Landgraf Philipp – ein echter „european player“

Kronberg (war) – In Kronberg ist der Ruf von Landgraf Philipp I. von Hessen – genannt der Großmütige – bis heute eher reserviert bis negativ behaftet. Hat dieser doch die Burgstadt im Rahmen der Sickingenschen Fehde kurzerhand von 1522 bis 1541 besetzt gehalten. Während dieser Zeit wurde 1526 die Reformation in Kronberg eingeführt. Ein ganz anderes Bild des Landgrafen zeichnete Prof. Reinhard Neeb von der Universität Marburg in seinem Vortrag „Luther und Europa: Wege der Reformation und der fürstliche Reformator Philipp von Hessen“, den er kürzlich im Rahmen der diesjährigen Vortragsreihe zur Reformation auf Einladung des Burgvereins hielt. Neeb ist neben Justa Carrasco auch der Kurator der sehenswerten Wanderausstellung „Luther und Europa“, die noch bis zum 16. Juli auf der Burg zu den üblichen Öffnungszeiten im gerade neu eröffneten Saal im zweiten Obergeschoss der Mittelburg zu sehen ist. Neebs Ausführungen boten somit eine ideale Ergänzung und Vertiefung zur aktuellen Ausstellung. Für Neeb steht fest: „Landgraf Philipp wirkte lebenslang als zentraler ‚european player’ in ‚Sachen Reformation‘. Diesbezüglich war er einer der wichtigsten fürstlichen Reformatoren mit herausragender Bedeutung für die Durchsetzung der protestantischen Glaubenslehre in Deutschland und Europa. Dennoch wird Philipp bislang zu wenig Beachtung geschenkt.“ Aufgrund seiner humanitären Gesinnung suchte der Regent nach Meinung des Referenten Zeit seines Lebens einen Ausgleich zwischen den verfeindeten Lutheranern und Zwinglianern sowie den Katholiken zu erreichen. Hierbei kam ihm sicherlich sein exzellentes Netzwerk zu Regenten in anderen europäischen Ländern zugute, wie nach Dänemark, Holland, Frankreich, Spanien, Ungarn und England. Höhepunkt in dieser Hinsicht war sichtlich das heute noch berühmte Religionsgespräch in seiner Marburger Residenz zwischen Martin Luther und Huldrych Zwingli aus Zürich im Jahr Oktober 1529. Zentrales Thema war dort der Abendmahlstreit. Während für Luther das „est“ (lateinisch für „ist“) feststand, was für den Reformator bedeutete, dass in der Darreichung des Abendmahls der wahre Leib und das wahre Blut Christi gegenwärtig war, galt für Zwingli das „significat“ (lateinisch für „bedeutet“). Für den Schweizer kam somit nur ein „Gedächtnismahl“ im übertragenen Sinne in Frage, aber keine Realpräzens von Gottes Sohn. Trotz intensiver Diskussionen kam zum Bedauern von Philipp, der damals eine pragmatisch geprägte „Mittelstraße“ des Ausgleichs anstrebte, letztlich keine Übereinkunft zwischen beiden Parteien zustande. Während Luther die Anhänger Zwinglis sogar als Ketzer ansah und sich diesbezüglich nicht viel anders verhielt als die katholische Kirche ihm selbst gegenüber, legte Philipp eine sehr viel tolerantere Haltung gegenüber Andersgläubigen einschließlich der Juden zutage. Als der sächsische Kurfürst Johann Friedrich auf Basis von Luthers Hetzschrift „Von den Juden und ihren Lügen“ die Vertreibung dieser Volks- und Glaubensgruppe binnen 14 Tage verfügte, verfolgte der Hesse einen gemäßigten Umgang mit den Juden. „Daran wird ersichtlich, dass Philipp eindeutig weit entfernt von fundamentalistischen Vorstellungen war. Selbst die damals im ganzen Reich verfolgten ‚Wiedertäufer‘ wollte er nicht durch obrigkeitlichen Zwang, sondern durch Überzeugung von ihren extremen Glaubensansichten abbringen“, so Neeb. Letztere gar mit dem Tod, wie vielerorts geschehen, zu bestrafen, kam für Philipp keinesfalls in Frage. Hier stand er erneut im Gegensatz zu den meisten seiner fürstlichen Kollegen. Als Kaiser Karl V. – dem nicht zuletzt aus politscher Motivation (Stichwort Türkengefahr) wie Philipp von Hessen aus innerer Überzeugung an einer Befriedung des Glaubensstreits zwischen den katholischen und protestantischen Reichsständen sehr gelegen war – im Jahr 1541 während des Reichstags in Regensburg eine Einigung unter den Kontrahenten nochmals herbeiführen wollte, erhielt er dafür intensive Unterstützung durch den Landgrafen. Neeb zum Ausgang des Regensburger Gesprächs: „Aufgrund der Koppelung theologischer Fragen mit politischen Interessen war es für einen friedlichen Religionsausgleich im Reich jedoch schon zu spät.“ Zumindest konnte Philipp damals die offizielle Anerkennung seiner Marburger Universität, die er nicht zuletzt durch die Auflösung katholischer Institutionen finanziell gestemmt hatte, seitens des Kaisers erreichen. Das letztlich erfolglose Gespräch in Regensburg hielt Philipp dennoch nicht ab, ein Jahr später in einem Schreiben folgende visionäre Vorgehensweise vorzuschlagen, um doch noch einen Religionsfrieden zu erreichen: Auflösung des Kirchenstaates bei gleichzeitiger Rückstufung des Papstes zum einfachen Bischof von Rom neben Herstellung der politischen Balance in Europa durch Ausgleich zwischen Habsburg und Frankreich sowie Glaubensvergleich zwischen Protestanten und Katholiken durch zügige Einberufung eines Konzils. In seinem 1562 erstellten Testament betonte der fünf Jahre später verstorbene Landgraf schließlich erneut sein „religionspolitisches Credo“ der friedlichen Verständigung zwischen den verschiedenen protestantischen Gruppierungen bis hin zur Wiederherstellung der Glaubenseinheit mit den Katholiken anzustreben. Damit kann Philipp ohne Übertreibung als Protagonist ökumenischer Verständigung im Europa der Frühneuzeit angesehen werden.

Neben der eingangs erwähnten Ausstellung „Luther und Hessen“ wird zusätzlich bis Ende Oktober die Parallel-Ausstellung „Kronberg und die Reformation“ auf der Burg gezeigt. Diese Sonderschau, die von Mitgliedern des Burgvereins und des Kronberger Geschichtsvereins sowie des Kreisarchivs in Bad Homburg erarbeitet wurde, beleuchtet intensiv die lokalen reformatorischen Vorgänge in Kronberg zwischen dem frühen 16. und dem späten 19. Jahrhundert.



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