Der Klimawandel als globale gesellschaftliche Herausforderung

Es gelingt nicht vielen Wissenschaftlern, die viele Jahre auf einem wissenschaftlichen Gebiet forschen, ihr Thema gut verständlich zu verpacken, um es auch einem wissenschaftsfernen Publikum zu vermitteln. Prof. Dr. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gelang dieses Kunststück vergangene Woche in der Villa Borgnis auf Einladung der Partei Bündnis 90/Die Grünen. An seinen Vortrag schloss sich ein reger Meinungsaustausch über Maßnahmen und Ursachen des Klimawandels an. Foto: Krüger

Königstein (sk) – Lange bevor Donald Trump im Sommer 2017 den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen bekannt gab, war der Klimawandel bereits als hausgemachtes Problem identifiziert und wurden seine Folgen als gesamtgesellschaftlicher Kraftakt diskutiert. Aber die Komplexität des Klimawandels und die sich daraus ableitenden Handlungsoptionen und -notwendigkeiten erreichen erst in jüngerer Zeit ein breiteres, wissenschaftsferneres Publikum.

Nicht zuletzt durch die von Schülern initiierten „Fridays for Future Demonstrationen“ haben die Diskussionen über den Klimawandel enormen Zuspruch in der Öffentlichkeit bekommen, erklärte Prof. Dr. Joachim Curtius vom Institut für Atmosphäre und Umwelt an der Goethe-Universität in Frankfurt. Sein Spezialgebiet ist die experimentelle Atmosphärenforschung. Auf Einladung der Partei Bündnis 90/Die Grünen referierte er in der Villa Borgnis über den Klimawandel, seine Folgen und die notwendigen Maßnahmen, die in Deutschland in den nächsten dreißig Jahren zu treffen sind.

Zukunftswirkung

„Es geht um unsere Zukunft, die wir unseren Kindern versprochen haben, als wir sie in die Welt gesetzt haben“, brachte Dr. Bärbel von Römer-Seel das aktuelle Vortragsthema in ihren Begrüßungsworten auf einen schlichten Nenner. Kämpferisch und wahlkampftauglich betitelte die Sprecherin der Partei Bündnis 90/Die Grünen des Ortsverbands Königstein-Glashütten den Klimawandel als zentrales politisches Thema mit enormer Zukunftswirkung und extremer Dringlichkeit. „Wir wollen eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten!“, lautete das Statement der Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Stadtparlament. Und deshalb fasse ihre Partei den Klimastreik der Schüler- und Schülerinnen als Appell auf, den Klimaschutz überparteilich voranzutreiben und sich nicht in kleinideologischen Diskussionen zu verlieren.

Anstieg der CO2-Emissionen

Im Jahr 2015 hat man sich in Paris darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad – möglichst auf 1,5 Grad Celsius – zu begrenzen. Was ist seitdem passiert? „Die Treibhausgasemissionen in Deutschland sind in den letzten Jahren weiter angestiegen“, verdeutlichte Prof. Curtius anhand von zahlreichen Grafiken und Schaubildern. Wissenschaftler rechnen damit, dass die freiwilligen Selbstverpflichtungen des Pariser Abkommens bei weitem nicht ausreichen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Denn die Menge an CO2 in der Atmosphäre sei stetig angestiegen, informierte Prof. Curtius. Von einem Wert von unter 300 ppm (parts per million) noch im Jahr 1960 stieg 2017 die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre auf 405 ppm und 2018 bereits auf 408 ppm an.

Woher kommt das CO2?

Es gebe immer noch Klimaschutzgegner, die leugneten, dass der Mensch einen Einfluss auf das Klima und die Zusammensetzung der Atmosphäre habe, so Prof. Dr. Curtius. Klimaforscher könnten aber inzwischen exakt beweisen, dass die fossilen Brennstoffe die hauptsächliche Quelle von Kohlenstoffdioxid sind. 37 Milliarden Tonnen fossile CO2-Emissionen wurden 2018 global ermittelt. 1990 beliefen sich die globalen fossilen CO2-Emissionen noch auf unter 22,7 Milliarden Tonnen. „Der Zuwachs von 63% in knapp 30 Jahren ist massiv“, urteilte der Referent und schätzte den Zeitrahmen, innerhalb dessen die CO2-Emissionen erheblich gesenkt werden müssten, auf 20 bis 30 Jahre.

Wer ist verantwortlich?

Die vier größten Treibhausgas-Emittenten seien China (27%), die USA (15%), die EU (10%) und Indien (7 %). 59 % der globalen Emissionen gehen auf das Konto dieser vier Emittenten. In absoluten Zahlen hat China im Jahr 2017 insgesamt 9,8 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre gefeuert, die EU insgesamt 3,5 Milliarden Tonnen. Die CO2-Emissionen pro Kopf im Jahr 2017 betrugen 16,2 Tonnen Kohlenstoff in den USA, 7,0 t CO2 in China, 7,0 t CO2 in der EU und 1,8 t CO2 in Indien. „In Deutschland haben Wissenschaftlicher knapp 10 t CO2-Emissionen pro Kopf festgestellt,“ hielt Prof. Curtius den Gästen vor Augen. Dies bedeute etwa 27 kg CO2 pro Tag. Insgesamt ergebe sich aus den wissenschaftlichen Untersuchungen des Global Carbon Projects (GCP) zum globalen Kohlenstoffkreislauf eine eindeutige Zuweisung von Verantwortlichkeiten, so der Redner. „Kumulativ sind Europa und die USA mit ungefähr 10 % der Weltbevölkerung für ungefähr 50% der fossilen Emissionen verantwortlich und damit etwa auch für 50% des Klimawandels“, demonstrierte Prof. Curtius.

Um ein vollständiges Bild des globalen Kohlenstoffkreislaufs zu zeigen, seien neben den Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Industrie ebenfalls die Emissionen aus der Entwaldung und anderen Landnutzungsänderungen zu berücksichtigen. Dazu gehörten selbstverständlich auch die biophysikalischen Wechselwirkungen und Rückkopplungen zwischen den menschlichen Aktivitäten und den natürlichen Prozessen, so Prof. Curtius. „Nur etwa die Hälfte der menschgemachten CO2-Emissionen verbleibt in der Atmosphäre“, erklärte er. Etwa ein Viertel davon werde von den Ozeanen und ein weiteres Viertel von den Landpflanzen und Böden aufgenommen. Man spricht hierbei von einer CO2-Entfernung durch natürliche Senken. Ihre Größe wuchs in den vergangenen Jahrzehnten als Reaktion auf die zunehmenden Emissionen.

Folgen des Klimawandels

„Wetterextreme verändern sich im Klimawandel“, bestätigte der Professor. In einigen Teilen der Welt verursache das wärmere Klima mehr Hitzewellen, Dürreperioden und Starkregen. Betrachte man die Klimaentwicklung in Deutschland von 1880 bis 2014, so ergebe sich eine Jahresmitteltemperatur von 10,3 Grad Celsius. „Im Jahr 2018 lag die Jahresdurchschnittstemperatur bei uns allerdings schon bei 10,4 Grad“, stellte der Referent klar. „Extrem heiße Sommer gibt es erst seit 2002“, erklärte Prof. Curtius. Dies habe ein Vergleich europäischer Sommertemperaturen in dem Zeitraum von 1500 bis 2010 ergeben. Im Jahr 2003 verzeichnete man einen „Jahrhundertsommer“, der aufgrund zehntausender hitzebedingter zusätzlicher Todesfälle als „tödlichste Naturkatastrophe in Europa seit mehr als 50 Jahren“ galt. „Setzt man die hohen Treibhausgasemissionen wie bisher fort, wäre Ende dieses Jahrhunderts der Sommer 2003 ein extrem kalter Sommer in Europa“, schockte Prof. Curtius seine Zuhörer und verwies auf ein wissenschaftliches Klima-Szenario (RCP8,5).

Temperaturextreme

Beispielsweise in Dubai und Abu Dhabi seien Extremtemperaturen im Sommer von über 60 Grad messbar. Bei gleichzeitig hoher relativer Feuchte kann der Mensch seine Körpertemperatur nicht mehr herunterkühlen. Die sogenannte Verdunstungskühlung funktioniere nicht mehr ab einer Feuchttemperatur von über 34 Grad. Die Folge davon sei ein Hitzschlag. Setzt man das „Business as usual“ fort – ändert also nichts an den Treibhausgasemissionen – werde man auf der Arabischen Halbinsel bis Ende diesen Jahrhunderts regelmäßig Feuchttemperaturen von über 34 Grad Celsius erwarten. „Ein Leben im Freien ist dann nicht mehr denkbar“, fasste Prof. Curtius zusammen.

In Indien und Bangladesh gehen die Klimaszenarien im Jahr 2100 von Feuchttemperaturen zwischen 31 und 35 Grad aus. „Modellrechnungen für Indien zeigen, dass dort mehr als 750 Millionen von diesem Phänomen kritisch betroffen sein werden“, erklärte der Klimawissenschaftler. Klimatisch bedingte Fluchtbewegungen wären eine weitere Folge.

Kipp-Punkte im Klimasystem

Sogenannte Tipping-Points kennzeichnen einen Punkt, an dem Entwicklungen nicht mehr kontrollierbar sind. Prof. Curtius vertritt die vorherrschende Auffassung, dass die Wahrscheinlichkeit, Kipp-Punkte im Klimasystem zu erreichen, deutlich zunimmt, je stärker vom derzeitigen Klima abgewichen wird. Jenseits der Paris-Range von zwei Grad Celsius ist das Erreichen der Kipp-Punkte sehr wahrscheinlich. Nicht nur die Wissenschaftler und Klimaforscher schlagen Alarm. Auch das World Economic Forum in Davos habe in seinem Global Risks Report 2019 extreme Wetter-Ereignisse, Klimawandel und Naturkatastrophen als größte Welt-Risiken eingestuft.

Was ist zu tun?

In Deutschland müssten bis 2050 Wind- und Photovoltaik-Anlagen massiv ausgebaut werden. Wind- und Solarenergie sollten deutlicher gefördert werden. Dazu gehöre auch der Ausbau von Energiespeichern und -netzen. „Die Sonne schickt 17.000 mal mehr Energie als der Mensch verbraucht“, informierte Prof. Curtius sein verdutztes Publikum angesichts dieser Erkenntnis. Die Sanierungsrate für Wohngebäude müsse verdoppelt werden. Da mit erheblichem zusätzlichen Strombedarf für PKW, Flugzeuge, Wärmepumpen etc. zu rechnen sei, müsse bedarfsentsprechend geplant und investiert werden. Die Kosten für diese Maßnahmen bzw. die Investitionskosten werden statt bisher mit 0,5 Billionen Euro auf inzwischen 1,5 bis 2,3 Billionen Euro geschätzt.

Elektromobilität

Eine Zwischenfrage aus dem Publikum richtete den Fokus des Redners auf die Klimabilanz von Elektroautos. „Treibhausgasemissionen müssen über den gesamten Lebensweg eines Elektroautos inklusive der Lebensfahrleistung berücksichtigt werden“, erklärte er. Entscheidend sei der Energiemix der Stromherstellung für Fahrleistung und Fertigung. Für 1 kWh Strom werden zurzeit 125 kg CO2 aufgewendet. Mit anderen Worten verursachen 40 kWh Akku etwa 5 Tonnen CO2-Emissionen. Im Laufe seiner Lebenszeit emittiere ein Elektroauto also immer noch fast 30.000 Tonnen CO2. Und um sich klimatechnisch zu „rechnen“, müsse ein Elektrofahrzeug eine Kilometerlaufleistung von mindestens 100.000 km vorweisen, lautete die Meinung von Prof. Curtius. Solange ein Elektroauto also nicht mit „sauberen“ Strom fährt, tut es der Umwelt auch nichts Gutes. Eine Erkenntnis, die bei dem einen oder anderen Zuhörer in der Villa Borgnis auf erstaunte Ohren traf.

Was kann der Einzelne tun?

Jeder Einzelne könne über sein Konsumverhalten nachdenken. „Der eigene ökologische Fußabdruck ist zu bewerten“, motivierte Prof. Curtius. Man solle als Vorbild für Kinder und Jugendliche fungieren. Zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad fahren, öffentliche Verkehrsmittel nutzen, auf Elektromobilität umsteigen oder aber auf Flüge verzichten, wären beispielsweise Maßnahmen, die jeder Einzelne umsetzen kann. Bei Wärmedämmung und energetischer Sanierung des Eigenheims sowie durch Anschaffung von Solaranlagen oder Wärmepumpen könne der eigene ökologische Footprint verbessert werden. Nicht zuletzt habe auch eine bewusste und gesunde Ernährung und insbesondere der Verzicht auf Fleisch wegen der Methangas-Reduzierung einen nicht unerheblichen Einfluss auf unser Klimasystem.

Mit dem Sprichwort von Erich Kästner „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ beendete Prof. Curtius seinen Vortrag. Achim Grunicke von den Grünen moderierte die anschließend rege geführte Diskussion mit den Zuhörern und bedankte sich bei dem Gast für den sehr interessanten Vortrag. Trotz vieler erschreckender Erkenntnisse zeigte er sich zuversichtlich, dass wir alle etwas für unsere Zukunft und die unserer Kinder tun können, indem wir zunächst bei uns selbst anfangen und unsere Verhaltensweisen auf klimatische Effekte hin überprüfen.



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