Ein bewegender Auftakt – mit Gidon Kremer ins neue Musikjahr

So fängt das Jahr gut an: Meister-Violonist Gidon Kremer beim Konzert in St. Johann mit den 24 Präludien von Mieczysław Weinberg, „begleitet“ von Antanas Sutkus Fotografien Foto: Andreas Malkmus

Kronberg (aks) – Das Dämmerlicht in St. Johann war am frühen Sonntagabend die perfekte Kulisse für Mieczyslaw Weinbergs „Preludes to life“, die, ursprünglich für Violoncello solo komponiert, von dem 70-jährigen Künstler von Weltrang, Gidon Kremer, für Violine bearbeitet und gespielt wurden. Raimund Trenkler, Gründer und Präsident der Kronberg Academy, begrüßte die erwartungsfrohen Freunde und Förderer der Kronberg Academy in den voll besetzten Reihen und freute sich, ein bewegendes Konzert und ein bewegtes Jahr 2018 anzukündigen. Das Benefizkonzert fand zu Gunsten der Gidon Kremer-Stiftung statt, die, in Kronberg angesiedelt, Kremers Anspruch an die Musik an nachfolgende Generationen weitergeben möchte. Die Stiftung fördert hochbegabte junge Streicher und unterstützt das von ihm vor 20 Jahren gegründete Kammerorchester Kremerata Baltica. Gidon Kremer ist seit 17 Jahren Künstlerischer Beirat, Lehrer, Solist und Kammermusikpartner der Kronberg Academy. Kremer gilt nicht nur als einer der kompromisslosesten Künstler, der immer wieder sein Publikum herausforderte, er hat auch immer das Leben wach und neugierig im Blick gehabt.

Die Musik des Polen Weinberg, der als Jude zwei Mal vor den Nationalsozialisten in die Sowjetunion floh und dessen ganze Familie ermordet wurde, thematisiert das Leben mit allen seinen Schattenseiten, aber auch durchsetzt von hellen Hoffnungsschimmern. Bei dieser Reise in „verlorene Zeiten“ wurde der Geigenvirtuose Gidon Kremer von Schwarz-Weiß-Fotografien des Litauers Antanas Sutkus aus den 60er-Jahren, dem Ende der Stalin-Diktatur, „begleitet“, die von vergangenen Zeiten erzählen und die menschlichen Augenblicke des Lebens unsterblich machen. Sutkus gilt als einer der bedeutenden humanistischen Fotografen Europas und der Welt. In seinen Schnappschüssen spiegeln sich Freude, Freiheit, Vertrauen, Sorglosigkeit, aber auch Bitterkeit, Macht, Unterdrückung und Einsamkeit. Seine Werke entstanden fast zur gleichen Zeit wie Weinbergs Präludien und sind wie sie Miniatur-Aufnahmen des Lebens – Schnappschüsse eben. Da klingt es manchmal spielerisch hoffnungsvoll, mal ernst bis verzweifelt. Der Ernst des Lebens mit allen Höhen und Tiefen ist das Leitmotiv nicht nur der Musik, sondern auch der Fotografien, die Kremers Geigensolo eine beeindruckende Bildhaftigkeit verliehen, und im Zusammenspiel den Zuhörer in einen Zustand höchster Anspannung versetzten. Seinem Instrument verlangte Gidon Kremer alles ab, er zupfte, pochte, strich in den höchsten und tiefsten Tönen und schien auch gegen den Strich noch Klänge zu erzeugen. Flirren, kratzen, singen und weinen – alles war dabei. Vor allem berührte sein klares und hoch expressives Spiel die Seele. Da flackerte ein Licht der Hoffnung für alle Menschen – 24 Mal, immer wieder. Das war, für die Ohren allein kaum zu fassen, von überragender ernster Schönheit.

Ein Präludium erinnerte an eine Sarabande von Bach, auf der Leinwand dahinter war eine Heiligenstatue zu sehen, die von einer jungen hingebungsvollen Frau umarmt wurde. Das spirituelle Leben, der Glaube, wurde hier besonders einfühlsam zum musikalischen Thema. Ein bewegender Augenblick an einem besonderen Ort, der selbst mit bunten Bildern und Skulpturen an den Wänden und an der Decke von Gott, den Menschen, den Heiligen und von Himmel und Hölle erzählt.

Als Shostakovichs „Fleisch und Blut“ hat sich Weinberg einmal bezeichnet, umso mehr überraschen das Pathos und die Lyrik, die Leichtigkeit und die spielerische Tonalität der 24 „Preludes to a lost time“. Als er fliehen musste, sei ihm nur seine musikalische Kreativität geblieben, die er jenen Menschen widmete, die er verlor. „Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert widerfuhren.“ Gidon Kremer entführte die Zuschauer an diesem Sonntagabend in eine bessere Welt voller Optimismus und das war sicher der beste Jahresanfang, den man sich wünschen kann.



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