Trommeln und Fluchen auf der Galeere – eine Frage der Ethik

Auf der Accenture-Galeere (v.l.n.r.): Eveline Y. Metzen (AmCham Germany), Manfred Köhler, Leiter regionale Wirtschaftsredaktion der F.A.Z., Professor Dabrock, Vorsitzender des deutschen Ethikrates und Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture. Foto: Diel

Kronberg (die) – Was ist Ethik? Was kann Ethik? Was kann sie nicht und was hat ein Unternehmen wie Accenture überhaupt mit Ethik zu tun? Fragen, denen sich der Vorsitzende des deutschen Ethikrates und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Professor Dr. Peter Dabrock, am 21. Februar bei Accenture stellte. Und das, obwohl einen Tag zuvor die Bundeskanzlerin persönlich bei ihm angerufen hatte und ihn für den 21. Februar in einer Expertensitzung gebraucht hätte. Da die Zusage an Accenture bereits einen „point of no return“ erreicht habe, hätte er Frau Merkel allerdings abgesagt, so Dabrock.

Nach einleitenden Worten durch den Vorsitzenden der Geschäftsführung von Accenture, Frank Riemensperger, sowie der Geschäftsführerin von AmCham Germany, Eveline Y. Metzen, startete Dabrock seinen Vortrag mit dem Titel „Das Trommeln und Fluchen auf der Galeere“. Dabei erklärte er zunächst eindrucksvoll das Spannungsfeld zwischen technischen Innovationen und ethischen Gesichtspunkten. Ausgehend von dem Zitat Steinmeiers „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, legte Dabrock seine Sorgen über die Veränderungen in der „gesellschaftlichen Atmosphäre“ dar. Er betonte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gerieten zunehmend aus den Fugen: „Selbstverständliches ist nicht mehr selbstverständlich“.

Seine Gedankengänge machte er anschaulich mit dem Bild einer Galeere. Die antike Galeere meinte er dabei als Sinnbild des „Verkehrsüblichen“, dort werde die Richtung des Schiffes respektive einer Gesellschaft vorgegeben. Die Galeere wird dabei im Idealfall richtungsweisend vom rhythmischen Trommeln begleitet. Das heißt, ausgehend von einer gepflegten Semantik und geleitet von Werten richtet man sich effizient und reibungslos aufeinander ein. Die Struktur und Semantik in einer Gesellschaft zählen hierbei, um das Schiff effektiv durch gleichmäßiges Rudern nach vorne zu bringen, mag es auch einige Passagiere geben, die nicht einverstanden sind und sogar fluchen. Wird auf dem Schiff aber zu viel geflucht, wird das Trommeln übertönt und gibt nicht mehr den Takt an. So verliert das Schiff die Richtung. Der Transfer auf die Gegenwart fällt ernüchternd aus: Dabrock betont, unsere Gegenwart sei über diesen Idealzustand definitiv hinweg. In der heutigen globalisierten Welt könne bereits jedes einzelne Fluchen dazu führen, dass die Galeere die Richtung verliert. Und das Fluchen werde immer lauter. Dass trotzdem das Trommeln hörbar bleibt, sei die heutige Herausforderung an „Verantwortungseliten“, damit meinte er auch die Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen wie Accenture.

Dabrock beschreibt Gefahren für die heutige Gesellschaft, die er „Sprengkräfte“ nennt, in semantischer Hinsicht beispielsweise Begriffe wie Populismus, Nationalismus, Experten-Bashing, Neideffekte oder im Aufbegehren gegen die Flüchtlingspolitik bzw. generell gegen das „Wir schaffen das!“. In struktureller Hinsicht betonte er das zunehmende Gefühl der Menschen des „Abgehängtseins“, zum Beispiel durch Angst vor Bildungsverlust oder vor dem gesellschaftlichen Absturz. Daneben hob er globale Herausforderungen wie Klimawandel, „Ozeanprobleme“ oder fehlende Nachhaltigkeit hervor; ferner politische Instabilität durch länderübergreifendes ökonomisches Ungleichgewicht, Demokratiekrisen bedingt durch, wie er es nennt, „Neo-Cäsarismus“, (etwa in Ländern wie USA, Russland), Erosion der EU-Ideen und Kriege wie beispielsweise in Syrien. Nicht zuletzt zählten auch ökonomische Instabilität wie die Bankenkrisen zu den gesellschaftlichen Risikofaktoren heutiger Zeiten.

In dieses Spannungsfeld baute Dabrock die Frage nach der Orientierung ein, nach dem Weg aus der „Crisis“, wie er es nennt. Dabei soll Ethik helfen, einen verantwortlichen Korridor zu finden, gleichsam als „Kit der Gesellschaft“. Professor Dabrock legte dar, dass damit nicht christliche Moral gemeint sei, sondern er grenzte die Weite der Fragestellung mit Kriterien ein, die für politisches und wirtschaftliches Handeln gelten könnten: Ethik soll dabei legitime Alternativen aufzeigen und keine reine Protestkommunikation sein. Ethik ist anstrengend: Wichtig sei zum Beispiel für die Agierenden, Kenntnis von der Einstellung der Leute / des Volkes /der Wut-Bürger zu haben. Ebenso sei die Gewinnung objektiver Fakten wichtig, führte Dabrock aus. Transparenz von Entscheidungen, „Individuumsverträglichkeit“ als Anker des Gemeinwesens, Anerkennung der Menschenwürde, der Selbstbestimmung, des Lebensschutzes und auch der Liebe, Achtung vor allen Lebewesen und der Umwelt – all das ethische Maßstäbe, die verantwortungsvollem unternehmerischen Handeln Maxime sein sollten. Auch mit Beispielen, die die sichtlich gespannten Zuhörer nachdenklich stimmten, geizte Dabrock nicht. Zum Beispiel hatte sich der deutsche Ethikrat in der Woche zuvor damit beschäftigt, ob es ethisch vertretbar ist, menschliche Zellen in Schweineorgane einzusetzen, um damit für Menschen verträgliche Organe zu gewinnen und so die Organtransplantationen zu revolutionieren. Oder – was mittlerweile in den Bereich des technisch Möglichen rückt – ob es in Ordnung sei, kontrollierte Freiversuche zu machen, in denen Moskitos gentechnisch dahingehend verändert werden, dass sie gegen den Malariaerreger resistent werden oder gar ihre Fortpflanzung gehindert wird, so dass sie komplett aussterben. Wie weit darf dabei die Gentechnik gehen? Ist ein Baby mit Wunscheigenschaften dabei noch ethisch vertretbar? Bei allen technischen Innovationen sei es wichtig, die Bevölkerung miteinzubeziehen, um Vertrauen in Wissenschaft und Technik, aber auch für Politik und Wirtschaft, zu erhalten. Denn einmal verlorenes Vertrauen ist schwer zurückzugewinnen. Das sei auch für Unternehmer wichtig. Der Vortrag kam, dem Applaus nach zu urteilen, sehr gut bei den Anwesenden an. Anschließend folgte ein Gespräch zwischen Professor Dabrock und dem Leiter der regionalen Wirtschaftsredaktion der F.A.Z., Manfred Köhler, sowie den Gästen. Auf kritische Fragen wartete man dabei vergebens. Gefragt nach dem „ethischen Zustand der Deutschen“ durch Manfred Köhler hob Dabrock die Solidarität gerade der jungen Generation hervor, die durch viele Hilfeleistungen im sozialen Bereich auffalle, etwa in Form von Integrationshilfe für Flüchtlinge. Auf die Frage einer Zuhörerin, welches Fach er in die deutschen Stundenpläne gern einfügen würde, antwortete der evangelische Theologe: Ein Fach mit „ein bisschen mehr Goethe“, digitaler Bildung, Persönlichkeitsbildung, Identitätsbildung, das Erlernen von Differenzkompetenz, will heißen, ein Gespür für andere Weisheiten und Positionen zu entwickeln und die Fähigkeit zu erlangen, die Gültigkeit anderer Positionen anzuerkennen, die auch Wahrheiten in sich tragen.



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