Die Demokratie in der Europäischen Union muss weiter wachsen

Sven Simon, Professor für Europarecht sprach in der Stadthalle über das hema „Europa und die Demokratie“ Foto: pr ivat

Kronberg. –„Die demokratische Legitimation des Handelns der Europäischen Union erweist sich immer deutlicher als die Schicksalsfrage der europäischen Integration.“ Mit diesem Satz begann Professor Sven Simon, Professor für Europarecht in Marburg, seinen Vortrag zum Thema „Europa und die Demokratie“ in der Stadthalle. Eine größere Zuhörerschar lauschte auf Einladung der Europa-Union Hochtaunus sehr konzentriert seinen Ausführungen, die im Kern darum gingen, die auf die europäische Ebene übertragene Regelungskompetenz so zu gestalten, dass das demokratische Prinzip keinen Schaden nimmt, wie er in seinem Vortrag mehrfach betonte. Schwierig sei dabei, dass die Staaten sich stark untereinander in Bezug auf das Demokratieprinzip unterscheiden, was auch für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gilt. In Deutschland regele das Artikel 20 des Grundgesetzes. Dazu gehörten zwei Dinge, so Simon, erstens „die Rückführung allen staatlichen Handelns auf das Volk“ und zweitens die Festlegung, dass Deutschland eine repräsentative Demokratie sei. Drei wesentliche Urteile des Bundesverfassungsgerichts in Hinsicht auf deutsches Handeln auf europäischer Ebene machten deutlich, wie dem Grundgesetz damit Genüge getan werde. Im sogenannten Maastricht-Urteil von 1998 behaupteten die Kläger zu Unrecht, dass der Deutsche Bundestag aufgrund von Entscheidungen in Brüssel nicht mehr allein entscheiden könne, da das Demokratieprinzip gewahrt sei, solange eine „vom Volk ausgehende Legitimation und Einflussnahme auch innerhalb des europäischen Staatenbundes“ funktioniere. Es gab eine Einschränkung insofern, als dass die Richter von einer „lebendigen Demokratie“ sprachen, die, wenn die EU weitere Schritte der Integration mache, die Legitimation erhalten bleiben müsse. Festgestellt wurde von den Verfasssungsrichtern auch, dass besonders durch die Rückkoppelung an die nationalen Parlamente die fehlende europäische Öffentlichkeit, die eigentlich für das Demokratieprinzip erforderlich sei, national ausgeglichen wird.

16 Jahre später ging es im Lissabon-Urteil um die fehlende Legitimation der Entscheidungen im Europäischen Parlament, die nicht auf einem gleichen Wahlrecht beruhten. Hier meinte 2009 das Bundesverfassungsgericht, dass bei der in der EU üblichen gemeinsamen Gesetzgebung zwischen dem EU-Parlament und den Regierungsvertretern der Mitgliedsstaaten der Legitimation und der souveränen Rechte der Staaten Rechnung getragen werde, weil die Minister mit der Mehrheit ihrer nationalen Parlamente gewählt würden. Das Gericht spreche dabei von einer legitimen „demokratischen Gestaltungsmacht der Europäischen Union“, erläuterte Professor Simon.

Die wichtigste Entscheidung in Sachen Demokratieprinzip enthält ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Eurorettung im Jahr 2012. Hier ging es, erläuterte Professor Simon, um die Budgethoheit des Deutschen Bundestages. Die Bundesregierung hatte über den Kopf des deutschen Parlaments in seiner Gänze hinweg mit einem kleinen Sondergremium mit sehr wenigen Abgeordneten eine Entscheidung zum Euro-Rettungsschirm und dem europäischen Fiskalpakt getroffen. Das Bundesverfassungsgericht untersagte diese Vorgehensweise, denn der Bundestag dürfe nicht durch „haushaltspolitische Ermächtigungen“ seine Verantwortung auf andere übertragen.

Die wesentliche Wurzel des europäischen Demokratieproblems liegt nach Simons Betrachtungen allerdings vor allem in zwei Institutionen, nämlich der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Exekutive und Judikative hätten sich sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in der EU abgekoppelt und verselbstständigt. Sie träfen Entscheidungen von großem politischem Gewicht in einem unpolitischen Modus und seien dabei immun gegen politische Wünsche zur Veränderung ihrer Praxis. Dies hänge damit zusammen, dass Veränderungen der EU-Verträge quasi wie Verfassungsänderungen behandelt werden müssten. Die schwerfällige Veränderbarkeit des Unionrechts sei ohnehin problematisch und müsse beschleunigt werden. Allerdings ist sich Simon sicher, dass das nicht bestreitbare Demokratiedefizit weniger im Institutionellen begründet sei, sondern in den gesellschaftlichen Voraussetzungen der Demokratie. Er schloss am Ende seinen Vortrag mit einigen Verbesserungsvorschlägen, die auch bei der späteren ausführlichen Diskussion mit den Anwesenden eine Rolle spielten.

Seine Leitfrage lautete: „Wie überzeugen wir die Menschen, dass die Europäische Union die einzig realistische Größe ist, um den globalen Herausforderungen zu begegnen?“ Seine Ideen dazu beinhalteten u.a. die Kommunikation über EU, die – sobald nur das Wort Brüssel fällt – sofort negativ bewertet werde. Das müsse aufhören. Die Frage nach den Kompetenzen der EU müsse dringend diskutiert werden, damit die heutigen Herausforderungen überwunden werden könnten. Dazu zählte er auch den Binnenmarkt, der verändert werden müsse, um die südeuropäischen Staaten mit ihren Sozialproblemen nicht allein zu lassen, z.B. mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit. Um den Zusammenhalt zu fördern, brauche es eine europäische Öffentlichkeit, um den für die Demokratie notwendigen politischen Diskurs zu ermöglichen. Das EU-Parlament, so fuhr er fort, sei ein Parlament, in dem intensiv an Problemen gearbeitet werde, mehr als in anderen. Als ein Arbeitsparlament werde seine Kompetenz und Vermittlungsrolle sowie seine Rückbindung an den Wählerwillen nicht genügend wahrgenommen. Er appellierte an die politischen Verantwortungsträger, dieses Instrument zu nutzen. Außerdem schlug er vor, über eine größere Beteiligung nationaler und vielleicht sogar regionaler Parlamente im europäischen Gesetzgebungsprozess nachzudenken. Das wäre ein Mittel, um die demokratische Legitimation und Akzeptanz zu erhöhen.(mw)



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