Totale Sprache mit Bea Dieker „Vaterhaus“

Bea Dieker las in der Kronberger Bücherstube aus „Vaterhaus“, Foto: Wehle

Kronberg. – Die literarische Eröffnung mit Bea Dieker und ihrem Roman „Vaterhaus“ stand Donnerstagabend bei Dirk Sackis in seiner neuen „Bücherstube“ auf dem Programm. Auf jedem Stuhl lag ein Exemplar zum Mitnehmen und Weiterempfehlen aus. Offensichtlich ein Treffen von Freunden und Bekannten, denn beinahe alle Gäste wurden mit persönlichen Worten von der Autorin angesprochen, die einmal in Kronberg wohnte. Zur Begrüßung gab’s ein Schlückchen Rotwein aus dem hauseigenen Weinkeller – eine vielversprechende Exkursion in die Welt der Literatur und ausgewählter Weine unter einem Dach. Kaum war die Eingangstüre geschlossen, glichen die vorbeifahrenden Autos und Passanten einer lebendigen Kulisse und alle Augen und Ohren waren aufmerksam dem Gast zugewandt.

Mit freundlichem Blick stellte sich Bea Dieker zunächst nur kurz vor und schon las sie mit sanfter, angenehmer Stimme aus ihrem Buch vor: „Weit vor meinem Dasein stand ein kleines Haus an dieser Stelle“… Schon nach wenigen Schilderungen eröffnet sich dem Zuhörer eine lebendige Zeitreise in die Vergangenheit – in ihre Vergangenheit, denn das Vaterhaus, von dem sie spricht, ist das Zuhause ihrer Kindheit.

Ein ungewöhnliches, wunderbares Buch, das mit präzisen, stakkatoartig aneinander gereihten Worten das Leben einer ganz alltäglichen Familie während der 60er-Jahre schildert. Atemlosigkeit als Stilmittel für diese Zeit, wie sie treffend schildert. Es scheint, als wäre das Haus der Hauptdarsteller und führte sein Eigenleben mit allen Veränderungen und Erweiterungen. Bea Dieker schreitet Raum um Raum durch ihre Kindheit, nimmt die Zuhörer hinein in ihre arglose Kinder-Bilderwelt ... „wie fliegende Sterne“. Sofort findet sich der Zuhörer auch in eigenen Erinnerungen wieder. Mal waren die Bodenfliesen im Flur „grau in Sand… Sand in Grau“ oder sie beschreibt in minutiösen Begriffen ihre Wahrnehmung und Kinderangst, als sie zur Bestrafung in die Besenkammer eingesperrt wurde. Und wer kennt nicht noch den unterschiedlichen Geruch von Bleistiften oder Buntstiften aus fernen Kindertagen: der leicht bittere Ton des Graphits in den Bleistiften oder die süßliche Note bei den Buntstiften – „ein Geruch der zum Traum wurde“.

Die besondere Magie ihrer Worte erzählt auf beklemmende Weise den Alltag einer Nachkriegsfamilie und dennoch bewahrt sie sich ein kleines Stück Kindertraum. Klar war da die Mutter, die dem Vater immer alles recht machen will, der Vater als uneingeschränkter Patriarch, der sich auch mal lautstark Respekt verschaffte. Zum Glück gibt es einen gleichmütigen, in sich ruhenden Großvater, der in einer Werkstatt die Realität ausknipste und mit einer Schleifmaschine Stifte spitzte. Wunderbar die mehrere Seiten umfassende Beschreibung, wie sie als junges Mädchen mit äußerster Sorgfalt Schallplatten im elterlichen Elektroladen zum Anhören auflegte – „eine delikate Angelegenheit“, wie sie sagt. Dieser Roman führt den Leser in die Welt der Autorin, aber auch in die eigene Gefühlswelt – ein unbedingt lesenswerter Ausflug in fremde und eigene Kindertage.

Bea Diekers Beschreibungen wirken manchmal atemlos, aber immer fühlt man sich getröstet, dass am Ende doch alles gut wird. Dazu trägt an diesem Abend wohl auch ihre gelassene Art und sanfte Stimme bei, und so war es ein Hochgenuss, dieser autobiografischen Lesung zu lauschen.

Sie habe das Buch in Kronberg geschrieben, erklärt sie auf Nachfrage. Der Text habe sich aus sich selbst heraus entwickelt. Sie will nicht bewerten, das Buch habe sie zunächst mit nur 50 Exemplaren im Eigenverlag mit dem Titel „Haus“ ausgegeben. Als der bekannte Schriftsteller Andreas Meier, der einen gleichnamigen Roman veröffentlich hat, im Frankfurter Literaturhaus eine Lesung hielt, drückte Bea Dieker ihm ihr Buch einfach in die Hand. Und dann die Überraschung: Andreas Maier las das Buch von Bea Dieker und hat darüber eine begeisterte Rezension geschrieben: „Es hat mir Bilder in den Kopf gezeichnet, die so scharf sind wie die Bilder in der berühmten Fernsehserie Heimat“. Er riss Bea Dieker damit die Tür zur Literatur weit auf und 2015 wurde ihr Roman „Vaterhaus“ schließlich im Salzburger Jung und Jung Verlag herausgegeben.
Gaby Wehle



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