Zehn Großbrände durch Bomben auf Kronberg

Kronberg (war) – „Abwurf von etwa 1200 Stabbrandbomben z. T. mit Sprengzünder. 7 Wohngebäude und 5 Scheunen total zerstört, 4 Wohngebäude schwer und 5 leicht beschädigt. 7 Groß-, 4 Mittel- und 5 Kleinbrände, 1 Pferd getötet.“ So bilanzierte der Bericht des Inspekteurs der Ordnungspolizei (IdO) aus Kassel die Schäden in Kronberg, welche in der Nacht vom 18. auf den 19. November 1943 als Folge eines unerwarteten Fliegerangriffs zu verzeichnen waren. Warum war die Burgstadt damals zum Ziel einer Attacke aus der Luft geworden, obwohl sich keine kriegswichtigen Objekte vor Ort befanden? Diese Frage versuchte Gerhard Raiss, Stadtarchivar und Leiter des Stadtmuseums von Eschborn, in einem spannenden Referat zu beantworten, das er kürzlich auf Einladung des Kronberger Geschichtsvereins vortrug. Raiss einleitend: „Bis Mitte 1943 verblieb das Rhein-Main-Gebiet weitgehend verschont von größeren Attacken der Alliierten aus der Luft. Das änderte sich jedoch, nachdem der britische ‚Air Marshal‘ Arthur Harris das ‚Bomber Command‘ der Royal Air Force im Februar 1942 übernommen hatte. Seine Strategie lautete nunmehr, die deutsche Zivilbevölkerung durch intensive Flächenbombardements (‚area bombing‘) ohne Rücksicht auf Verluste permanent zu bedrohen und letztlich zu demoralisieren. Besonders abgesehen hatte er es dabei auf die Großstädte, um möglichst viele Menschen zu treffen.“ Während die Briten ihre Angriffe nachts flogen, bevorzugten die Amerikaner, seit Januar 1942 an der Seite Großbritanniens am Luftkrieg beteiligt, ihre Kampfflugzeuge gezielt tagsüber auf ausgesuchte Objekte einzusetzen.

Am 18. November 1943 startete die britische Luftwaffe auf Befehl von Harris, der bis heute unter dem eher verharmlosenden Spitznamen „Bomber-Harris“ bekannt ist, mit dem „Battle of Berlin“. Das bedeutete für das damalige Machtzentrum der Nazis, 16 schwere Angriffe zur Nacht bis ins nächste Frühjahr ertragen zu müssen. Dank des erhalten gebliebenen britischen „Night Raid Report No. 470“ – zu Deutsch „Einsatzbericht über nächtliche Angriffe“ – ist der Angriff auf Berlin heute noch recht genau nachvollziehbar: „440 Lancaster-Flugzeuge und 4 Havilland-Mosquitos, wie die zweimotorigen aus Holz gefertigten, leichten Bomber genannt wurden, starten am 18. November abends von Südengland aus nach Berlin. Außerdem stieg von dort eine zweite Bomberstaffel mit 395 Maschinen in Richtung Mannheim und Ludwigshafen in den Himmel. Zusätzlich kamen laut dem Report auch hier für Scheinangriffe einige der schnellen und wendigen Havilland-Mosquitos zum Einsatz. Dadurch konnte die deutsche Flugabwehr kaum erkennen, welche Hauptziele letztendlich die Briten in dieser Nacht im Visier hatten. Zehn dieser Maschinen wurden zur Ablenkung am 18. November 1943 in Richtung Essen dirigiert und jeweils sechs nach Aachen und Frankfurt am Main. Raiss weiter: „Dem Bericht ist zu entnehmen, dass von den sechs um 18.20 Uhr nach Frankfurt entsandten Mosquitos zwei schon kurz nach dem Start wegen Motorproblemen wieder umkehren mussten. Also blieben vier Maschinen übrig, die insgesamt rund elf Tonnen Spreng- und Brandbomben mit sich führten. Auf ihrem Flug nach Frankfurt hatten sie mittels spezieller Markierungsbomben dem nachfolgenden großen Bomberverband zunächst den Weg nach Ludwigshafen zu markieren, um dann Richtung Frankfurt abzudrehen.“ Die Besatzungsmitglieder – jeweils zwei pro Flugzeug – dieser vier Mosquitos gaben nach ihrer Rückkehr um 22 Uhr nach England in ihren Einsatzberichten an, dass sie zwar ihre Bomben über Frankfurt abgeworfen hätten, dabei aber unter Beschuss der deutschen Fliegerabwehr gekommen seien. Hinzukommend warfen sechs Bomber der beiden Hauptverbände, die eigentlich Berlin und Ludwigshafen ansteuern sollten, ihre Bomben ungeplant im Raum Frankfurt ab. Gemäß den Unterlagen auf deutscher Seite sind in der Nacht vom 18. auf den 19. November jedoch keinerlei Bomben über Frankfurt niedergegangen. „Dafür wurde aus reinem Zufall und ohne Absicht neben anderen Orten auch Kronberg getroffen. Das darf nicht verwundern, denn zu dieser Zeit gab es noch kein Radar an Bord. Die Piloten mussten sich vielmehr in einem für sie völlig unbekannten Gebiet bei Dunkelheit an markanten Landmarken wie Flussläufen und Bergkuppen orientieren. Bei der hohen Geschwindigkeit der Mosquitos war da das eigentliche Ziel schnell um einige Kilometer verfehlt “, so der Kommentar von Raiss. In dieser Nacht wurde neben den eingangs erwähnten Gebäuden auch die Burgkapelle mit ihren wertvollen Grabdenkmälern getroffen und schwer beschädigt. In einem Schreiben vom 24. November 1943 an den Landrat lobte der damalige Kronberger Bürgermeister rückblickend die Ortsbevölkerung, dass diese rund 60 bis 70 kleinere Brände in der Innen- und Altstadt in Eigenregie selbst gelöscht habe. Demzufolge hätte sich die Feuerwehr auf die größeren Brände konzentrieren können. Eine größere Katastrophe wäre dadurch in der Burgstadt vermieden worden. In dem vom Berliner Reichsluftfahrtministerium erstellten „Lagebericht über feindliche Luftangriffe auf deutsches Reichsgebiet in der Nacht vom 18. zum 19. November 1943“ ist die Rede von immerhin zehn Großbränden in Kronberg.



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