Einzelhandel schärfte Bewusstsein beim ersten Königsteiner Branchentreffen

Das erste Königsteiner „Branchentreffen Einzelhandel“ sollte u.a. Wege aufzeigen, um den Einzelhandel in der Kurstadt aufrechtzuerhalten. Foto: Puck

Königstein (pu/kw) – Schon vor dem „Brandbeschleuniger Covid-19-Pandemie“ war die Lage des stationären Einzelhandels als alles andere als optimal zu bezeichnen. 13 Monate durch das Coronavirus geprägtes Leben samt all seinen Begleiterscheinungen haben die Situation jedoch nochmalig immens verschärft. Nach vorliegenden Studien droht nach Aussage von Michael Reink, dem Bereichsleiter Standort- und Verkehrspolitik des Handelsverbands Deutschland, 80.000 bis 120.000 Einzelhändlern in Deutschland als Auswirkung auf verändertes Einkaufsverhalten und die Pandemie bis 2023 ohne weitere Hilfen die Geschäftsaufgabe. Um die ganze Dramatik dieser Zahlen noch besser einordnen zu können: Im Zeitraum 2010 bis 2019 gingen bereits 39.0000 Geschäfte verloren.

Anlass genug, sich anhand von vorliegenden Studienergebnissen und Einschätzungen von namhaften Experten aus dem Bereich Handel und E-Commerce mit der ganzen Tragweite der aktuellen Gesamtlage zu beschäftigen und darüber hinaus nach Wegen zur Gegensteuerung zu suchen. Dieser Auffassung sind jedenfalls Bürgermeister Leonhard Helm und Jörg Hormann, Leiter des Stadtmarketings und der Wirtschaftsförderung, die vor wenigen Tagen auf die Förderung des gemeinsamen Informationsaustauschs zielend zum ersten „Königsteiner Branchentreffen Einzelhandel“ ins Haus der Begegnung (HdB) einluden.

Wichtiger Start

Der Rathauschef bezeichnete diese Veranstaltung als „wichtigen Start“. Gespräche seien notwendig, um abzuklopfen, in welchen Bereichen unter Umständen Verbesserungsbedarf besteht oder eine Nachjustierung des Fokus erfolgen sollte, um gemeinsam etwas bewegen zu können. „Zweifelsfrei kann man von einer Entwicklung sprechen, dass vieles verloren ging, was früher hier war, allerdings können wir uns in Königstein im Vergleich zu etlichen Kommunen gleicher Größenordnung noch glücklich schätzen, denn noch sind wir nicht am ‚Point of no return‘ angelangt, sondern haben es in der Hand, mit Service und Qualität gegenzusteuern und Wege zu finden, um den Einzelhandel aufrechtzuerhalten“, stellte der Bürgermeister in seiner Begrüßungsrede heraus. Den aktuellen Zeitpunkt bezeichnete er zur Diskussion als den richtigen. „Wir wollen vor Ende der Pandemie sehen, was wir tun können, damit wir möglichst wenig Zeit verlieren.“

Kurzer Einblick in die Studie

Zur Einstimmung stellte Jörg Hormann, der Leiter Stadtmarketing / Öffentlichkeitsarbeit / Wirtschaftsförderung und Tourismus, die Ergebnisse der Studie „Vitale Innenstädte 2020“ vor, an der sich Königstein im Taunus im letzten September erstmalig beteiligte, um aus den Ergebnissen Rückschlüsse für künftige Handlungsfelder zu erhalten.

Und die gute Nachricht ist: Die Königsteiner Innenstadt steht in dieser vergleichenden Studie des Instituts für Handelsforschung Köln (IfH) zu Innenstädten und Kundenverhalten gut da. Im Ergebnis der an einem Donnerstag und einem Samstag durchgeführten Befragung bewerteten Kunden die Kurstadt mit der Note 2,2. Damit schneidet Königstein besser ab als andere Städte vergleichbarer Größenordnung. In der Kategorie der Städte unter 25.000 Einwohner nahmen 23 Städte teil, darunter neben Kronberg im Taunus auch Mayen, Pritzwalk oder Sonthofen. 57,7 Prozent der Befragten kamen aus Königstein, 42,3 Prozent aus einem anderen Wohnort. 5,7 Prozent waren unter 20 Jahren, 9,3 Prozent zwischen 21 und 25, 24,6 Prozent zwischen 26 und 40 Jahre alt.

Die Punkte Flair, Atmosphäre, Grünflächen und Sicherheit wurden dabei als sehr positiv genannt. Im Bereich Angebot von Einzelhandel und Freizeit liegt Königstein im Durchschnitt, beim Thema Parken und Erreichbarkeit wird die Kurstadt unterdurchschnittlich bewertet.

Zur Rolle der Innenstadt befragt gaben 42,3 Prozent der Königsteiner*innen an, sie sei für sie ein Ort des täglichen Einkaufs, bei den Auswärtigen lag dieser Wert gar bei 59 Prozent. Zum Bummeln und Shoppen kommen 66 Prozent Königsteiner und 64,3 Prozent Auswärtige; als Ort zum Wohlfühlen bezeichneten 87 Prozent der Königsteiner*innen ihre Heimat, 84,5 Prozent Auswärtige. Zum Ausgehen geeignet ist Königstein im Taunus für 79,5 Prozent der Einheimischen und für 71 Prozent der woanders Lebenden. Als touristisches Ausflugsziel sehen die Stadt 81,1 Prozent der Königsteiner*innen und 62,1 Prozent der Auswärtigen.

Typischer Kurstadtbesucher

Bemerkenswert: 60 Prozent besuchen die Innenstadt trotz der aktuellen Bedingungen! Der typische Innenstadtbesucher ist nach vorliegenden Ergebnissen der Studie des Instituts für Handelsforschung eine 46-jährige Königsteinerin, die einmal pro Woche motorisiert zum Einkaufen, Restaurantbesuch, zum Arzt oder auch in ihrer Freizeit kommt.

Jörg Hormann sieht angesichts der positiven Rückmeldungen, die die Stärken Königsteins herausheben, eine Menge Potenzial und sich bestätigt: „Die Ergebnisse zeigen, dass das Königsteiner Flair, die schöne Atmosphäre, die Grünflächen gesichert und erhalten bleiben sollten. Auch im Bereich Sicherheitsgefühl können wir punkten.“

Schwachstellen

Als einer der großen Schwachpunkte neben der Parksituation haben sich bei der IfH-Kundenbefragung die fehlende digitale Sichtbarkeit und Erreichbarkeit der gesamten Stadt und damit auch des Einzelhandels herauskristallisiert. Den vorliegenden fundierten Daten zufolge suchen die Kunden im Digitalisierungszeitalter logischerweise nicht nur mehr über das Internet, sondern nutzen in der Pandemiezeit verstärkt das Online-Bestellangebot. So gaben 60,6 Prozent der Königsteiner*innen an, sich über Google über Veranstaltungen und Handel in der Innenstadt zu informieren. Da laut Studie meist der Online-Kontakt zu den Händlern vor Ort fehlt, werde eher bei großen Plattformen eingekauft, was wiederum das Sterben von weiterem stationärem Handel forciert.

Michael Reink, der per Videoübertragung aus Berlin ins Königsteiner HdB zugeschaltet wurde, malte ein düsteres Bild: „In den Konsequenzen wird der durch Leerstand entstehende Leerstand, der induzierte Leerstand, eine der größten Herausforderungen für die Städte.“ Durch diese Entwicklung sei nicht zuletzt sogar die Versorgung der Bevölkerung gefährdet, „zum Teil muss das System der zentralen Orte künftig hinterfragt werden. Stirbt der Handel, stirbt die Stadt!“

Chance

Um diesem Szenario entgegenzuwirken, sieht Digitalisierungs-Experte Andreas Haderlein eine Chance für den lokalen Einzelhandel in der Strategie, als lokaler Händler sichtbar im Internet zu werden: „Digitale Plattformen erhöhen die Online-Präsenz von jedem teilnehmendem Betrieb. Die Suchmaschinenoptimierung und Positionierung der Plattformbetreiber ist durch Einzelunternehmen nicht zu leisten.“

Für ihn ist klar: Städte, die schon vor Corona in digitale Plattformen investiert hätten, stünden heute in der Pandemie deutlich besser da und hätten bessere Überlebenschancen. Das heutige „Click and Collect“ hätten einige schon lange vor Corona etabliert und deshalb keine Anlaufschwierigkeiten mehr gehabt. Der „Kümmerer“ des nationalen Pilotprojekts „Online City Wuppertal“ legte in der Burgstadt ganz bewusst den Finger in die Wunde: „Die jungen Menschen suchen zum Beispiel im Internet ‚Adidas Schuhe Königstein‘, wenn dann nichts angezeigt wird, bestellen sie eben bei Amazon. Wenn es dagegen etwas vor Ort gibt, hat man als Händler die große Chance, dass sich die Kunden auf den Weg machen. Denn das Shopping-Erlebnis möchten sie auch.“

Für Jugend nachbessern

Apropos Jugend: Damit man die jungen Kunden nicht verliert, besteht nach Einschätzung der Experten eindeutiger Nachbesserungsbedarf. Insgesamt müsse der Angebotsmix vielfältiger sein und gestärkt werden. Hormann: „Im Bereich Kultur können Städte beim Angebot mit vorhandenen oder neuen Ressourcen nachlegen, beim betrieblichen Branchenmix ist dies schwieriger. Exemplarisch haben bekannte Ketten Einwohnerzahlen als Ansiedlungskriterium; junge kreative Gründer zieht es grundsätzlich eher in Großstädte.“

Als eine mögliche Lösung für Königstein sieht Wirtschaftsförderer Hormann die Idee des Unternehmers Timo Schwinn von der Agentur Vinoma aus Bad Soden, der in den letzten Monaten eine lokale digitale Plattform entwickelt hat, den Königsteinern schon durch das Lastenfahrrad und die Pandemie-Plattform Stayhome-Lieferanten bekannt ist und sein Konzept im Rahmen des Branchentreffens vorstellte.

Hormann hob heraus: „Digitale Plattformen deutschlandweit zeigen zwei positive Herangehensweisen: die Kooperation mit einem großen, erfahrenen Anbieter oder die Kooperation mit sogenannten Lokalpatrioten auf regionaler Ebene. Die Plattform MyLocalCity kann eine Option für Königstein sein“, unterstrich Hormann.

Im Rahmen einer sich den Vorträgen anschließenden Diskussion wurden weitere Punkte angesprochen. Im Zuge dessen wollte Michael Reink vom Handelsverband Deutschland nicht verhehlen: „Eine Wahrheit muss ausgesprochen werden: Frequenzen der Online-Produktsuche minimieren Frequenzen in den Innenstädten.“ Gleiches gelte auch für Online-Angebote der Stadtverwaltung.

Luft nach oben

Am Ende des ersten „Königsteiner Branchentreffens Einzelhandel“ konstatierte Bürgermeister Helm: „Auch wenn das Ergebnis der Studie ‚Vitale Innenstädte‘ sehr erfreulich war und die bisherigen Tätigkeiten von unseren Besuchern mit ‚gut‘ bewertet werden, gibt es doch Luft nach oben.“ Die Studie zeige Handlungsansätze auf und gebe an, worauf Besucher aktuell den Fokus legen. „Hier können und wollen wir noch ein bisschen besser werden und haben erste Weichen gestellt.“ Der neue Online-Terminkalender des Bürgeramtes und die ersten digitalen Beantragungsverfahren sollen nur der Anfang sein. Neben der elektronischen Kurtaxe sind auch digitale Angebote im öffentlichen Raum, der Kur- und Stadtinformation und konkret in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandel in Planung und Realisierung.

Jörg Hormann, Leiter Stadtmarketing/Öffentlichkeitsarbeit/Wirtschaftsförderung und Tourismus, möchte nun bei den Einzelhändlern noch einmal nachfragen, welche Lösungen sie für möglich halten. „Der Abend hat deutlich gezeigt – und da sind sich alle Experten einig: Alleine kommt niemand durch die Krise. Es bedarf der Kooperation der Händler untereinander und mit der Stadt. Nur gemeinsam können wir das Sterben der Läden in den Innenstädten verhindern!“

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