krankenkassen, Infrastruktur, beratend tätigen Pflegestützpunkten oder ärztlicher Versorgung anders stellen müsse, ist auch jeder Einzelne gefragt, sich zum Beispiel mit den Nachbarn in Verbindung zu setzen: „Versuchen Sie, Kontakte zu finden.“ Letzteres gilt besonders für die ältere Generation („Wir wollen uns einbringen ins Umfeld“), ganz gleich ob die Mutter mit 92 Jahren noch zum Kirchenchor geht oder der Bürgermeister sich freut, weil Rentner zum Vorlesen in den Kindergarten kommen: „Wir Alten werden noch gebraucht.“

Ob im Ehrenamt, bei Patenschaften (auch im Berufsleben) oder als Zeitzeugen – es gibt unzählige Berührungspunkte zwischen den Generationen im Alltag: „Menschen unterschiedlichen Alters sollten sich in ganz verschiedenen Lebenssituationen zusammenfinden“, das kann sogar im Studium geschehen. Aufklärungsbedarf sieht die Landesregierung noch beim Thema „Verteilungskampf“, doch auch hier sollte Transparenz die Fronten aufweichen und zu ähnlichen Erkenntnissen führen wie im Sport: „Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, kann man viel bewegen.“

Das Gleiche gilt nebenbei bemerkt auch für das Miteinander von Einheimischen und Zuwanderern, stets vorausgesetzt, dass der Staat die passenden Rahmenrichtlinien vorgibt, so wie es damit auch denkbar wäre, vielleicht doch wieder mehr Kinder zu haben: „Wir sind das reichste Land der Welt, warum entscheiden wir uns trotzdem nicht für Nachwuchs?“ Zur Beeinflussung der menschlichen Entscheidungen gibt es jedoch kein Patentrezept, nicht mal mit fiskalischen Anreizen kann der Staat sichere Erfolge erzielen. Und da, wo es den Wähler richtig freuen würde, passte der Staatssekretär schließlich, wenn auch ungern: „Ich gebe es nach 45 Berufsjahren auf, dass wir die Bürokratie vereinfachen und weniger Gesetze machen.“

Auch seine Dissertation wird zur Zeit überprüft: Der Lebenslauf von Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel, der nun im Offenen Treff referierte, spricht eigentlich nicht für ein Plagiat. Wer sich vom Hauptschulabsolventen über kaufmännische Lehre und Bundeswehr bis zum Diplom-Sozialarbeiter fortgebildet hat, dürfte auch den Doktorgrad als Ehrensache behandeln.

Foto: Friedel



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