Leserbrief

Aktuell

Unser Leser, Dr. Gernot Archner, Helbighainerweg, Königstein (CDU-Stadtverordneter 2000 bis 2003 in Kronberg), schreibt zur Debatte um die Flüchtlingsaufnahme unter der Überschrift „Floskeln und Rituale auf beiden Seiten“ Folgendes:

Es ist leider ein Zeichen dieser Zeit, dass über ein so ernstes globales wie lokales Problem anscheinend nur noch in Floskeln von deutschen (Kommunal)Politikern als auch von Vertretern der lokalen „Abwehr“-Interessengemeinschaften gesprochen werden kann. Die einen verharmlosen die vorhandenen und durchaus nachvollziehbaren Besitz-, Lebens- und Identitätsängste von deutschen wie ausländischen Bewohnern („bisher nur 7“) oder geben gleich offensiv Warn- und Stoppschilder für den öffentlichen Diskurs vor („Mehr Weltoffenheit“, „Kronbergs Ansehen“, „reiche Kronberger“). Manchem besonders offensiven Lokalpolitiker reicht selbst das nicht aus und er glaubt zur Assoziations-Keule mit dem „Klärwerk“ greifen zu müssen. Die anderen, die eine nicht von ihnen angekochte „Suppe“ vor ihrer Haustür still und gehorsam – dann auf einmal „gut deutsch“ eben – gefälligst auslöffeln sollen, zeigen sich, wie öffentlich gefordert, sehr „weltoffen“ und „begrüßen“, nur eben nicht vor der eigenen Haustür, weil das ja nun aus ganz, ganz vielen verschiedenen Gründen der objektiv ungeeignetste Standort für ein ansonsten subjektiv sehr zu begrüßendes Unterfangen ist. Man möchte im öffentlichen Ansehen eben als alles erscheinen, nur nicht als fremdenfeindlich. Ehrlichkeit und Mut zur Wahrheit auf beiden Seiten sähe anders aus. Selbstverständlich haben materiell reiche Bürger mit einer zu geringen Kinderschar, denen aktuell bereits die finanzielle Rettung Europas aufgebürdet wird, mehr zu verlieren als kinderreiche Armutsflüchtlinge aus aller Welt. Entsprechend groß ist die Verlustangst, und bei Weitem nicht nur die materielle. Man fragt sich, ab welcher Anzahl von Kriegs- und Armutsflüchtlingen die scheinbar in Stein gemeißelten Moral-Floskeln der „verantwortlichen“ Kommunalpolitiker für sie selbst wohl hinfällig würden.

Wenn die allabendliche Tagesschau-Bootsflüchtling-Welle nicht mehr nur 7 sondern 700 oder gar 7.000 nach Kronberg schwappen lassen würde ? Was hindert diese Politiker eigentlich daran, mit dem von anderen eingeforderten guten Beispiel einer privaten Unterbringung voranzugehen und als erste Flüchtlinge privat aufzunehmen und zu versorgen ? Und zwar bitte nicht nur den sympathischen und gut ausgebildeten syrischen Arzt mit blauen Augen und französischen Wurzeln, um den sich die halbe Welt schlagen würde. Erst wenn dies passiert, darf man wohl überhaupt hoffen, dass über ein so ernstes globales Thema endlich in verantwortungsvoller Weise gegenüber dem eigenen Souverän gesprochen wird.



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