Tangoleidenschaft in heiligen Hallen

Musiker und Publikum gleichermaßen hingerissen von Piazzollas Libertango, Von links nach rechts: Chris Gall (Piano), Andreas Hinterseher (Bandoneon), Mulo Francel (Gitarre) und D.D. Lowka (Kontrabass) heizten in St. Johann ein.

Foto: Sura

Kronberg (aks) – Nach über 3.000 Konzerten weltweit gab Quadro Nuevo, ECHO Jazz-Preisträger, sich auch in Kronberg wieder die Ehre und erweckte über einhundertjährige Tangomusik zu vibrierendem Leben – „vom Voralpenland über Buenos Aires nach St. Johann“, so die launige Ansage von Mulo Francel. Die „heiligen Hallen“ waren erfüllt von einer Musik, die, leidenschaftlich gespielt, das Publikum elektrisierten. Die Begeisterung der vier Musiker für ihre Instrumente war ansteckend. Da wurde der Kontrabass gezupft und geklopft, übrigens ein Prototyp mit sechs Saiten für celloarigen Klang, dass man sich um die Finger des Bassisten D.D. Lowka sorgte, das Piano teils gedämpft leise, dann wieder mit majestätischen Klängen, virtuos gespielt von Chris Gall im innigen Miteinander mit dem Bandoneon, hier herausragend Andreas Hinterseher, das mit seinen melodramatischen Melodien von Sehnsucht, Heimweh und Fernweh zeugte. Mulo Francel am Saxophon erzeugte Töne allein durch das Bewegen der Klappen und indem er hineinhauchte …. Alle waren wieder bestens aufeinander eingespielt und hatten sich gegenseitig immer im Blick. Jeder Einsatz stimmte und jedes Solo wurde mit einem Strahlen der anderen Drei belohnt – welch klangvoller Dialog durch höchste Aufmerksamkeit.

Kaum jemand, der bei „La Cumparsita“ nicht mindestens mit den Füßen wippte. Ein paar Zuhörer dachten sicher auch spontan an die Szene aus „Manche mögen’s heiß“, in der Jack Lemon als Frau verkleidet, mit einer Rose im Mund, die ganze Nacht mit einem Millionär Tango tanzt – sozusagen als vertikaler Ausdruck horizontalen Verlangens. Tango ist nicht nur ein Tanz für Verliebte, sondern für alle, die die Liebe überlebt haben und diesen Schmerz noch in sich fühlen – großes Kino eben! Dass auch Parodien erlaubt sind und die Musiker Spaß verstehen, bewiesen Mulo Francel und D.D. Lowka mit amüsanten kurzen Reiseberichten aus Buenos Aires. Mit fast vier Stunden Verspätung trafen sie endlich bei ihren argentinischen Gastgebern ein, die sie aufs Herzlichste begrüßten. Trockener Kommentar des Bassisten D.D. Lowka: „Die waren selbst erst nach Hause gekommen.“ Dem Bassisten hatten es die Taxifahrer in Buenos Aires angetan: „Einer hatte Rotwein dabei, das führte dann zu einem tangoesken Fahrstil.“ Da wurde ihm klar, wie man Tango spielen muss: „Wie beim Autofahren, bremsen und Gas geben, hupen, leise und zärtlich schlingern.“ Die eigene Komposition ist allen Taxifahrern von Buenos Aires gewidmet, der „Buenos Aires Taxidrive“.

Der „Gallo ciego“, der blinde Hahn, ist ein bekannter Tango, diesmal mit Mulo Francel an der Gitarre, wo er ein bisschen Luft holen kann, bevor er bei einer Milonga dem „Taquito Militar“ am Saxofon kaum noch Luft holt, ewig lang hält er dank der Zirkularatmung den Ton. Das Publikum ist da schon ganz atemlos und atmet auf, als er an das Bandoneon übergibt. Das aus Deutschland stammende Bandoneon wurde vom Krefelder Instrumentenbauer Heinrich Band um die Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Das erste Exemplar verblieb am Río de la Plata, nachdem der verarmte Band mit ihm seine Rückreise nach Deutschland bezahlt hatte. Andreas Hinterseher ist Meister dieses Instruments und evoziert schönstes Pathos. An diesem Abend spielt er auch die Akkordina und das Vibrandoneon und bringt unterschiedliche Stilrichtungen zu Gehör. Das Publikum schnupperte die Luft von Tanzhallen und Straßen von Buenos Aires mit Gardels Tangos bis zum Tango Nuevo von Astor Piazzolla. Die typischen synkopischen Rhythmen des Tango, die Schnitte und Brüche, mit dem Innehalten, dem „Corte“, machten Lust auf Tango tanzen. Dazwischen viele eigene Kompositionen, die von ihrer eigenen Leidenschaft für die Instrumente und von Stimmungen inspiriert wurden. Allmählich kommt das Publikum nun auch aus der Reserve und applaudiert spontan nach den gelungenen Improvisationen, die unter die Haut gehen. Besonders schön ist die Komposition aus dem Film „El Sur“, Mulo Francel pfeift hingebungsvoll ins Mikro und kein Mucks ist zu hören.

Dann die kernige Ansage: „Nach Piazzolla ist Schluss!“ Man wollte schließlich den Abend noch bei Tapas im „Liebe Zeit“ ausklingen lassen. „Oblivion“ und „Libertango“, die in orchestralem Pomp seit den 70er-Jahren zu wahren Ohrwürmern wurden, reißen auch die Kronberger Zuschauer mit ihrem rasanten Tempo aus den Tango-Tanzschultagen ihrer Jugend. Piazzolla, dem man schwerste Vorwürfe machte, dass sein Tango Nuevo nicht mehr tanzbar sei, wollte weg vom Image des Tango als Tanz der Hafenarbeiter. Dabei ließ er sich von Ravel, Strawinsky, Bartok und Hindemith inspirieren, deren Partituren er studiert hatte. Der Tango wurde sogar inzwischen als immaterielles Weltkulturerbe von der Unesco aufgenommen.

Quadro Nuevo hat es wieder einmal geschafft, mit ihrer eigenen Tonpoesie nicht nur treue Fans zu begeistern und zu faszinieren - diesmal ohne Gewürze und fliegende Teppiche, dafür mit Tango-Passion, die so ansteckend ist, dass es in den Beinen kribbelte. Und was es mit dem Namen Mulo Francel denn nun auf sich hatte, wollte das ungeduldige Kronberger Publikum zum Schluss noch wissen. Der Saxofonist gibt sich geheimnisvoll: „Die Oma aus Böhmen hat mich immer Mulo genannt ….“ und lacht. Mit dieser Offenbarung kann Kronberg bis zum nächsten Konzert leben.



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