Bei Diamantpaar Greisner spielt Schrift eine Hauptrolle

Neben dem Rosengärtchen zählt die Büchersammlung zu den Lieblingsorten im Haus des Jubelpaares Annemarie und Dr. Walter Greisner. Foto: Puck

Falkenstein (pu) – „60 Jahre – das sind nicht nur Rosengarten und gebrochene Beine.“ Mit diesen humorvollen Worten begann Annemarie Greisner ihren Rückblick auf den gemeinsamen Weg, den sie mit ihrem Mann Walter seit der Schließung des Ehebundes am 29. August 1960 zurückgelegt hat. Am letzten Samstag feierte das Paar auf eigenen Wunsch hin seine Diamantene Hochzeit als kleines Straßenfest im Kreis von Familie, Nachbarn, Freunden und Bekannten. Dieses Mal hoffentlich unfallfrei, denn mit der Aussage „gebrochene Beine“ spielte die Jubelbraut vor allem auf einen Vorfall an, der sich ausgerechnet am Tag der Goldenen Hochzeit vor zehn Jahren ereignete, als sie sich während einer Schifffahrt das Bein brach. „Noch im Hubschrauber habe ich meinem Mann jedoch versichert, dass ich trotzdem weiterhin mit ihm gehe“, erzählt sie schmunzelnd.

Es hat sofort gefunkt

Erstmals kreuzten sich die Wege der in Essen Geborenen am 7. Februar 1959 auf einem Fastnachtsball der Ruderer. Beschwingt von der Erleichterung der am Tag zuvor erledigten schriftlichen Abiturprüfungen war die damals 19-jährige Annemarie Röttgen gerne dem Tipp eines Onkels namens Rolf gefolgt, zur Entspannung vom Lernen diese Veranstaltung zu besuchen. Eine Entscheidung, die augenblicklich zwei Leben verändern sollte. „Es hat sofort gefunkt, ich habe mich in die Hände von diesem Mann verliebt“, schilderte die mittlerweile 81-Jährige, ihren Liebsten glücklich anstrahlend, den schicksalhaften Moment. Derart von Amors Pfeil getroffen und in der sicheren Gewissheit, zueinander zu gehören, ließen die Jungverliebten gerade mal vier Tage bis zum Wiedersehen am Aschermittwoch vergehen; schon im Sommer wurde Verlobung gefeiert. Ein Powerpaar hatte sich gefunden!

Der beim Kennenlernen 30-jährige Bräutigam in spe war nicht nur ein hervorragender Ruderer und Teamplayer im Achter, sondern nach dem zweiten Staatsexamen zum Rechtsanwalt zugelassen worden. Zuvor hatte er nach Notabitur 1944, paramilitärischer Ausbildung, Nachkriegsabitur 1947 und einer Lehre im Essener Verlag Girardet zum Schriftsetzer und Drucker, in Köln und Hamburg Rechtswissenschaften studiert. Im Jahr, als er seine Liebste zum Traualtar führte, begann er als Lektor des Rechts- und Staatswissenschaftlichen Verlags Carl Heymann, weshalb das Paar nach Köln umzog. Beruflich das ein Jahr zuvor abgelegte pharmazeutische Examen in der Tasche, ging Annemarie Greisner nach der Geburt der ersten Tochter Inken 1962 in ihrer Mutterrolle auf. Zwei Jahre später erblickte Söhnchen Folker das Licht der Welt. Kurz darauf galt es, den Hausrat des Quartetts in Umzugskisten zu packen, nachdem der Familienvater nach der Promotion mit einer Dissertation „Die Identitätsprüfung nach Deutschem Patentrecht“ als Geschäftsführer bei der Bauerschen Gießerei in Frankfurt am Main anfing.

Kronberger Zeit

Fortan war der Lebensschwerpunkt rund um den neuen Wohnort in Kronberg im Taunus ein extrem wichtiger Meilenstein in der beispielhaften Familiengeschichte. Durch die Geburt der Kinder Theda (1965) und Henrik waren Greisners 1967 zu sechst, und man hätte meinen können, damit hätte die Mutter und Hausfrau mehr als ausfüllende Beschäftigung gehabt. Dennoch fand sie noch die Zeit für Vertretungen in der Kronberger Hofapotheke. Durch eine neuerliche berufliche Veränderung von Ehemann Walter, der in den Vorstand der D. Stempel AG mit Verbindungen in Europa und Amerika berufen wurde, nahm das Familienleben weiter an Fahrt auf. Grund war die revolutionäre Entwicklung vom Bleisatz zur digitalisierten Letter im grafischen Gewerbe, an der die D. Stempel AG, neben Unternehmen wie der H. Berthold AG, der Bauerschen Gießerei sowie der Gießerei Gebr. Klingspor (eines der bedeutenden Schrifthäuser des 20. Jahrhunderts) wesentlich beteiligt war. Dazu zählte auch die Mitarbeit an neuen Gesetzen zum Urheberrecht. Einige Zeit brachte die berufliche Arbeit des Familienoberhaupts mehrmonatige Aufenthalte zwecks Sprachstudien mit den Kindern in den Niederlanden mit sich. Doch damit noch nicht genug.

Buch unseres Lebens

„Man kann mit Fug und Recht behaupten, Helvetika ist das Buch unseres Lebens“, stellt das Diamantpaar heraus. Diese Aussage wird untermauert durch Annemarie Greisners Zweitstudium der Literatur- und Musikwissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, ihre regionale und überregionale Zeitungsarbeit ab 1984, ihre ehrenamtliche Arbeit unter anderem bei der Steuben-Schurz-Gesellschaft und ihre Aufgabenbereiche als Präsidentin und vielem mehr im Diskussionskreis Taunus. Ihr Ehemann, der Ende der 80er Jahre ausschließlich als Rechtsanwalt tätig war, zuletzt bei Clifford Chance in Frankfurt, setzte ebenfalls zahlreiche Akzente durch ehrenamtliches Engagement für Kulturgesellschaften, Museen und Bibliotheken. Dabei sticht eine gemeinsame Liebe des Ehepaares heraus: die zur 1993 als Internationale Kammermusik-Akademie Kronberg entstandenen Kronberg Academy Stiftung, an deren Geburt und Entwicklung Greisners aufgrund einer langjährigen privaten Freundschaft zu Geschäftsführer und Künstlerischem Leiter Raimund Trenkler als Gründungsmitglied beziehungsweise Gründungspräsidentin des Fördervereins beteiligt waren. Für sein beispielhaftes Wirken wurde Dr. Walter Greisner im Jahr 2000 durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes ausgezeichnet. Zum Ehrenmitglied der ATypi (Internationale Typografie Organisation, die der Typografie und Schriftgestaltung gewidmet ist) war er schon Jahre vorher gewählt worden. Bei seiner Ehefrau darf die Erwähnung der Vorstandsarbeit bei der Stiftung Kronberger Malerkolonie ebenso wenig fehlen wie Ballett als sportliches Hobby.

Gelebte Nachbarschaft

Seit 1975 lebt das Ehepaar in Falkenstein. „Ich weiß noch wie heute, als wir am Tag vor Heiligabend mit vier Löwen, drei Klapperschlangen, Hund und Meerschweinchen in ein unfertiges Haus einzogen“, plaudert Annemarie Greisner in ihrer nach wie vor erfrischenden Art aus dem Nähkästchen. Sie liebt ihren Rosengarten, womit sich der Kreis zur eingangs getroffenen Aussage schließt und seit 15 Jahren die Arbeit mit Keramik, vor allem das Formen von Engelchen. Ungebrochen verbindet das Jubelpaar die große Leidenschaft für Bücher, Bilder und die Opernbühnen der Welt.

Zu den Erfolgsrezepten auf dem Weg zum Erreichen des seltenen Fests der Diamantenen Hochzeit zählen beide auch den festen Willen des sich Wiederaufrappelns nach gesundheitlichen Problemen des fortschreitenden Alters, um noch ein paar Jahre den Werdegang ihrer vier Kinder und der zwei Enkelkinder Marie und Felix miterleben oder verreisen zu können. Als große Bereicherung empfinden sie darüber hinaus den großen Zusammenhalt der Nachbarschaft in ihrer Straße, der auch über die Corona-Zeit hinweghilft.



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