„Umfangreiche Reformen sind alternativlos“

„Für mich heißt Offener Treff auch offene Worte“, das sei auch von seinem Chef abgesegnet, solange er niemanden beleidige ... Auch ohne zielgerichtete Kraftausdrücke gelang es Robert Halver, im Publikum ein gewisses Unbehagen auszulösen, als es um die finanzielle Zukunft der Europäischen Union ging. Foto: Friedel

Schneidhain (hhf) – Nach einer „Bestandsaufnahme“ im ersten Vortrag ging es zum zweiten Termin im „Offenen Treff für jedermann“ bereits so konkret zur Sache, dass Moderator Dr. Christian Lauer inständig hoffte, die Überschrift „Ist Europa (wirtschafts- und finanz-) politisch noch zu retten?“ sei nur eine rhetorische Frage. So ganz wurde diese Hoffnung aber nicht erfüllt, denn Referent Robert Halver ist zwar auch für brillante Rhetorik bekannt, vor allem aber für klare Aussagen über das Geschehen in der Finanzwelt, und da liegt eben einiges im Argen.

Nach dem BWL-Studium hatte der heutige Schneidhainer schon in seiner ersten Anstellung bei der Sparkasse Essen mit der Analyse von Wertpapieren zu tun, die er schnell auf internationale Kapitalmarkt-Analyse erweiterte. Über den Posten eines Direktors bei der schweizer Privatbank Vontobel führte ihn diese Fähigkeit schließlich zur Baader-Bank in Frankfurt am Main, wo er als Leiter der Kapitalmarkt-Analyse fungiert und auch für die Außendarstellung des Unternehmens zuständig ist. Langjährige Erfahrung gepaart mit regelmäßigen Auftritten in Funk und Fernsehen haben ihm schon zum Ehrentitel „Mr. Dax“ in der F.A.Z. verholfen.

Bevor er sich den unvermeidlichen Zahlen zuwandte, beschäftigte sich der Analyst allerdings erst einmal mit den aktuellen Rahmenbedingungen für deren Entstehung: „Macron hat jetzt fünf Jahre Zeit, eine tickende Zeitbombe zu entschärfen“, denn wenn der Mann der Mitte in Frankreich versage, sei danach sicher ein Extremer am Ruder und Europa wäre am Ende. Die Briten dagegen „werden in die zweite Liga absteigen“, ihre Bänker bald auch nach Frankfurt kommen, denn hier hat die EU noch einmal zusammengehalten und nicht zugelassen, dass der erste Dominostein beim Fallen die anderen mitreißt.

Trotzdem sieht Halver die EU als eine „GmbpwH“, eine Gesellschaft mit begrenzter politischer und wirtschaftlicher Haftung, die zu wenig Wertepolitik betreibt, obwohl diese immer wieder heftig diskutiert werden. So könnte nach seiner Einschätzung Griechenland sehr wohl zum Domino-Effekt führen, wenn es die Euro-Gemeinschft verlässt und mit schwacher Drachme das landwirtschaftliche Gefüge zu seinen Gunsten verschiebt: „Die Griechen müssen politisch in der Eurozone gehalten werden“, obwohl sie – ohne faul zu sein – ihre Schulden wohl nie bezahlen können.

Die „Stabilitätsunion“, zu deren Gunsten Deutschland die D-Mark aufgegeben hat, erscheint derzeit als ein „Etikettenschwindel“, dennoch ist es wichtig, in einer globalen Welt gegen andere Wirtschaftsgrößen zusammenzuhalten. Dazu muss vor allem schon jetzt an der Zukunft gearbeitet werden: „Niemand sollte sich darauf ausruhen, dass es Deutschland zur Zeit gut geht.“ Das hängt nämlich vor allem daran, „dass wir das Industriezeitalter beherrschen“, aber die Digitalisierung steht schon in der Tür und hat die BRD bereits auf Platz 12 in der Wettbewerbsfähigkeit absinken lassen. Zum Beispiel findet die Wertschöpfung im Bereich Social media fast ausschließlich in den USA statt.

Das Kapital aber „ist mobil wie das Rehlein hier im Wald“, Abwarten ist daher wirtschaftlich tödlich – da nutzt auch ein hoher DAX nichts, wenn die dort geführten Unternehmen im Ausland investieren. Anstatt nun den Brexit zu verzögern und damit wegen der unklaren politischen Lage Investitionen zu zurückzuhalten, sind die einzelnen Mitgliedsstaaten gut beraten, sich so zu reformieren, dass sie wieder als attraktive Wirtschaftsstandorte gelten. Dann kommen Unternehmen, daraus resultieren Arbeitsplätze und Wohlstand, der Konsum steigt und mit diesen Steuern ist die soziale Gerechtigkeit bezahlbar, die derzeit auf Pump finanziert wird. Im anderen Fall wandert schließlich mit dem Geld auch das Know-how ins Ausland ab.

Um dieser „Globalisierungsfalle“ zu entgehen, braucht es dringend mehr Einigkeit in der EU, die, wenn es schon keine Liebesbeziehung ist, wenigstens eine Vernunftehe hinbekommen muss. Dabei besteht das größte Problem darin, dass die EZB derzeit Sozialpolitik betreibt statt Geldpolitik, nämlich die Zinsen niedrig hält, damit die schwächeren Länder ihre Staatshaushalte finanzieren können. Das führt jedoch in einen Teufelskreis, da das Signal eindeutig ist: Anstrengungen lohnen sich nicht. Das erkennt auch der Wähler und macht kein Kreuz, wenn ein Politiker die notwendigen, aber eben unangenehmen Reformen angehen will.

Nicht alle Ideen zur Wirtschaftsförderung sind aber dem Bürger zuwider, so steht unter anderem an, mit den derzeitig niedrigen Zinsen in die Infrastruktur zu investieren, wie es auch nach dem Zwieten Weltkrieg sehr erfolgreich geschehen ist, unter anderem bessere Straßen und mehr Kinderbetreuung könnten positive Folgen für alle sein: „Solche Jahrhundertzinsen muss man nutzen“ und Volksvermögen schaffen.

Wenn die EZB („Einer zahlt bestimmt“) ihre Geldpolitik nicht ändert, steigt die Inflation und „der kleine Mann zahlt die Zeche“ – schon jetzt ist aus Altersvorsorge vielerorts Alterssorge geworden und viele Geldanlageformen lohnen sich nicht mehr. „Wir ersaufen in Liquidität und die Banken geben keine Kredite“, Geld bekommen nur die, die es nicht brauchen. Der Fachmann empfiehlt daher neben Immobilien, die freilich auch zu einer „Blase“ verteuert werden können, für die Zukunftssicherung auf Aktien zu setzen. Die seien zwar auch nicht wirklich sicher, doch im Vergleich zu den Alternativen derzeit die vernünftigste Variante, denn die Aktien koppeln sich von politischen Risiken ab. Unternehmen setzen auf die Globalisierung, daher geht es ihnen unabhängig von einzelnen Standorten gut.

Abschließend appellierte Robert Halver noch einmal dringend an die Politik: „Umfangreiche Reformen sind alternativlos zur Rettung Europas“, die Hoffnung will er da noch nicht aufgeben, aber es wird schwer. Dennoch ist es unbedingt nötig, in den Augen der Investoren wieder attraktiver zu werden, denn das wusste schon Martin Luther: „Aus einem verzagten Hintern kommt kein fröhlicher Furz.“

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