Tretters Schmusemund tut Wahrheit kund!

Kronberg (aks) – Unverschämt gut sieht er aus, der Kabarettist Mathias Tretter im Maßanzug mit weißem Hemd und den leicht grauen Haaren, die ihm lässig ins Gesicht fallen. Er könnte auch als Banker durchgehen mit schwarzer Nerd-Brille, wären da nicht die grellrot geschminkten Lippen. Aber Achtung, Tretter ist nicht auf Schmusekurs: seine Botschaften sind knallhart, intelligent, derb und saukomisch. Das Publikum muss schnell im Kopf sein, um jede seiner Staccato-Pointen zu verstehen, damit es an der richtigen Stelle lacht und klatscht. Tretter rechnet ab mit Amateuren und Dilettanten, mit der Lügenpresse, allzu „bobulistischen“ Parteien, Helikopter-Eltern und mit dem ewigen Leben. Wohl dem der Franke ist und den fiktiven Dialog mit seinem Würzburger Freund Ansgar so richtig auskosten kann. Der will nämlich eine Partei gründen, die POP, eine Partei ohne Partei – auf fränkisch „BOB“.

Trettern statt jammern

Mit 1,5 Dioptrien sei er schon fast „sehbehindert“, überhaupt gäbe es viel zu jammern. Seine Frau ertrage das mit bewundernswertem Langmut. Fragen wie „Findest du mich sexy?“ oder „Wann war der Tag als es mir gut ging?“ seien eine Steigerung zum Jammern, nämlich Trettern. Und warum kein Make-up tragen als Mann? Auch wenn man mit Lippenstift aus einem Twingo keinen Porsche mache. „Hauptsache der Lippenstift passt zum Anzug!“ Früher benutzte ein echter Mann Gillette und Aftershave – im Gesicht. Heute aber rasiere auch Mann sich überall – wie Neunjährige, dabei stammten wir doch vom Affen ab, „nicht vom iphone“!

Polibido statt Politik

Seine Rolle sei die eines Künstlers, wie David Bowie einer war: „Nicht so berühmt wie Xavier Naidoo, aber für Euch reicht’s!“ Schließlich könne man sich heute jeden Tag neu erfinden, sich auch für ein neues Geschlecht entscheiden als „Crossdressender, Xisgender“ „das ist die Popomodernde – alles ist scheißegal“. Existenzielle Begriffe hätten sich geändert: Sauerkraut heißt jetzt Kimchi, Schreibtisch Home Office, Bier sei ein Hopfen-Smoothie und „Rassisten gehen als Ethnopluralisten“ durch. Die populistischen Parteien gruppierten sich heute rechts von der AfD und links von den Grünen, gemeinsam seien sie gegen die Elite und für das Volk, „radikal gegen den Islam, zutiefst antichristlich und antisemitisch“: Eine Partei für Atheisten, die immer mehr werden. Tretter bezeichnet das als „transzendentale Obdachlosigkeit“. Deshalb die Gegen-Partei POP – ein ,Pombenprojekt‘“: „Alle können alles machen, das ist das Zeitalter der Amateure. In USA wurde einer gewählt, aus Hass auf die Profis.“ Er fragt interessiert ins Publikum, wen man denn für eine Operation wählte, den erfahrenen Herzchirurgen oder den blutigen Anfänger?

Sprache des Volkes

„Populisten simulieren Politiker“, die angeblich die Sprache des Volkes sprechen – „völkisch“! „Wer ist das Volk?“ Tretters sibyllinische Antwort: „Fast alle nicht.“ Staatsbürger unterteilt er in Bildungsbürger, die die FAZ lesen, Wutbürger mit weniger Bildung, die sich bei der BILD-Lektüre bildeten und die Hetzbürger, die ganz ohne Bildung ständig online sind, „die schreiben selbst, ohne Leine“ und lassen jede Zivilisation vergessen“: „Wenn Rechte schreiben, führt das nicht zu mehr Rechtschreibung!“ Das Gute daran: „wer mit Tippen beschäftigt ist, zündet keine Flüchtlingsheime an“. Shitstorms hat er selbst erlebt: „Da werd ich fast ein bisschen geil. Aber die kriegen meine Aufmerksamkeit nicht.“

Lügenpresse

Dann definiert Tretter das Wort Lügenpresse: Medien in Deutschland seien von ganz oben gesteuert – „das denken nicht nur Ostdeutsche“. „Also eine Propagandamaschine diktiert, was sie eigentlich verschleiern muss?“ Tretter kapiere es einfach nicht, schließlich gebe es von ganz links bis ganz rechts jede politische Meinung – in den Zeitungen, für die Öffentlichkeit frei zugänglich. Ist das eine geniale Vertuschung? Verschwörungstheorien erzähle er selbst übrigens auch ganz gern, wie Märchen eben. Auch wenn sie noch so absurd sind, werde er immer für seinen Mut gelobt.

Immer ein paar Klicks entfernt

Dabei sei es mit unserer Aufmerksamkeit in Zeiten des Internet ja auch nicht weit her: immer heiße es „nur ein paar Klicks entfernt“. Die sogenannten „Surfer“ seien nicht sportlich sondern eine „faule Brut“, richtiger hieße es „im Internet schwabbeln statt surfen“. Er warnt: Das Internet führe zur Entmündigung. Seine Prognose ist düster-animalisch, eine De-Evolution: „Wir werden schwanzgesteuerte Gorillas in der Sackgasse des Weltalls.“ Das Frühstück komme in Zukunft aus dem 3D-Drucker in Zusammenarbeit mit der Krankenkasse und wir jubeln. Manipulation sei immer: „Die sozialen Medien Google, Amazon und Facebook lenken wie wir denken!“ Unsere zwischenmenschliche Kommunikation hätte ihren Tiefpunkt erreicht: „So viele Handys und keiner ist erreichbar, besser man schreibt vorher eine SMS.“ Einfach so anrufen sei eine Obszönität. Wer heute telefoniert halte sein Handy wie eine „Brechschale – eine Kotzschale auf Lautsprecher“, alles bekomme man mit, auch im Zug.

Die Jugend heute und damals

Tretters Sohn besucht den Kindergarten: „Da kriegst du alles!“ Manches Spielzeug müsse er googeln. Seine Jugend war überschaubar mit den Schlümpfen und Donald Duck, „die einen immer blau und die anderen ohne Hose: Montessori und Pestalozzi in einem“. Und heute? Helikoptereltern mit Helikopteraugen, „von denen 80 Prozent Angst haben und 20 Prozent Angst machen“. Bevor ein Kind vom Fußball abgeholt wird, werde nach dem Auto des Abholers gefragt.

Terrorismus und Religion

Wer hat Angst vor Terrorismus? Der Kabarettist aus Würzburg fragt sich, wo sie denn bleibe, die Weltherrschaft des Islamischen Staats? „Die haben doch noch nicht mal im Ansatz die Mittel! Mit Digitaltechnik ins Mittelalter?“ – und er tritt, pardon trettert, nach: „Die Weltherrschaft eines Kalifats aus dem 7. Jhd. Wie soll das gehen? Sexuell frustrierte Männer mit permanent schwangeren Frauen, ohne Musik und ohne Alkohol? Ich würde es ihnen gönnen!“ Schon Marx sagte: „Religion ist Opium fürs Volk“, die Lügengeschichten seien unfassbar und in der Ehe gebe es mehr häusliche Massaker als bei Terroranschlägen, aber das mit dem Rauschgift sei ok. „Dann sind die beim Freitagsgebet alle stoned.“ Und damit sei das Ende des Terrorismus eingeleitet – „Is so!“ Ohne Religion gebe es endlich ein Leben vor dem Tod. Cyborgs und ewiges Leben schützten allerdings nicht vor menschlichen Tragödien: „Man braucht den Tod nicht, um in die Hölle zu kommen.“ Hallelujah! Es ertönt als Finale, ein kyrillischer Choral. Eine Zugabe sei nicht vorgesehen, aber dann erstaunt er sein Publikum mit einem mittelhochdeutschen Gedicht, das selbstverständlich keiner versteht, denn es ist zirka 900 Jahre alt. Sprache muss eben aktuell sein, wenn sie verstanden werden soll. Was für ein Tausendsassa! Die Fans honorieren so viel bösen Wortwitz, die scharfe Analyse der aktuellen politischen Situation bei gleichzeitigem Schöngeist mit begeistertem Applaus. Mathias Tretter ist selbstironisch, sarkastisch, dennoch niveauvoll und ein kluger Mahner vor einer Zukunft, die wir uns so grell noch gar nicht ausgemalt haben.

Comedy immer wieder anders: Mathias Tretters rote Lippen machen sein Politik-Kabarett noch schärfer.
Foto: Sura



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