Die Fusion von fünfzig Jahren besiegelte das Ende der freien Gemeinde

Mammolshain
(kw) – Vor einem halben Jahrhundert wurde in Hessen die Gebietsreform umgesetzt. Das Ziel, „zukunftsfähige“ Verwaltungsstrukturen zu schaffen und die Leistungsfähigkeit der Kommunen und Landkreise zu erhöhen. Wer sich den Vorstellungen der hessischen Landespolitik nicht beugte, dem drohte die Zwangszusammenlegung. Vielerorts entstanden Kommunen mit Ortsteilen, denen die Mitte und eine gemeinsame Identität fehlten. Die Bürger wurden damals nicht gefragt, sie hatten sich mit den neuen Gegebenheiten abzufinden. Kommunale Zusammenschlüsse sind seitdem bei vielen heute noch genauso unerwünscht wie vor 50 Jahren.

Zusammenlegung war ein Schock

Königstein erging es nicht anders. Unter dem Titel „Das Fusions-Drama von Mammolshain“ fasste die Stadtarchivarin, Dr. Alexandra König, die Ereignisse von damals in einem ausführlichen Vortrag im Dorf- gemeinschaftshaus noch einmal zusammen. Dies im Rahmen einer kleinen thematischen Ausstellung zur damaligen Ortsgeschichte in der Dorfstube, die der Heimatverein Mammolshain unter der Federführung von Bernd Hartmann und Ingrid Reimer zusammengestellt hat.

Wie sah es in Mammolshain aus? „Eigentlich lief es hier gerade recht gut: Am 22. Mai 1971 kam der Landrat zur Einweihung der neuen Turnhalle, der FC 1910 bekam eine B-und eine C-Jugendmannschaft und gründete eine Tischtennis-Abteilung“ so König.

Erst drei Jahre zuvor hatte die hessische Landesregierung der Gemeinde die Anerkennung als „Kur- und Erholungsort“ zugesprochen, das gesamte Dorf war kanalisiert und die Dorfstraße neu gepflastert worden. Dann die Überraschung: „Die hessische Landesregierung beabsichtigte, im Zuge der kommunalen Neugliederung den Obertaunuskreis und den Kreis Usingen zum Hochtaunuskreis zu vereinen sowie sämtliche Gemeinden zu sechs Großgemeinden (Städten) zusammenzulegen“. Für Mammolshain, wie für Schneidhain und Falkenstein bedeutete das die Eingemeindung. Im Gegensatz zu den vorgenannten wurde in Mammolshain „heftig gestritten.“ Die Gründe hierfür lagen auf der Hand: „Mammolshain hat eine Geschichte von gut 800 Jahren, die erste Erwähnung des Ortes „Meinboldeshagen“, der Ort des „sehr Tapferen“ Althochdtsch, nach Pfarrer Bruno… wie es damals hieß, ist aus dem Jahre 1191 überliefert. Mammolshain hatte seit 1578 einen eigenen Schultheiß, seit 1696 ein eigenes Gerichtssiegel und seit 1724 ein eigenes Schulhaus,“ so König.

Ausschlaggebend für den Zusammenschluss mit Königstein, Falkenstein und Schneidhain war – wie der damalige Landrat Herr schon bei einer Informationsveranstaltung am 6. Mai 1971 erklärte, dass diese Gemeinden „in ihrer Struktur“ zusammen passten. Alle drei neigten sich eher einem Fremdenverkehrsort zu, als dass sie sonstige wirtschaftliche Schwerpunkte hätten.

Harte Bandagen

Die politischen Lager in Mammolshain kämpften mit harten Bandagen gegen und für die Eingemeindung. Die oppositionelle CDU trat dem Gebilde „Gebietsreform“ dagegen entschieden entgegen. Damit wusste sie eine große Zahl der alteingesessenen Bürger hinter sich. Dabei waren die Positionen im Wesentlichen wie folgt verteilt:

• Die CDU plädierte dafür, der freiwilligen Fusion nicht zuzustimmen, sondern die Zwangsfusion abzuwarten und dagegen gegebenenfalls Klage beim Verwaltungsgericht einzureichen. Sie erhoffte sich, auf diese Weise die Selbständigkeit der Gemeinde erhalten zu können.

• Die SPD argumentierte: Bei freiwilliger Fusion gäbe es einen individuell ausgehandelten, festen Vertrag mit Vergünstigungen für Mammolshain, an den man sich halten könne. Bei Zwangsfusion weiß man nicht, was kommt.

• Die FDP betonte, dass bei freiwilligem Zusammenschluss Mammolshain in den nächsten vier Jahren 126.000 Mark an Steuern und Gebühren spare, das wäre bei der Zwangsfusion nicht mehr gewährleistet. Auf Dauer hätten kleine Gemeinden ohnehin keine Chance auf Selbständigkeit; das wäre beschlossene Sache im Landtag.

Von Einigkeit keine Spur

„Am Mittwoch, 15. März 1972, war Stichtag, doch von Einigkeit noch keine Spur. Am Freitag, den 10. März, hatte die Mammolshainer Kommission mit den Vertretern von Königstein zu den abschließenden Verhandlungen über einen Fusionsvertrag getagt. In hartem Ringen war ein Entwurf als Verhandlungspapier ausgearbeitet worden. Doch dann staunten die Mammolshainer nicht schlecht, als ihnen aus dem Königsteiner Rathaus der fertige Entwurf zugesandt wurde und der keinen einzigen der ausgehandelten Punkte mehr enthielt,“ erläuterte König. Hinter den Kulissen ging es danach hoch her und Anhänger wie Gegner der Eingemeindung mobilisierten ihre Anhänger und es wurde selbstredend unter den gegebenen Möglichkeiten taktiert. Dennoch, eine Entscheidung musste her.

Die Entscheidung

Am 20. März 1972 fand die Gemeindevertretersitzung dann statt und kein Stuhl im Sitzungssaal blieb leer. „Es stimmten fünf SPD-Vertreter und ein FDP-Mitglied für den Zusammenschluss. Die CDU-Fraktion lehnte geschlossen mit fünf Stimmen ab, und je ein SPD- und ein FDP-Mitglied enthielten sich. Mit einer denkbar knappen Mehrheit von einer Stimme war die Fusion mit Königstein beschlossen. Die CDU gab nicht auf: Erste Beigeordnete Philipp Gräber zog noch einmal alle Register. „Am Freitag, den 24. März 1972, versammelte sich im Königsteiner Rathaus der Bürgermeister Wilke mit seiner Delegation und erwartete die Abordnung aus Mammolshain zur Besiegelung des Fusionsvertrags. Als sich im dortigen Rathaus die Beigeordneten Bioneck (SPD) und Brendel (FDP), deren Unterschriften ebenfalls erforderlich waren, einfanden, sprach der Bürgermeisterstellvertreter Gräber mit der ganzen Autorität seines Amtes ein Machtwort: Er verbot ihnen die Unterzeichnung und ließ es in eine Schublade gleiten und schloss sie ab. Gesichert! Die Gefahr war gebannt“, erklärte König.

Doch es ließ sich nichts mehr abwenden, daran änderte auch die eilige Unterschriftensammlung nichts mehr. Zum 1. August 1972 wurde Mammolshain in die Stadt Königstein eingegliedert. Neben Hans Pfaff entschlossen sich auch Albert Bioneck, Dieter Fertsch-Röver und auch Hans Fuchs in den Gremien der Stadt mitzuarbeiten.

Fazit

„Alle Stadtteile zusammen fügen sich seitdem zu einem in vielerlei Hinsicht zusammen. Auch in Sachen Gebietsreform ist die Stadt besonders. Denn durch den Zusammenschluss mit Falkenstein, Schneidhain und Mammolshain verfügt Königstein über alle denkbaren Fusionsvarianten: eine Zwangsfusion, eine freiwillige und eine - fast freiwillige.“



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