Melinda Paulsen wird laut – Weibliche Waffen im Wappensaal

Ein expressives Gespann: Melinda Paulsen, Mezzosopran im Wappensaal der Burg, begleitet von Andreas Frese am Klavier.

Foto: Sura

Kronberg (aks) – Melinda Paulsen warnt schon mal vorab: „Es wird laut!“. Zum Thema rebellische Frauen hat sie viel mit einem umfangreichen Programm beizutragen. Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert hat sie Kompositionen ausgewählt, die teils selten aufgeführt werden, wie „die Klage der Ceres“ von Franz Schubert mit Texten von Friedrich Schiller, und die musikalisch sowie lyrisch eine Herausforderung sind. Melinda Paulsen plaudert mit ihrem charmanten, leicht amerikanischen Akzent und ihrem verschmitzten Lächeln von den Rebellinnen vergangener Zeiten. Nicht nur ihr Deutsch ist perfekt – und sehr unterhaltsam – sie singt an diesem Nachmittag auch Debussys „Chansons de Bilitis“ auf Französisch, Stenhammar und Rangströms Lieder auf Schwedisch – auswendig versteht sich, was gerade bei Schillers elf Strophen und der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson eine herausragende Leistung ist. Die amerikanischen Lieder ihrer Heimat aus den 50er-Jahren liegen ihr besonders am Herzen. „In den Fünfzigern war in den USA alles vorhanden, von der Spätromantik bis zur Elektronik, Konventionen wurden aufgebrochen“ – nach dem Motto „anything goes“.

Mit ihrer mitreißenden Mimik, eher sparsamen Gestik und ihrer wunderbaren warmen Stimme, die immer das Gefühl ihrer Heldinnen ausdrückt, verkörpert sie jedes einzelne Frauenschicksal. Sehr zu Herzen ging gleich zu Beginn die Arie der Arianna auf Naxos von Joseph Haydn, die ihren Geliebten Theseus nicht mehr wiederfindet. „Dove sei tu?“, diese Frage zunächst zögerlich leise, dann zweifelnd, dann verzweifelt und sogar wütend, zeigt die Stimmungen einer Liebenden, die allmählich ihre Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen verliert. Paulsen verzaubert durch die große Innigkeit ihres Gesangs. Die Bitte um Gnade und der Wunsch zu sterben wandeln sich zu einem Furiengesang der Verlassenen: „Barbaro infidele!“, in dem sie den Geliebten verflucht. Typisch weiblich? Auf jeden Fall Emotionen in allen Farben, Höhen und Tiefen, dem die erfahrene Mezzosopranistin nicht nur stimmlich gewachsen ist.

Die Frauen, auch wenn sie nicht kämpferisch daherkommen, sind die Heldinnen nicht nur an diesem Sonntagnachmittag, sondern so darf man hoffen, auch darüber hinaus. Sie sind Liebende, Mütter, Amazonen, Heilige, unschuldige Töchter, göttliche Wesen. Jede begehrt auf ihre Weise auf, passt sich weder den gesellschaftlichen noch den gottgegebenen Normen an. Dabei wollen sie beschützen und vereinen statt zu kämpfen. Sie flehen, beten und bitten, statt zu den Waffen zu greifen. Ihre Stärke ist ihr Gefühl. Sie berühren und erweichen die Herzen durch ihre tief empfundene Liebe, ihren Schmerz, ihre Verzweiflung und ihre Hoffnungslosigkeit.

Andreas Frese ist der Gesangsprofessorin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt in allen lauten und leisen Gefühlsausbrüchen ein aufmerksamer, zugewandter und ebenso expressiver Begleiter am Flügel, dessen Töne so wunderbar im Wappensaal erklingen. Schuberts Klage der Ceres nach einem Gedicht von Friedrich Schiller berührt durch übermenschliche Mutterliebe. Ceres’ und Zeus’ Tochter Proserpina wurde von Pluto in die Unterwelt entführt. Wundersamerweise senden sich Mutter und Tochter Lebenszeichen durch eine Blume, deren Wurzeln in die Unterwelt reichen und ihre Blüten im Frühling Ceres erfreuen: „Deine Blumen kehren wieder. Deine Tochter kehret nicht.“ Sie klagt Zeus ihr Leid, doch sie erweicht ihn nicht. Gnade gibt es für sie und ihr Kind nicht und so zerbricht Ceres an der Unerbittlichkeit der Götter – allesamt Männer, die die Macht über die Liebe stellen. „Ewig steht der Schluss des Zeus...einmal in die Nacht gerissen, bleibt sie ewig mir geraubt.“

In eine andere Zeit entführt uns Emily Dickinson. Sie gilt als amerikanische Ikone und als unangepasste Frau. Melinda Paulsen preist sie als „unendlich fantasievolle Dichterin“. Heiter und beschwingt trägt die Sängerin ihr Gedicht „Why do they shut me out of heaven“ vor und ihr sybillinisches Lächeln verrät die fragende Antwort: „Did I sing too loud?“ So ist es: Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin!

Dann kündigt sie Schumanns „allerletzte Lieder“ an, die er in einer tiefen Depression komponiert hat: Die Gedichte der Königin Maria Stuart. Diese historische Frauenfigur bittet in ihren Niederschriften als Frau, als Mutter, als Königin und als Todegeweihte um den Segen: „Rette du mich!“ Ihr tragisches Schicksal rührt bis heute die Menschen.

Aber auch viel Humor ist bei diesem Programm dabei. Nach der Pause singt Paulsen Lieder aus ihrer Heimat USA von Samuel Barber, der Texte von Mönchen aus dem 12. Jahrhundert vertont hat, die uns heute noch zum Schmunzeln bringen. Da wird der Mönch Eden mit Sicherheit nicht allein schlafen und die heilige Ita betet, dass sie das Jesuskind gern selbst stillen möchte. Ein Aspekt des Mittelalters, das voller praller Lebenslust strotzte.

Der anspruchsvolle Vortrag von Melinda Paulsen, begleitet von Andreas Frese, zur Teezeit auf Burg Kronberg bescherte den Besuchern aufregende zwei Stunden, die unter die Haut gingen. Paulsen meisterte das straffe Programm mit der ihr eigenen Stimmkraft, berührender Empathie und persönlicher Souveränität. Brava!



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