Musizieren, bis der Nikolaus kommt Glanzvolles Adventskonzert der Chöre

Die Chöre von St. Johann und das Orchester zogen die Zuhörer mit „Saint Nicolas“ von Benjamin Britten unter der Führung von Konzertmeisterin Almut Frenzel-Riehl und dem temperamentvollen Dirigat von Bernhard Zosel in ihren Bann. Foto: Hackel

Kronberg. – „Komm – komm – komm!“ – eindringlich wird er gerufen, der heilige Nikolaus in Benjamin Brittens Kantate „Saint Nicolas“. Und tatsächlich: am Schluss des Konzerts in St. Johann, das passenderweise am Nikolaustag stattfand, kam er dann leibhaftig, um Orchester und Kinderchor mit einer süßen Aufmerksamkeit zu erfreuen. Doch was war zuvor geschehen? Begonnen hatte der Abend mit der spritzigen, geistvollen „Simple Symphony“, ebenfalls von Benjamin Britten. Ein erstaunliches Stück Musik, das der Komponist mit erst 18 Jahren für ein reines Streichorchester geschrieben hatte. Witzig schon die Satzüberschriften: „Boisterous Bourrée“ heißt der erste Satz. „Boisterous“, das bedeutet so viel wie „ausgelassen, ungestüm“. Und genau so stürmt sie durch den Kirchenraum, diese Bourrée und macht sogleich gute Laune. Nicht weniger heiter geht es weiter mit dem „Playful Pizzicato: Presto possibile pizzicato sempre“ – Pizzicati, so schnell es nur geht verlangt Britten den Musikern ab. Und die legen unter der Führung von Konzertmeisterin Almut Frenzel-Riehl und dem temperamentvollen Dirigat von Bernhard Zosel ein – so muss es gesagt werden, Kirche hin oder her – wahres Höllentempo vor. Geruhsam und sanft gleitet dann die „Sentimental Saraband“ dahin, bevor es das Orchester „prestissimo con fuoco“, also allerschnellstens und feurig, ins „Frolicsome Finale“ prescht.

Eine wunderbare Einstimmung auf das, was nun folgen sollte: Britten erzählt die Geschichte des heiligen Nikolaus. Dieses Werk entstand 1948, zum 100-jährigen Jubiläum des Lancing College. Den Stoff schlug einer der Lehrer vor – nicht von ungefähr, denn Nikolaus als Schutzheiliger der Kinder, Seeleute und Reisenden war auch Schutzpatron der Stadt Lancing. Eric Crozier, der schon für einige Britten-Opern das Libretto geliefert hatte, übernahm die Produktion des Textes. In Kronberg wurde die offizielle deutsche Übersetzung von Renate Frank-von Aschoff gesungen.

Geschildert werden in neun Abteilungen diverse sowohl abenteuerliche wie auch wundersame Stationen im Leben des Heiligen. Britten schuf dazu eine Musik, die aus dem Staunen des Kindes heraus entstanden zu sein scheint. In der Einleitung wird der Geist des Heiligen heraufbeschworen: „Sprich!“ verlangt der Chor eindringlich, und dann spricht (oder vielmehr singt) er, der Nikolaus – die anspruchsvolle Tenorpartie hatte Benedikt Nawrath, Ensemblemitglied am Staatstheater Wiesbaden, übernommen. Über „die Kluft der Zeit von sechzehnhundert Jahren“ wird die Kraft des Glaubens beschworen. Der zweite Satz führt weit zurück in die Vergangenheit: Die Geburt des Nikolaus wird vom Frauenchor angestimmt, im Wechsel von Sopran und Alt – und mit gottlobenden Einwürfen des Knaben Nikolaus (selbstbewusst und intonationssicher gesungen von Jakob Adomeit). Mit großer Ausdruckskraft gestaltet der Tenor den folgenden Teil, in dem Nikolaus mit einem eindringlichen Gelübde sein Leben Gott weiht.

Mit drohend die Klavier-Tastatur hinauf- und hinabrauschenden Kaskaden (virtuos: Sarah Hiller und Lukas Rommelspacher) beginnt die Reise des Nikolaus nach Palästina – lebendig gestaltet der Männerchor diesen Part, erzählt klangmalerisch von Übermut, von Seenot und von Rettung: so plastisch, dass man die wütenden Wellen vor sich sieht, die Angst der Seeleute mitempfinden kann. Vom Schlagzeug (Michael Born und Andreas Hepp) ertönen gewaltige perkussive Eruptionen. Der Mädchenchor steuert sehr klangsicher angstvolle Gebete bei, bis es Nikolaus mit seinem unerschütterlichen Glauben gelingt, die Naturgewalten zu besänftigen. Kein Wunder, dass er gleich darauf zum Bischof von Myra gewählt wird – und auch in diesem Satz überzeugt der Mädchenchor von der Empore mit seinen frischen Stimmen, bevor die große Chorfuge einsetzt. Von der Christenverfolgung und von seiner Gefangenschaft erzählt Nikolaus im sechsten Teil – zur Erinnerung: wir befinden uns in der Türkei, im 4. Jahrhundert nach Christus. Schwierige Zeiten für Christen waren das.

Und Hungersnöte gab es auch, so schlimme, dass man sogar nicht davor zurückschreckte, kleine Kinder zu meucheln und deren Fleisch einzupökeln: „Nicolas and the pickled boys“ heißt der siebte Satz der Kantate. Natürlich werden Johann, Tim und Mark, die verschwundenen Knaben, von Nikolaus wieder zum Leben erweckt und danken dafür mit einem himmlisch schönen „Allelujah“ – Jakob Adomeit, Kaspar von Heyl und Ferdinand Fahn hatten hier ihren anrührenden Auftritt. Was Nikolaus sonst noch an Wundern tat, erzählt der Chor im Wechsel von Männer- und Frauenstimmen im achten Satz, bevor die Kantate sehr feierlich mit dem Tod des Nikolaus zu Ende geht. Aufregend war das, spannend, dramatisch und sehr wirkungsvoll. Auch das Publikum in St. Johann durfte nicht untätig bleiben: Zwei Choräle wurden kraftvoll mitgesungen – Notenblätter hatte Kantor Zosel vor dem Konzert verteilen lassen. Julia Raasch an der Orgel begleitete nicht nur den abschließenden Lobgesang zuverlässig. Nach der Uraufführung der „Saint Nicolas“-Kantate war im „Listener“ zu lesen: „Es war einer jener Triumphe, jenseits aller Regeln der Kunst, wie sie nur die Großen erreichen… Wunderbar, wie Britten ein Lied vom Hauptchor zum Mädchenchor auf der Empore hochwirft. Die Kirche scheint zu leben, und am Ende wird die ganze Versammlung in die Musik hineingezogen.“ Und in St. Johann kam dann der Nikolaus. Der echte!

Brigitta Hermann



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