Pfarrer Christ – streitbarer „Obstpfarrer“ und Volksaufklärer

Johann Ludwig Christ starb vor 200 Jahren. Foto: privat

Kronberg (war) – Vor 200 Jahren verstarb er am 19. November: Johann Ludwig Christ, lutherischer Oberpfarrer zu Kronberg von 1786 bis 1813. Im damaligen Todesregister hält die handschriftliche Todesmeldung fest: „Den 19ten Nov. Morgens 4 Uhr starb an dem Flecken fieber und wurde in der Stille beerdigt: Johann Ludwig Christ evang. Pfarrer dahier.“ Vor Ort ist Christ bis heute unter seinem treffend volkstümlichen Namen als „Obstpfarrer“ unvergessen.

Das hochansteckende Fleckfieber übertragen insbesondere mit Rickettsien-Bakterien infizierte Kleiderläuse auf den Menschen. Dieses brachten Soldaten mit, die nach der vom 16. bis 19. Oktober 1813 wütenden Völkerschlacht bei Leipzig durch Kronberg zogen, darunter alleine über 10.000 russische Kosaken. Viele Kronberger verloren neben Christ damals so ihr Leben.

Christ, geboren 1739 in Öhringen im Hohenloher Land als Sohn eines Kammerschreibers im Dienste des dortigen Fürstenhauses, studierte in Tübingen, Erlangen und Altdorf Theologie. Daneben beschäftigte er sich zeitgenössischen Quellen zufolge zusätzlich mit „Mathematik, Civilbaukunst, Geometrie, Optik und im Zeichnen.“ Nach Studienabschluss ging er vermutlich zunächst als Hauslehrer auf Wanderschaft, um bei vermögenden Familien zu unterrichten. Auf diesem Weg ist Christ wohl in unsere Gegend gelangt, denn ab 1764 wirkte er als lutherischer Pfarrer in Bergen (das heutige Bergen-Enkheim bei Frankfurt). 1767 wechselte er dann nach Rüdigheim bei Hanau und 1776 nach Rodheim in der Wetterau. Spätestens während seiner Tätigkeit in der Wetterau muss sich Christ umfassende Kenntnisse in der Landwirtschaft, insbesondere auf dem Gebiet des Obstbaus (Pomologie) und der Bienenkunde erworben haben. Im Frühjahr 1786 brach dann Christ samt Familie nach Kronberg auf, um dort die vakante Pfarrstelle zu übernehmen. Hier blieb er dann bis zu seinem Tod vor 200 Jahren.

Unter den 13 Kandidaten, die sich zuvor auf die vakante Pfarrstelle in Kronberg beworben hatten, war auch der in Kronberg geborene Theologe Balthasar Bleichenbach. Die Bleichenbachs zählten damals zu den alteingesessenen Familien in der Burgstadt und setzten darauf, dass ihr Familienmitglied zum Zuge kam. Doch das katholische Mainz entschied anders. Christ wurde zum ersten Pfarrer und Bleichenbach als Kaplan nur zum zweiten Pfarrer ernannt. Und so kam es wie es kommen musste: Beide Kirchenmänner entfachten von Beginn an einen unchristlichen Dauerstreit, wobei jeder der beiden möglichst viele Gemeindemitglieder auf seine Seite zu ziehen versuchte. Ständig beschuldigten sich die beiden irgendwelcher Dienstvergehen, die sie umgehend nach Mainz meldeten. Ruhe kehrte erst wieder kurzfristig ein als Bleichenbach im Frühjahr 1804 nach Bierstadt bei Wiesbaden wechselte. Mit dem nachfolgenden Pfarrer lebte Christ jedoch nach kurzer Zeit erneut in Zwist.

Permanenten Zank gab es mit den Kronbergern auch wegen der Abgabe des „Zehnten“, den die Gemeindemitglieder ihrem Pastor alljährlich abzuliefern hatten. Hier konnte der landwirtschaftlich versierte Christ sehr gut abschätzen, was ihm zustand. Die bauernschlauen Kronberger versuchten auf der Gegenseite diese Zwangsabgabe zu minimieren. Der Streit wurde keineswegs nur verbal ausgetragen, sondern ging so weit, dass Christs Gartenhaus samt darin aufbewahrten Gartengeräten 1794 mutwillig demoliert wurde.

Immer wieder warfen die Gegner ihm vor, dass er sich zu sehr um das Bücherschreiben kümmere statt um das seelische Wohl seiner Gemeindemitglieder. So ganz von der Hand zu weisen war dieser Vorwurf sicherlich nicht , wie das beachtliche literarische Gesamtwerk aus der Christ‘schen Schreibstube zeigt. Immerhin erstellte er alleine über 25 Bücher, die teilweise engbedruckt viele hundert Seiten dick waren. Dazu zählen neben seinem Hauptwerk, der „Vollständigen Pomologie“ aus den Jahren 1809 (1. Band) und 1812 (2. Band) das bereits 1794 editierte „Handbuch der Obstbaumzucht und Obstlehre“. Andere „Bestseller“ hießen „Güldenes A,B,C. für die Bauern“ (1787) oder „Der Baumgärtner auf dem Dorfe“ (1792). Raubdrucke einiger seiner Titel zeigen, wie populär und gefragt die Ausführungen von Christ waren. Wenn auch der Schwerpunkt seiner Themen im Bereich des Obstbaus zu finden sind, die ihm posthum zu Recht den Titel „Obstpfarrer“ einbrachten, so machte er sich durchaus auch auf anderen landwirtschaftlichen Feldern seine Gedanken. Hierzu gehörten der Tabak- und Weinanbau, die Essigproduktion, das Mästen von Rindern, Schweinen, Schafen und Federvieh, das Bierbrauen und die Produktion von Branntwein und Seide und vieles mehr. Daneben veröffentlichte er Schriften zur Wetterkunde, Geologie und Astronomie. Seine umfangreichen Forschungen wurden schließlich 1811 mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Marburg honoriert.

Wann Christ diese immense Arbeit leistete ist heute kaum mehr zu fassen. Denn neben dem Recherchieren und Schreiben musste sich Christ noch um die Korrekturlesung und mit seinen Verlegern um die Drucklegung kümmern. Kein Wunder also, dass dabei die eigentliche Gemeindearbeit schon einmal aus Zeitmangel hinten anstand. Ohne Zweifel bedeutete das Bücherschreiben für Christ einen Ausgleich für den vielfältigen Ärger vor Ort. So beschrieb er seine Passion selbst einmal folgendermaßen: „Sie wissen, wenn ich an etwas komme, so mögte ich’s gern bis auf das Würzelchen auskundschaften, und da ist mir keine Arbeit und keine Unbequemlichkeit unüberwindlich.“

Die vielfältigen Betätigungsfelder zeigen, dass Christ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu den so genannten Volksaufklärern gehörte. Diese hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die im Zeitalter der Aufklärung zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse breiten Bevölkerungsschichten, insbesondere auch auf dem Land, weiterzugeben, um somit deren wirtschaftliche Lage zu verbessern. Leider verweigerten sich viele Kronberger diesem Angebot, das ihnen Christ eröffnete, nur allzu oft aus Opposition.

Posthum lernten die Kronberger ihren Obstpfarrer, wie sie ihn im Laufe der Jahre nach seinem Tod anerkennend nannten, dann doch noch zu schätzen. So erhielt Christ im November 1885, das heißt 99 Jahre nach seinem Dienstantritt in der Burgstadt, auf Initiative des hiesigen Obst- und Gartenbauvereins endlich sein verdientes Denkmal vor der Sankt-Peter-und-Paul-Kirche.



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