Vertrag für Lebensmittelmarkt in Schönberg in trockenen Tüchern

Immer wieder gerieten die Vertragsverhandlungen ins Stocken, doch steht einer Eröffnung eines Tegut-Marktes als Inklusionsprojekt nach einigen Umbauarbeiten und Personalfragen, nichts mehr im Wege. Der Eigentümer der Liegenschaft und die „Perspektiven gGmbH“ haben den Mietvertrag zum Betrieb eines Lebensmittelmarktes unterzeichnet. Fotos: Westenberger

Kronberg (mw) – Es ist ein soziales Projekt, das mit der Vertragsunterzeichnung am 30. Juni, nachdem es von den Bürgern und der Politik schon fast tot geglaubt war, nach drei Jahren Verhandlungszeit doch noch auf den Weg gebracht werden konnte: Kronbergs Stadtteil Schönberg erhält noch in diesem Jahr einen Lebensmittelnahversorger im Mainblick 65. Der Eigentümer der Liegenschaft und die „Perspektiven gGmbH“ haben den Mietvertrag zum Betrieb eines Lebensmittelmarktes unterzeichnet. Die Perspektiven gGmbH ist eine Tochtergesellschaft des Vereins „Perspektiven“. Zweck der gemeinnützigen GmbH ist die Schaffung von Arbeits- und Beschäftigungsangeboten für Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder psychischen Erkrankungen. Wie die Geschäftsführerin der Perspektiven gGmbH, Ulrike Schüller-Ostermann verrät, wagt der Verein mit dem Einzelhandelsmarkt nach langen Abwägungen ein ganz und gar neues Projekt: Der Markt in Schönberg wird als gemeinnütziges Integrationsprojekt betrieben werden. „Es ist ein großes Wagnis, das wir eingehen und deshalb ist es für uns eine große Beruhigung zu wissen, dass die Stadt derart stark hinter diesem Projekt steht“, erklärt sie. Der Weg bis zur Unterschrift war steinig. Es sei schwierig gewesen, für eine derart kleine Verkaufsfläche einen geeigneten Marktbetreiber zu finden. Doch selbst nachdem die Lebensmittelhandelskette „tegut“ sich für das Projekt interessierte, waren weitere Hürden zu nehmen. Es galt, das Geschäftsmodell auf seine Tragfähigkeit hin zu prüfen und der „Aktion Mensch“ und dem Landeswohlfahrtsverband zwecks Förderung vorzulegen. Als von dort endlich grünes Licht für die nötigen Fördergelder kam, mussten die Gespräche mit dem möglichen Betreiber wieder aktiviert werden.

„Ich bin einfach glücklich, dass es nun doch noch geklappt hat. Wir haben so viel Arbeit und Herzblut in dieses Projekt gesteckt“, so die Geschäftsführerin von „Perspektiven“. Der Lebensmittelhandelskonzern „Tegut“ sieht den „minimalistischen Vollsortimenter „– auf 200 Quadratmetern Fläche werden die Kunden über 4.500 Produkte finden – ebenso wie Schüller-Ostermann als ein soziales Projekt, sozusagen als das Aushängeschild des Lebensmittelhandelskonzerns, dessen Credo es ist, auch dort für Nahversorgung zu sorgen, wo es keine mehr gibt. „Mit diesem kleinen Projekt helfen wir Menschen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die sonst kaum Chancen hätten“, erklärt Knut John als Vertreter von „tegut“. Es sei nicht nur auf den wirtschaftlichen, sondern eben auch auf den sozialen Erfolg zu achten. Und gesamtgesellschaftlich betrachtet sei es wirtschaftlich vermutlich ebenfalls ein erfolgreiches Projekt, wenn auf diesem Weg Menschen länger in ihrem Zuhause wohnen bleiben können, weil sie sich selbstständig fußläufig mit Lebensmitteln für den täglichen Bedarf versorgen können.

Wie Ulrike Schüller-Ostermann erklärt, werde der Betrieb, wenn alles gut läuft ab November dieses Jahres bis zu fünf Angestellte übernehmen. „Wir werden Arbeitsplätze für Menschen schaffen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt kaum oder keine beruflichen Perspektiven haben. Auch und gerade Menschen mit einer Schwerbehinderung werden hier integriert“, so Schüller-Ostermann. Geplant werde in jedem Fall mit drei Vollzeitstellen. Zum Teil sollen Menschen in Beschäftigung gebracht werden, die bereits einer der zu „Perspektiven“ zählenden Einrichtung angehören. Im Eingangsbereich des Marktes soll ein kleines Café entstehen, das auch als Treffpunkt dienen kann. „Außerdem planen wir einen Lieferservice, der sich gerade an ältere Menschen richtet, die nicht mehr so mobil sind“, erklärt Schüller-Ostermann. „Für die Zustellung dieser Waren suchen wir ehrenamtliche Helfer. Wer sich gerne einbringen möchte, kann sich schon jetzt mit uns in Verbindung setzen“, so die Geschäftsführerin von „Perspektiven.“

„Was lange währt, wird endlich gut“, so die Worte des Bürgermeisters Klaus Temmen nach Vertragsabschluss. „Seit Jahren waren wir darum bemüht, wieder einen Lebensmittel-Nahversorger in den Stadtteil Schönberg zu bekommen. Ich bin glücklich, dass uns dies gelungen ist. Mein Dank geht nicht nur an Vermieter und Mieter, die sich nun einigen konnten, sondern auch an Benedikt Graf von Westphalen. Er hat im Auftrag der städtischen Wirtschaftsförderung in der Vergangenheit viele Gespräche mit den Beteiligten geführt, den Kontakt zur beteiligten Lebensmittelkette Tegut hergestellt, die den Markt mit Waren beliefern wird, und zuletzt auch auf Wunsch der beiden Vertragsparteien die Verhandlungen intensiv begleitet und zum Abschluss gebracht“, sagt er. Das entscheidende Gespräch, da sind sich alle am Tisch einig, hatte jedoch Temmen selbst geführt. Der Vermieter habe sich im entscheidenden Gespräch kooperativ und entgegenkommend gezeigt, so Temmen. „Der neue Lebensmittelmarkt in Schönberg kann sich nun als echte „Win-Win-Situation“ erweisen, so der Bürgermeister. „Einerseits bietet er die Möglichkeit zur Eingliederung von Menschen mit Handicap in das Berufsleben, andererseits wird die Lebensmittelnahversorgung Schönbergs sichergestellt.“ Der Rathauschef zollt dem Verein „Perspektiven“ großen Respekt, ein solches Projekt „mit all seinen Risiken“ einzugehen und umsetzen zu wollen. Der Verein „Perspektiven“ betreibt neben seinem Verwaltungssitz in Oberursel mehrere soziale Einrichtungen in der Region, darunter auch Tagesstätten und Betreutes Wohnen. „Uns muss es nicht gelingen, einen großen Gewinn zu erwirtschaften, aber wir müssen schwarze Zahlen schreiben“, erläutert die Geschäftsführerin. Bauchschmerzen machen ihr noch die zu erwartenden Nebenkosten.

Neben der Eigenmittel, die der Verein Perspektiven einbringt, wurde die Umsetzung dieses Projekts nicht zuletzt aufgrund mehrerer Zuwendungen möglich: Für die notwendigen Investitionen gibt es eine Spende in Höhe von 25.000 Euro eines Bürgers, der namentlich nicht genannt werden möchte, auch das Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro, das der Verein im Jahr 2012 durch die Verleihung des Kurt-Graulich-Preises erhalten hatte, wird für die Umbauarbeiten verwandt. Die „Aktion Mensch“ unterstützt das Projekt in den ersten fünf Jahren mit einem Personalkostenzuschuss von insgesamt 145.000 Euro. Nach der Anerkennung des Unternehmens als Integrationsbetrieb kann auch das hessische Integrationsamt des Landeswohlfahrtsverbands Hessen den laufenden Betrieb bezuschussen.

„Der Magistrat der Stadt Kronberg beteiligt sich im Rahmen der städtischen Wirtschaftsförderung mit einem einmaligen Investitionskostenzuschuss in Höhe von 5.000 Euro sowie einer zweckgebundenen Spende in Höhe von 200 Euro pro Monat an den Verein Perspektiven“, informierte der Bürgermeister. „Wir betrachten dies als städtischen Beitrag und wichtige Hilfe zum Start. Es liegt in unser aller Interesse, dass der neue Lebensmittelmarkt erfolgreich ist. Ich rufe schon jetzt alle Schönbergerinnen und Schönberger dazu auf, im neuen Lebensmittelmarkt im Mainblick einzukaufen.“ Der anoynme Spender hat noch eine, wie Temmen findet, „denkbare und gute Idee“. Er hat zur langfristigen Sicherung des Geschäftsmodells die Gründung eines Fördervereins oder vielleicht sogar einer Genossenschaft vorgeschlagen.

Nun liegt es jedoch erst einmal in der Mitverantwortung der Bürger, allen voran der Schönberger, dass sie „ihren“ neuen Nahversorger nutzen, der von seinem Sortiment alles wie die Großen bietet. „Die Preise sind übrigens in unseren Märkten, egal ob klein oder groß, alle gleich“, betont Knut John. Mit den möglicherweise in einzelnen Produkten überteuerten „Tante Emma-Lädchen“ von früher habe das Konzept nichts gemeinsam.

Schönbergs Ortsvorsteherin, Dr. Regina Sell, glaubt fest daran, dass die Bürgerinnen und Bürger Schönbergs das Angebot unterstützen. Schließlich habe das Thema Nahversorgung im Ortsbeirat Schönberg immer wieder oben auf der Tagesordnung gestanden.

 

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