Belgier Jasper Philipsen vermasselt John Degenkolb den Sieg

Stark präsentierte sich der spätere Sieger (vorne rechts mit der Startnummer 71) schon bei der letzten Anfahrt zum Mammolshainer Stich. Fotos: Puck

Mammolshain/Königstein (pu/kw) – Trotz der dringenden Empfehlung der Amaury Sport Organisation (ASO) – seit 2018 Veranstalter des Radklassikers „Eschborn-Frankfurt“ –, die Radsportfans sollten das traditionelle Radsportereignis coronabedingt ausschließlich im Fernsehen verfolgen, säumten vor allem am berühmt-berüchtigten Anstieg in Mammolshain dennoch zahlreiche Fans die Strecke, um der Weltelite einen tosenden Empfang zu bereiten. Mit dabei erneut auch Dieter „Didi“ Senft, bekannt als „Didi the Devil“ oder „Tourteufel“, der sich das Spektakel auf deutschem Boden ebenfalls einmal mehr nicht entgehen lassen wollte.

Daraus resultierend den Umständen entsprechend eine gebührende Kulisse bei perfekten Radsportbedingungen (trocken und nicht allzuheiße Temperaturen), doch leider blieb das krönende Sahnehäubchen – ein deutscher Sieg – ein unerfüllter Wunsch. Dabei schien Lokalmatador John Degenkolb aus Oberursel (Lotto Soudal), der vor exakt zehn Jahren der Konkurrenz das Nachsehen gegeben hatte, nach 187 bewältigten Kilometern, in deren Verlauf der Mammolshainer Stich viermal zu bewältigen war, an der Frankfurter Oper der zweite Coup zu gelingen. Er war es, der kurz vor der Ziellinie den Spurt anzog, doch im Ergebnis musste er sich dem an ihm vorbeijagenden 23-jährigen Belgier Jasper Philipsen (Alpecin-Fenix) knapp geschlagen geben. Auf Platz Drei landete bei dieser 60. Austragung des Radklassikers Eschborn-Frankfurt Rekordsieger Alexander Kristoff (UAE Team Emirates).

Philipsen sicherte sich bei seinem Debüt in der Mainmetropole seinen ersten Profisieg bei einem WorldTour-Klassiker und setzte das nächste Ausrufezeichen in seiner herausragenden Saison. Vorjahressieger Pascal Ackermann (Bora-hansgrohe) sprintete auf den 5. Rang.

„Es war ein wirklich hartes Rennen. Vor ein paar Wochen habe ich beschlossen, dieses Rennen zu fahren, weil es normalerweise ein Sprint-Finish ist. Dann habe ich mir das Profil angesehen und dachte, es könnte vielleicht doch schwieriger sein als erwartet. Jetzt bin ich richtig stolz auf diesen Sieg“, gab der belgische Sieger im anschließenden Interview Einblick in seine Gefühlslage. Aus seiner Sicht sei die Teamunterstützung entscheidend gewesen, „weil ich im Mittelteil wirklich zu kämpfen hatte. In den Anstiegen ist das Team einfach bei mir geblieben und das war wichtig. Ich habe weiter gepusht, weil ich wusste, dass die letzten 40 Kilometer flach waren. Da konnte ich mich erholen und meinen Sprint fahren“, so der 23-jährige Youngster weiter.

Tief enttäuscht und mit Tränen in den Augen zunächst Lokalmatador John Degenkolb, der sich bald jedoch wieder gefangen hatte: „300 Meter vor dem Ziel habe ich gedacht ‚alles oder nichts‘ und habe alles in die Waagschale geworfen. Am Ende ist es ein verdienter Sieg für Jasper, denn er hatte einen krassen Speed. Ich bin froh, dass es für den zweiten Platz gereicht hat und kann mich jetzt auch darüber freuen. Ich bin stolz, dass ich dem Druck standgehalten habe und zeigen konnte, bei so einem großen Rennen um den Sieg mitzufahren. Jetzt steht noch einiges vor der Tür!“

Attacken prägten den Verlauf

Bereits kurz nach dem scharfen Start in Eschborn begannen die Attacken und fünf Fahrer schlossen sich zu einer Spitzengruppe zusammen. Mit Mathias Jorgensen (Movistar Team) und Luke Durbridge (Team BikeExchange) waren zwei WorldTour-Fahrer dabei. Dazu kamen Simone Velasco (Gazprom-RusVelo), Erik Resell (Uno-X Pro Cycling Team) und Boris Vallee (Bingoal Pauwels Sauces WB). Bis zum ersten Anstieg des Tages am Feldberg ließ das Feld mehr als sechs Minuten an Vorsprung zu.

Nach 100 Kilometern blieben nur noch die beiden WorldTour-Fahrer und Velasco als Trio an der Spitze – aber der Vorsprung sank nah an die Minutenmarke. Auch wenn die Favoriten des Rennens dichter kamen, hat sich die Zeit an der Spitze für den Profi der Gazprom-RusVelo-Mannschaft gelohnt: Der Italiener gewann die ersten sieben Bergwertungen des Radklassikers und konnte nach dem Rennen auf dem Podium die Bergpreistrophäe entgegennehmen.

Und es war diese vorletzte Passage des Mammolshainer Stichs, die sich als Vorentscheidung des Rennens erwies. Tempoverschärfungen durch das Team BikeExchange führten dazu, dass die Ausreißer gestellt wurden und sich das Peloton teilte. 16 Fahrer gingen zusammen zur letzten Überfahrt des Mammolshainer Berg – 40 Sekunden vor dem Feld.

Auf den letzten Rennkilometern, die in die Frankfurter Innenstadt führten, übernahm vor allem das UAE Team Emirates im Feld für Kristoff die Nachführarbeit. Rund 30 Kilometer vor dem Ziel war es um die Gruppe geschehen. Nur Georg Zimmermann (Intermarche - Wanty Gobert Matériaux), Gewinner des Nachwuchs-Trikots bei der Deutschland Tour und Cristian Scaroni (Gazprom-RusVelo) wehrten sich noch gegen ihre Einholung. Nach der Einfahrt in die Stadt beteiligte sich auch der deutsche Rennstall Bora-hansgrohe um Titelverteidiger Ackermann an der Spitze des Feldes. Das Spitzenduo hielt sich hartnäckig und genoss bei der ersten Zieldurchfahrt an der Alten Oper den Jubel der Zuschauer. Neun Kilometer vor dem Ende wurden sie vom Feld der Sprinter geschluckt. Es war Degenkolb, der sich auf dem letzten Kilometer als Erster ein Herz fasste und den Sprint eröffnete. Doch auf den letzten Metern hatte der Oberurseler dem Sieger Philipsen nichts entgegenzusetzen. So oder so war es erneut ein Radsportfest, die Weltelite hat nur eine Woche vor der Weltmeisterschaft ihre Visitenkarte im Rhein-Main-Gebiet abgegeben.

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