„Lasst uns endlich tolerant, weltoffen und vor allem menschlich sein“

Kronberg (pu) – Informieren, Ängste nehmen, Anregungen austauschen und Sensibilisieren für die kommenden Herausforderungen – das waren die Kernpunkte der Bürgerinformationsveranstaltung des Magistrates der Stadt Kronberg Montagabend in der Stadthalle. Etwa 200 Interessierte waren dieser Einladung gefolgt und erfuhren im Detail den bisherigen Sachstand rund um das Projekt „Integration in Kronberg – Flüchtlinge und Asyl“. Mit der Ersten Kreisbeigeordneten des Hochtaunuskreises Katrin Hechler (SPD), Bürgermeister Klaus Temmen (parteilos), Erstem Stadtrat Jürgen Odszuck (parteilos), dem Integrations-Dezernenten, Hans Robert Philippi (SPD), Pfarrer Dr. Jochen Kramm von der evangelischen Markus-Gemeinde sowie dem Eigentümer des seit Jahren freistehenden 1.800 Quadratmeter großen Bürogebäudes in der Dieselstraße, Jakob F. Wintzer, saßen sechs Ansprechpartner auf dem Podium.

Bevor die Bürger sämtliche ihnen unter den Nägeln brennenden Fragen stellen durften, gab es zunächst einen 40-minütigen Infoblock. Sowohl Bürgermeister Klaus Temmen als auch Erste Kreisbeigeordnete Katrin Hechler dankten für das große Interesse. „Ich glaube, dass es den Flüchtlingen guttut, wenn sie merken, dass man an ihrem Schicksal Anteil nimmt“, so Hechler. Um die dramatische Situation und den dringenden Handlungsbedarf der Kommunen, rasch Aufnahmemöglichkeiten zu schaffen, vor Augen zu führen, zeichnete sie den rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen der letzten 12 Monate nach. Nach momentanem Stand leben ihrer Aussage zufolge bereits 904 Flüchtlinge im Hochtaunuskreis, in der Regel kämen jeden Montag 15 weitere dazu, sodass die Zahl voraussichtlich bis Jahresende auf 1.160 anwachsen werde. Heruntergebrochen auf die Einwohnerzahl der jeweiligen Hochtaunuskommunen ergäbe sich für Kronberg ein Schlüssel von 7,76 Prozent, nach wie vor sei daher für die Burgstadt die InOobhutnahme von 90 vor Krieg und Terror geflüchteten Menschen notiert. Man versuche alles, um Zwangszuweisungen möglichst zu vermeiden, spätestens Mitte Oktober müsse Kronberg allerdings aufgrund der bisher deutlich defizitären Aufnahmequote damit rechnen, die noch unterzubringenden etwa 80 Personen aufnehmen zu müssen. Für das kommende Jahr sei nach jetzigem Stand der Dinge mit weiteren 90 Flüchtlingen zu rechnen.

Vertrauensvorschuss

Hechler warb um Vertrauensvorschuss für die Neuankömmlinge. Im Gegensatz zur Situation von vor 20 Jahren handele es sich dieses Mal mitnichten um Wirtschaftsflüchtlinge, unter die, wie Integrations-Dezernent Hans Robert Philippi einräumte, sich unter anderem Drogendealer aus Ghana gemischt hatten, sondern um Menschen aus Krisengebieten wie Pakistan, Eritrea, Afghanistan, Somalia, Iran und Syrien, „die hier zur Ruhe kommen und arbeiten wollen. Landkreise wie Gemeinden sind dazu verpflichtet, Strukturen zu schaffen, die dem gerecht werden. Seien Sie sicher, wir achten dieses Mal darauf, dass soziale Betreuung gewährleistet ist.“ Philippi wurde in diesem Zusammenhang noch deutlicher: „Wir werden diese Menschen nicht wegsperren, sondern eine Willkommenskultur schaffen und sie integrieren.“ Gleichzeitig räumte er mit dem Vorurteil auf, während des Bearbeitungszeitraums der Asylanträge seien Flüchtlinge automatisch zur völligen Tatenlosigkeit verdammt, was wiederum zur Folge haben könnte, infolge aufkommender Langeweile auf „dumme Gedanken“ zu kommen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung sei es für Flüchtlinge nach Paragraph 5 des Asylgesetzes sehr wohl möglich, auch während des allgemeinen Arbeitsverbots eine ehrenamtliche, gemeinnützige Arbeit gegen eine geringfügige Vergütung von etwas mehr als einem Euro anzunehmen.

In puncto Sicherkeit versuchten sowohl Hechler als auch Philippi die auch in Fragen von Bürgern deutlich gewordenen Ängste zu zerstreuen. Der Integrations-Dezernent, durch 38 Jahre im Polizeidienst mit sämtlichen diesbezüglichen Herausforderungen vertraut, warnte nochmals eindringlich davor, die Neuankömmlinge von vornherein unter Generalverdacht zu stellen. Man spreche zurzeit ausschließlich von einer abstrakten Gefahr, ein Sicherheitskonzept sei erarbeitet, entsprechende Maßnahmen der Prävention selbstverständlich vorgesehen und falls weitere Schritte dennoch erforderlich würden, werde man entsprechend reagieren. Aufgrund der gegebenen Betreuung und dadurch bedingter Kontrolle beuge man beispielsweise auch der Gefahr der Überbelegung der Gemeinschaftsunterkünfte vor.

Die erste Kreisbeigeordnete Katrin Hechler ging in diesem Zusammenhang ganz offen auf einige von Bürgern angesprochene Vorkommnisse und Polizeiaktionen in Oberursel und Bad Homburg ein. Meist habe es sich dabei um Streitigkeiten direkt unter Landsleuten gehandelt, die unverzüglich getrennt worden seien. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen mit kriminellen Absichten in die Gemeinschaftsunterkünfte begeben, stufte sie aufgrund der sozialen Kontrolle als äußerst gering ein. „Dort laufen sich tagtäglich 40 bis 50 Menschen über den Weg, das sind arbeitswillige Menschen, die für sich selbst sorgen wollen und je menschenwürdiger sie untergebracht sind und je besser integriert, desto mehr sind sie daran interssiert, dass dort auch Ruhe herrscht.“ Das kenne schließlich jeder von sich selbst, dort wo man sich wohl fühle, verhalte man sich auch dementsprechend.

Zum Thema der beiden bisher angedachten Gemeinschaftsunterkünfte, dem Bettenhaus Im Brühl 30 und dem Bürogebäude in der Dieselstraße, gibt es weiterhin noch nicht den entscheidenen Durchbruch zu vermelden. Laut Pfarrer Dr. Jochen Kramm wird die noch in dieser Woche zu erwartende Stellungnahme des Kirchenvorstands der Markus-Gemeinde in die Entscheidungsfindung der Eigentümerin des Gebäudes, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), einfließen. Eine endgültige Aussage sei wohl Anfang Oktober zu erwarten. Kramm zufolge „ist der Druck auf die Kirche sehr groß, es gibt kaum Menschen, die nachvollziehen könnten, falls sich die Kirche dagegen entscheiden würde.“

Beim Bürogebäude in der Dieselstraße liegt nach Aussage des Eigentümers Jakob F. Wintzer nach wie vor noch keine Baugenehmigung vor. Geplant seien dort entsprechend der Richtlinien des Hochtaunuskreises Appartments à 25 Quadratmeter für zwei Personen. Insgesamt könnten dort 40 bis 60 Menschen eine Bleibe finden. „Wir können und werden das Objekt allerdings nur sanieren, umbauen und einen Hausmeister stellen. Betreiben wird das Ganze eine karitative Einrichtung, wir sind mit dreien im Gespräch.“ Darüber hinaus hat der MTV Kronberg Interesse an Räumlichkeiten in diesem Gebäudekomplex angemeldet. Sobald die Baugenehmigung vorliegt und der Betreiber gefunden ist, könnte es losgehen.

Unterdessen laufen sowohl bei der Stadt als auch in den Arbeitskreisen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Da weiterhin Zwangszuweisungen drohen, wird die Suche nach Notunterkünften voran getrieben. Nach wie vor ist jede nur erdenkliche Hilfe weiterhin willkommen, sei es eine private Unterkunft betreffend, Unterstützung in den Arbeitskreisen, der Wartung der 25, teilweise nicht verkehrssicheren, Fahrräder, die im Fundbüro stehen und nicht wie ursprünglich vorgesehen versteigert, sondern den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt werden, oder durch eine Spende. Die Arbeitsgruppe „Fundraising“ hat, wie deren Sprecher Thomas Maurer am Montag verriet, innerhalb von nur 14 Tagen 9.473 Euro eingesammelt, am Informationsabend wurde dieses beeindruckende Ergebnis um weitere 450 Euro durch Verkauf der bunten Ketten gemäß des Slogans „Kronberg wird bunter!“ aufgestockt. Spenden können auf dem Konto der Stadt Kronberg im Taunus, Stichwort Flüchtlingshilfe Kronberg, IBAN: DE64 5105 0015 0272 0000 18, BIC: NASSDE55XXX eingezahlt werden. Ein Förderverein ist gegründet, Spendenquittungen können ausgestellt werden.

Positive Erfahrungsberichte einer Oberhöchstädterin, die eine Flüchtlingsfamilie aufgenommen hat und aus den Reihen der Paten des Flüchtlingskreises Asyl Königstein haben an diesem Abend womöglich dem einen oder anderen vor Augen geführt: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“ Hans-Willi Schmidt, Vorsitzender des Vereinsrings Kronberg, selbst geprägt von Erfahrungen als Flüchtlingskind nach dem Zweiten Weltkrieg, brachte es auf den Punkt: „Lasst uns endlich die Stadt sein, die wir so gerne sein wollen: tolerant, weltoffen und vor allem menschlich!“ Wer Fragen und Anregungen zum Thema Flüchtlingshilfe hat, kann eine E-Mail an integration[at]kronberg[dot]de senden oder sich telefonisch mit Veronika Heck im Integrations-Büro unter der Nummer 703-1114 in Verbindung setzen.



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