Der Kaisers Geschwister und Kronberg

Kronberg (hg) – Die „Kaiserin Victoria”, wie man sie gern nennt, brachte vor rund 125 Jahren den Glanz der großen Welt nach Kronberg. Jetzt wurden plötzlich in Berlin und London Nachrichten aus dem kleinen Taunusstädtchen wichtig. In umgekehrter Richtung flossen Depeschen und Briefe und kamen hochgestellte Besucher nach Kronberg, genauer: in Victorias Witwensitz Schloss Friedrichshof, das heutige Schlosshotel. Denn diese Victoria Kaiserin Friedrich, wie sie korrekt heißt, war Tochter der weltweit bedeutenden englischen Königin Queen Victoria, war Witwe eines Kaisers und Mutter des Deutschen Kaisers. Um den geht es schon im Titel eines für Kronberg bedeutsamen neuen Buches von Barbara Beck: „Wilhelm II. und seine Geschwister”.

Leben in der Dynastie

Im Vorwort wird klar, dass Mutter und kaiserlicher Sohn samt dessen fünf erwachsenen Geschwistern im deutschen Hochadel und in einer Monarchie lebten, so “dass Wilhelm seit seiner Thronbesteigung ... auch das Familienoberhaupt des Hauses Hohenzollern war. Ihm kam damit eine sehr weitreichende Einflussnahme auf die Lebensgestaltung aller Angehörigen der Dynastie zu” (Zitate im Interesse der Lesbarkeit ohne Nachweis). Das galt selbstverständlich für das jüngste Geschwister Wilhelms, die 1872 in Potsdam geborene Margarethe, durch die Nähe zur Mutter Victoria ganz besonders.

Margarethe wurde Jahrzehnte später den Kronbergern als “alte Landgräfin” vertraut. Um die Zeit ihrer Geburt war Wilhelm, ihr ältester Bruder, seinen Eltern schon recht entfremdet. Die jüngste Schwester schloss sich stark an die nur zwei Jahre ältere Prinzessin Sophie an. Diese Sophie übrigens erlangte später als Einzige der fünf Geschwister Wilhelms königliche Würden. Von den älteren um Wilhelm gescharten Geschwistern schaffte das niemand. Ein Bruch Wilhelms mit Sophie war eine Folge ihrer innigen Hinwendung zu Griechenland. Wie denn überhaupt im Buch die komplizierte Entwicklung aller Geschwister und ihrer Kinder bis hin zum Tode Margarethes im Jahre 1954 behandelt wird, während sich die Besprechung hier mehr den Kronberger Bezügen widmet.

Margarethes besondere Rolle

Bereits nach dem Tode ihres Vaters Friedrich im „Dreikaiserjahr” 1888 wurde Margarethe zur Stütze ihrer vereinsamten Mutter. Victoria sah 1890 die Rolle ihrer unverheirateten Jüngsten, die „Mossy” genannt wurde, kritisch: „Es wird jetzt gar leer u. einsam bei mir werden, meine arme kleine Mossy wird niemanden haben als ihre traurige Mama, die so schwer an ihrem Kummer trägt.”

Für die Kaisertochter war die Partnerwahl nicht einfach. Sie wandte ihr Interesse Prinz Max von Baden zu. „Max (galt) außerdem noch als dereinstiger Thronfolger im Großherzogtum”. Doch Max war “homosexuell veranlagt”. Margarethe blieb “dem Prinzen ... aufrichtig zugetan. Sie sollte später sogar zu den ganz wenigen fürstlichen Standesgenossen gehören, die ihm, dem letzten Reichskanzler des Kaisers, auch nach 1918 die Freundschaft bewahrten.”

Es zählt zu den Stärken des Buches, die Rolle der Fürstenfamilien in Europa herauszustellen – vor allem bei Heiratsprojekten. „Als sich der hessische Prinz Friedrich Karl im Mai 1892 um Margarethes Hand bewarb, löste er damit... auch bei deren Mutter eine große Überraschung aus”. Doch kam so die für Kronberg außerordentlich wichtige Ehe zustande, die langfristig den Bestand von Burg und Schloss sichern sollte. Margarethe erhielt durch „Heiratsgut” und das Erbe von Kaiserin Friedrich ein Vermögen von anderthalb Millionen Goldmark, wie Barbara Beck aufführt. Das Paar siedelte 1902 vom Schloss Rumpenheim mit seinen sechs Söhnen nach Kronberg um, und der Prinz schied 1911 im Range eines Generalmajors aus dem Militärdienst aus.

Aus der Traum

Friedrich Karl hielt Ausschau nach einem frei werdenden Thron – „dieser alte fürstliche Wunschtraum”. 1918 wurde er tatsächlich zum König von Finnland gewählt, und wieder stand Kronberg im Mittelpunkt diplomatischer Verwicklungen. Problematischer noch als die Wahl waren die politischen Umstände, die vom Hessenprinzen den Verzicht auf den finnischen Thron verlangten. Durch die französische militärische Besetzung Kronbergs – dieser Aspekt fehlt im Buch - fand sich Friedrich Karl genötigt, seine eigene Erklärung zurückzudatieren. Ein Beispiel für den Absturz aus der Welt der Monarchie und für den Beginn schwieriger Jahre in Kronberg. Auf den letzten Seiten ihrer verdienstvollen Arbeit geht die Autorin noch auf das Versagen des deutschen Hochadels und der “Hessen” während des Aufstiegs der Nationalsozialisten ein.
von H. Grossmann

Barbara Beck, Wilhelm II. und seine Geschwister. 256 Seiten, Verlag Friedrich Pustet



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