Zirkusprojekt lässt Grundschüler über sich hinauswachsen

Mut und akrobatischem Geschick bewiesen dies zwei junge Damen, die sich hoch hinaus trauten. Fotos: Westenberger

Oberhöchstadt (mw) – Ob die Schülerinnen und Schüler der Grundschule Oberhöchstadt im Unterricht auch mit einer solch hohen Konzentration bei der Sache sind? Die Lehrerinnen und Erzieherinnen jedenfalls waren begeistert von ihren Schülerinnen und Schülern, die sie in der vergangenen Woche hochengagiert und konzentriert und mit ganz anderen Dingen als Deutsch, Mathematik und Sachkunde beschäftigt, kennenlernten, nämlich als Ponydresseure, Akrobatikkünstler, Clowns und Seiltänzer.

Für eine Woche war auf der Wiese des Hofguts Hohenwald in Laufnähe der Grundschule Oberhöchstadt der Familienzirkus Baldini zu Gast, der seit zwölf Jahren von Schulen gebucht werden kann, um die Grundschüler in eine ihnen gänzlich fremde Welt, die magische Zirkuswelt , zu entführen. Schulleiterin Kerstin Seegebarth war mindestens genauso aufgeregt wie die Kinder, obwohl sie das Projekt mit einem anderen Zirkus bereits ein Mal an der Schule erlebt hat. Was dieses Mal anders ist: An der Schule sind momentan mit 220 Kindern zu viele, um sie alle auf Kleingruppen verteilt, den ganzen Tag im Zirkuszelt proben zu lassen. Deshalb sind die Kinder in zwei Gruppen unterteilt. Während die einen frühmorgens für die Aufführungen am Freitag probten, hatten die anderen normalen Unterricht. Doch im Zirkusfieber sind sie alle, auch während des Unterrichts und am Nachmittag. „Viele haben zuhause weiter trainiert“, erzählt Lehrerin Barbara Apeldoorn. „Es ist einfach toll, die Kinder hier ganz neu zu erleben und mit Talenten, von denen wir gar nichts wussten“, sagt sie und gesteht: „Diese Projektwoche stärkt nicht nur das Gemeinschaftsgefühl der Kinder untereinander, sondern auch der Lehrer. Es sei einfach toll zu erleben, wie die Kinder, die sich selbst aussuchen konnten, in welche Rolle sie in der magischen Zirkuswelt spielen, im Laufe der Woche über sich hinaus wuchsen, ihre Schüchternheit ablegten und plötzlich Dinge taten, die man von ihnen gar nicht erwartet hätte. „Und die Atmosphäre hier im Zirkuszelt ist einfach herrlich spannend und ansteckend“, erzählt sie während der Generalprobe der zweiten Gruppe. Die Kinder in der Manege folgen hochkonzentriert den Anweisungen des fünfköpfigen Zirkusteams. Es ist erstaunlich, wie gut sie zuhören und was sie gelernt haben in den wenigen Tagen: Es werden Saltos gesprungen, an Seilen hinaufgeklettert und sich auf das Trapez geschwungen, getanzt, die Zuschauer veräppelt, Kartentricks gezeigt, Tücher weggezaubert und die Zirkusdirektorin, die ihre Aufgabe erst seit fünf Tagen macht, tritt auf, als hätte sie ihren Lebtag noch nichts anderes gemacht.

Elisa, Anna und Greta, die gerade aus der Manege kommen, sind bei den Programmpunkten ihrer Schulkameradinnen und -kameraden mucksmäuschenstill. Sie wissen, Zirkus, dass sind „Wir“, und sie sind ebenso begeistert, wenn den anderen ihre Aufgaben gelingen. Sie fiebern mit und klatschen nach jeder gelungener Show lauthals Beifall.

Was gefällt Euch an dem Zirkusprojekt am besten? Darauf wissen die Drei sogleich eine Antwort: „Selbst mitzumachen, das ist das Schönste!“, sagten sie wie aus einem Munde. Aber auch die Tiere, die Ponys und Hunde der Zirkusfamilie kennenzulernen, die allerlei Kunststücke beherrschen, hat ihnen großen Spaß bereitet. Auch Rimma Schmelzer, Erzieherin in der evangelischen Kita Anderland, ist begeistert, wie superkonzentriert und organisiert plötzlich schon die Vorschulkinder sind. „Sie wollen das, was sie sich vorgenommen haben, bestmöglich hinbekommen.“ Aber ganz obenan stände bei allem das Wir-Gefühl, dass hier ungemein gestärkt werde. Auch sie hat sich „infizieren“ lassen: „Die Zirkus-Atmosphäre fünf Tag hautnah erleben zu dürfen, das ist etwas ganz Tolles!“, sagt sie.

Kerstin Seegebarth war überrascht, wie viele Zirkusdirektoren werden wollten: „Das hätte ich nicht gedacht. Allein in einer Gruppe hatten sich knapp 20 Kinder gemeldet, die das Zirkus-Team, ähnlich wie bei RTL, ein Casting durchlaufen ließ und bei der sie sich Runde für Runde präsentieren mussten. Allerdings, sagt sie, seien die Kinder heute auch viel selbstbewusster, wenn es darum ginge, sich darzustellen. Viele seien im Tanzen geübt, ähnlich ihrer You-Tube-Vorbilder. „Ich erlebe es heute oftmals schon umgekehrt, dass ein Kind eher verblüfft ist, wenn man nicht alles, auch den Holzturm, den es gerade gebaut hat, fotografisch festhält.“

Adrenalin pur gab es für Kerstin Seegebarth die Woche nicht nur aufgrund von Lampenfieber, ob bei den beiden Auftritten auch alles gut gehen würde. Schlaflose Nächte hatte sie schon vor der Projektwoche, als die Wiese, auf der das Zelt platziert werden sollte, voll Wasser stand. Schließlich wurde aber auch hier eine Lösung gefunden: Wolfram Meyer vom Hofgut Hohenwald erlaubte nicht nur, auf seine Kuhwiese Hackschnitzel zu streuen, er holte sie auch noch beim Fohlenhof in Steinbach eigenhändig ab. „Und die Eltern haben die Hackschnitzel, die der Fohlenhof uns geschenkt hat, dann mit ihm in einer Samstagsaktion auf die Wiese gebracht“, erzählt sie. Die Feuerspuck-Nummer, die es das vergangene Mal als eines der Highlights der Zirkus-Show gegeben hatte, ließ Seegebarth dieses Mal jedoch ausfallen. „Ich habe mir die Brandschutzauflagen des Kultusministeriums zu genau durchgelesen, die sind wirklich sehr hoch und als vorsichtiger Mensch habe ich danach die Entscheidung getroffen, diesen Programmpunkt doch lieber wegzulassen. Das tat der Aufführung jedoch keinen Abbruch, bei der sich die Kinder durch ihr Können und ihren Mut als Disco-Kids, Hula Hoop-Künstler, Zauberer, Clowns, Trapez- und Bodenakrobaten, Drahtseilkünstler und Hundedresseure bewiesen und in die Herzen der Zuschauer spielten.

Bleibt zu hoffen, dass das Wir-Gefühl auch innerhalb der Schulgemeinschaft anhält und die Kinder mit ganz neuem Mut und Selbstwertgefühl neuen Aufgaben gegenübertreten.

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