Heringsessen des FDP-Ortsverbandes in Königstein in der Villa Borgnis: Europa braucht das Engagement seiner Bürger

Königstein (sk) – Alexander Freiherr von Bethmann, der Vorsitzende des Ortsverbandes der FDP, räumte gleich zu Beginn seiner Begrüßung in der Villa Borgnis ein, dass der Begriff „Schicksalswahl“ inzwischen inflationär gebraucht werde, um der Europawahl am 26. Mai 2019 ein passendes Schlagwort zu verleihen. „Das ist ein Trend, den ich sehr bedaure“, kritisierte er die Dramatisierung und Skandalisierung der Wahl mittels drastischen Vokabulars, das die Bürger einfach nur ermüde.

Überhaupt sei festzustellen, dass vornehmlich negativ und kritisch über die Defizite der Europäischen Union berichtet werde, während deren positive Errungenschaften wie z. B. die dauerhafte Friedensunion oder die grenzüberschreitende Reisefreizügigkeit unter den Tisch fallen. Bezeichnenderweise beschrieb ein Gast in der anschließenden Diskussion mit dem Europa-Spitzenkandidaten Dr. Thorsten Lieb die Friedensgarantie und Stabilität innerhalb der EU als einen „alten Hut“.

„Ich wünsche mir, dass über die Europäische Union positiver berichtet wird, nämlich als besonderes und bewundernswertes Ereignis im 20. Jahrhundert“, erklärte der Stadtverordnetenvorsteher freimütig und outete sich damit als begeisterter Europäer. Der Enthusiasmus für Europa fehle uns leider, bedauerte der FDP-Ortsvorsitzende mit Blick auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der diesen Enthusiasmus bisweilen perfektioniere.

Starkes demokratisches Signal setzen

Auf Einladung des FDP-Ortsverbandes erschien Dr. Thorsten Lieb, Rechtsanwalt und leidenschaftlicher Liberaler sowie Spitzenkandidat der FDP Hessen zur Europawahl 2019. Er hielt unvermittelt ein flammendes Plädoyer für den Gang zur Wahlurne am 26. Mai: „Gehen Sie zur Wahl und animieren Sie Freunde und Bekannte für die Abgabe ihrer Europa-Stimme“, warb er für seinen Standpunkt, endlich aufzuhören, Europa schlecht zu reden, sondern zu würdigen, was uns Europa gebracht hat.

Provokant ließ Dr. Lieb die Frage bei seinen Zuhörern in der voll besetzten Villa Borgnis einsinken, ob sich die BRD auf der Friedensdividende des Mauerfalls in den letzten 30 Jahren ausgeruht habe. Wo sei die Begeisterung für die großen Herausforderungen Europas, wollte er wissen. „Wie gehen wir zukünftig mit der Migrationskrise um? Wie behandeln wir die Wirtschaftskrise? Wie stemmen wir die außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen? Was wird aus unserer transatlantischen Nachbarschaft?“, hakte er nach. Er stehe dafür ein, Europas Chancen zu nutzen und Europa besser zu machen. Dafür bringe er den Mut zur Veränderung mit.

Weichen des 21. Jahrhunderts stellen

An Orten wie dem Bendlerblock in Berlin, wo Menschen gestorben sind, um eine Diktatur zu beenden und eine Demokratie zu schaffen, sei deutsch-europäische Geschichte besonders greifbar. „Heute muss es einfacher sein, für ein Europa zu streiten“, so der FDP-Politiker. Er bedaure, dass bei Vielen die Einsicht fehle, dass unsere Demokratie nicht von der politischen Bühne aus gestützt werde. Die befremdliche Brexit-Situation, die mit Antrag auf Fristverlängerung ein bislang undenkbares Ausmaß an Absurdität erreicht habe, sei ein Krisensymptom der Europapolitik.

„Und was machen die anderen Parteien? Sie begreifen nicht, was gerade die europäische Stunde schlägt!“, ereiferte sich der Spitzenkandidat. Rückwärts gewandt werbe der CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier für einen „Industriesozialismus“, kritisierte Dr. Lieb und warb für die liberale Position der FDP, die Probleme der europäischen Marktwirtschaft nicht mit staatlicher Bevormundung lösen zu wollen.

Verteidigungsgemeinschaft

„Wir müssen eine gemeinsame Armee schaffen!“, lautete die Forderung des FDP-Politikers, „um eine Antwort zu haben auf die sehr konfliktträchtigen Fragen zur Rüstungskontrolle“. Eine Armee aller EU-Staaten wurde in der Öffentlichkeit lange als Vision debattiert. Doch mit Pesco (Permanent Structured Cooperation) seien die bisherigen Kooperationen der EU-Länder längst neu geordnet und in zukünftige Strukturen eingebunden worden. Dies sei die Grundlage und der Wegbereiter für eine europäische Armee, so der Referent, der aber keinen Zweifel daran ließ, dass Europa eine Friedensunion sei und dafür Sorge zu tragen ist, dass dies auch so bleibe.

Asyl-, Umwelt- und Klimapolitik

„Wir brauchen eine gemeinsame Einwanderungspolitik“, formulierte Dr. Lieb eine weitere Forderung. Eine gemeinsame Europa-Initiative mit vernünftigen Verteilmechanismen sei die richtige und gute Antwort auf den Rechtspopulismus. Das Gerücht, die FDP sei die Partei mit den meisten Klima-Leugnern, wehrte der Referent ab mit Verweis auf die marktwirtschaftlichen Ansätze der FDP, die bezogen auf beispielsweise die Elektromobilität die Ökobilanz und Nachhaltigkeit ganzheitlich im Blick habe und nicht den industriellen Abbau seltener Erden als „Umweltsauerei erster Katastrophe“ vorantreibe.

„Wir sind ehrlich mit den Menschen!“, betonte der Redner. Deshalb sehe er in der wasserstoffbetriebenen Fahrzeugtechnologie einen interessanten Ansatz. Effiziente Klimapolitik durch Innovation und Wettbewerb, durch Investitionen in die Vermeidung von CO2-Emissionen und durch Vertrauen in die Kraft neuer Technologien und in die Kreativität des Marktes – dies seien vernünftige pro-europäische Ziele.

Gemeinsame Projekte in Europa

„Wir brauchen keine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung!“, betonte Dr. Lieb. Der Faktencheck belege, dass die Forderung danach nicht zielführend sei, da die „BRD letztlich netto mehr in den Topf einzahlen müsste“. Viel wichtiger für eine starke Gemeinschaft sei es, das Subsidiaritätsprinzip in der EU zu wahren und institutionelle Reformen für mehr Transparenz und Effizienz in der EU anzustoßen.

„Wir müssen endlich aufhören, unsere europäische Politik kaputt zu reden“, kommentierte Dr. Lieb die überwiegend negativ gefärbte nationale Berichterstattung. Konkrete Projekte wie beispielsweise eine gemeinsame Verkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur seien zu fördern. Europäische Hauptverkehrsachsen mit der digitalen Infrastruktur des 5G-Mobilfunkstandards auszurüsten, sei nach Ansicht des FDP-Politikers weitaus wichtiger als das Prinzip „5G an jeder Milchkanne“.

Wirtschafts- und Währungsunion

Dr. Lieb plädierte für eine nüchterne Diskussion über die Fragen zu einem wirksamen Stabilitätspakt für den Euroraum. Mit der „Whatever It Takes-Strategie“ zur Euro-Rettung habe die EZB zwar mittels klugem Schachzug Zeit gekauft, die Politik sei aber nicht hinterhergekommen.

Seiner Meinung nach geht die Rettungspolitik in der EU an den selbst gesetzten Regeln vorbei. Eine starke und nachhaltig stabile Gemeinschaftswährung könne nur anhand von gemeinsamen Regeln gesichert werden. Unsolidarisches, unvernünftiges Verschulden einzelner Mitgliedstaaten dürfe nicht mehr zu einer Vergemeinschaftung von Schulden führen. Hinzu komme, dass die negative Zinspolitik aufhören müsse. Ein Vergleich zwischen den Zinszahlungen zugunsten der US-Banken im zweistelligen Milliardenbereich und den Strafzinsen europäischer Banken zugunsten der EZB mache das Desaster deutlich. „Wir können das so nicht weiter laufen lassen“, betonte Dr. Lieb kämpferisch.

Europawahl geht alle an

In seiner Conclusio betonte er, dass die FDP pro-europäisch ist. Seiner Auffassung zufolge schaffe es Europa, die Probleme der Menschen zu lösen. Über den richtigen Weg dahin könne man sachlich und faktenbasiert streiten. Aber auf jeden Fall sei die EU noch Garant für Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand.

Die Europawahl am 26. Mai werde entscheiden, ob die Union weiter zusammenwachsen und gestärkt werde, oder ob nationalstaatliche Interessen den Zerfall in Einzelstaaten begünstigen werden. „Und deshalb geht diese Europawahl uns alle an“, schloss der FDP-Politiker seinen Vortrag und leitete die anschließend äußerst rege geführte Diskussion ein mit einem Zitat des verstorbenen FDP-Politikers Klaus Kinkel: „Europa wächst nicht aus Verträgen, es wächst aus den Herzen seiner Bürger oder gar nicht.“

Bevor Dr. Thorsten Lieb (links) und Alexander Freiherr von Bethmann sich dem Heringsessen (mit und ohne Fisch) zuwenden konnten, galt es erst einmal, eine lebhafte Diskussion zu moderieren – fast wie in Straßburg...
Foto: Krüger



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