Leserbrief

Aktuell

Unser Leser Gerd-Toni Wagner, Am weißen Berg, Kronberg, schreibt zum Aktionstag „Keine Gewalt gegen Frauen“ Folgendes: Man liest und staunt: Beim Bäcker und bei Rewe kommt anlässlich eines Aktionstages ausnahmsweise „Keine Gewalt gegen Frauen“ in die Brötchen-Tüte. Gut so.

Aber Gewalt gegen Männer im trauten Heim oder im öffentlichen Raum, Attacken gegen schwule Männer in den weltoffenen Metropolen oder Aggressionen gegen den kleinen Mann auf den Schulhöfen – kein Thema. Männer gibt‘s nur als Täter: Nicht nur hier und da, nein „ondern allgemein.

In jedem Berufsbereich. Überall lauern sie. Natürlich mit „Unterstützung derjenigen, die es wissen und schweigen“.

Also irgendwie sind alle verdächtig – wenn nicht schuldig. So was nennt man Generalverdacht und ist verwerflich.

Aber lesen wir weiter: Aha, in Kronberg wird seit vielen Jahren „darauf hingewiesen, dass Gewalt nicht hingenommen wird, ganz gleich, ob Frauen oder Männer betroffen sind.“ Echt jetzt? Hab‘ ich was verpasst? Tüten beim Metzger mit der Aufschrift „Lasst doch die armen Würstchen in Ruhe“? Danke für entsprechende Aufklärung. Im Rest des Artikels geht es dann wieder munter weiter gegen die armen Würstchen – seien es berühmte Filmemacher, weinselige FDP-Politiker oder, wie wir ja weiter oben erfahren haben, gegen so ziemlich alle außer Papa.

Man möchte nicht in ihrer Haut stecken. Man(n) muss es aber…

Ach ja, die Übergriffe an Silvester in Köln, bei denen eine Tausendschaft von Migranten es mal so richtig krachen ließ und eine völlig neue Dimension von Gewalt gegen Frauen zeigte – dieser kollektive Übergriff „verblasst“ nicht, wie der Artikel suggeriert – nein, den versucht man bewusst verblassen zu lassen. Zum Bespiel mit Falschmeldungen in ARD und ZDF, die das widerwärtige Geschehen rund um den Dom mit den Zuständen auf dem Oktoberfest auf eine Stufe stellten. (Richtigstellung durch die Münchner Polizei siehe FAZ Online vom 8. Januar 2016).

Zurück zu unseren armen Würstchen: Laut der Studie des Anti-Diskriminierungsforschers Dr. Peter Döge im Auftrag der EKD (Evangelische Kirche Deutschlands, absolut unverdächtig) sind Männer und Frauen zu etwa gleichen Teilen Opfer von Gewalt. So haben 45 Prozent der befragten Männer und 40 Prozent der befragten Frauen häusliche Gewalt erlitten. Aktiv gewalttätig sind 34% der Männer und 30 Prozent der Frauen. Gewalt ist keineswegs eine Männerdomäne, auch Frauen können ordentlich zulangen - nicht nur gegen ihre Partner, auch gegen Söhne und Töchter. Die exklusive Opferrolle der Frau kommt also statistisch schon mal gar nicht in die Tüte - ist aber ein Dauerthema in Politik und Medien, während der Mann als Opfer in der Öffentlichkeit kaum präsent ist. Es geht mir nicht darum, Opfer gegeneinander auszuspielen oder aufzurechnen. Im Gegenteil: man muss die Leiden aller Opfer ernst nehmen und Gewalt allgemein tabuisieren statt sie einseitig zu instrumentalisieren - unabhängig vom Geschlecht. Alles andere ist Lobbyarbeit und hat ideologisches Geschmäckle.

So, und ich werde mir am Aktionstag meine Brötchen nicht im Rewe, nicht beim Bäcker Flach und auch nicht beim Bäcker Christ holen. Ich hole sie mir frisch, frech und fröhlich dort, wo auch die Gewalt gegen den Rest der Welt keinen Platz in der Tüte findet. Sondern nur leckerer Geschmack ohne Geschmäckle.



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