Anselm Grün: „Macht gestalten heißt Menschen inspirieren“

Anselm Grün zu Gast in der St. Markus-Gemeinde. Foto: Sura

Kronberg (aks) – Der Benediktiner-Mönch mit den heiteren Augen und seiner leisen, unaufdringlichen Stimme hält am Donnerstagabend die vielen Besucher der St. Markus-Gemeinde, die der Einladung des Schönberger Forums gefolgt sind, in Atem. Hausherr Pfarrer Kramm freut sich über den regen Zulauf und die volle Kirche: Für jeden sei hier Platz, „wie im Reich Gottes“.

Der Saal ist tatsächlich bis auf den letzten Platz besetzt, schließlich eilt Pater Anselm Grün, Autor von 300 Büchern für ein Millionenpublikum, ein Ruf voraus: der gute Ruf eines Menschenfreundes und spirituellen Beraters, der um die menschlichen Schwächen weiß und der Gott predigt als höchste Kraft im Universum, der wir uns gern anvertrauen dürfen. Ein barmherziger Gott, der uns unsere Verfehlungen vergibt und der jeden Menschen so liebt, wie er ist. Es sei besser, sich Gott anzuvertrauen als Menschen, die ihre Macht in ihren jeweiligen Funktionen missbrauchten.

Macht gestalten durch Inspiration

Macht gebe es in unterschiedlichen Ausprägungen: „eine verführerische Kraft“, die es gelte zu gestalten, statt sie nach egoistischen Vorstellungen zu missbrauchen, so das optimistische Postulat Grüns. In der Bibel werde Macht oft als „Teufelspakt“ verurteilt, für den ein hoher, zu hoher Preis zu zahlen sei: „Hörigkeit statt Zugehörigkeit.“ Grün verteufelt Macht an sich nicht und „Machtaskese“, der Verzicht auf Macht, sei für ihn keine Option – „sonst übernehmen andere die Macht“. Vorbildlich sei, was Jesus sagt: „Der Führende soll der Diener aller sein.“ „Jesus hat die Menschen angehaucht mit seinem Geist“, aus Liebe zu den Menschen und nicht aus Liebe zur Macht. „Wir führen gut, wenn wir andere inspirieren und damit Leben wecken“, so lautet die Kernaussage Anselm Grüns in seinem äußerst bewegenden und im Grundton heiteren Vortrag – es darf auch gelacht werden. Er findet einfache Worte für komplexe Sachverhalte, die er aus ihrer Historie und lateinischen wie griechischen Begriffen herleitet.

Sehnsucht nach Glauben

Um gut zu führen, müssten wir „hinhören“ und herausfinden, was die Fragen der Menschen seien und ihre Sehnsüchte. Er zitiert Saint-Exupéry: „In der Sehnsucht nach Liebe ist schon Liebe, in der Sehnsucht nach Glauben ist schon Glaube.“ Glauben, so der Pater, bedeute „probieren, experimentieren“. Der christliche Glaube gebe die Antwort auf die Sehnsucht nach Gott.

Heilmittel Gemeinschaft und Gebet

Machtmenschen umgäben sich gern mit „Bewunderungszwergen“, so groß sei ihre Angst, von anderen übertroffen zu werden. Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen und Narzissten neigten in besonderem Maße dazu, sich in den Mittelpunkt zu stellen – koste es, was es wolle.

Systeme, die auf der Macht des Stärkeren basieren, führten zur Ohnmacht aller anderen. Jeder von uns sei aufgefordert, „nie in der Ohnmacht zu bleiben, sonst werden wir gelähmt“. Jeder könne etwas tun: „Jeder hinterlässt eine Spur“. Gerade im Angesicht eines Krieges sollten wir nicht hilflos verharren, sondern „aktiv etwas tun: beten… Wenn ich bete, fallen mir die richtigen Worte ein. Gebete bedeuten Hoffnung“. Nie dürften wir die Hoffnung aufgeben, sondern „das Unverhoffte zu hoffen wagen: Solange wir beten, geben wir die Welt nicht auf“, ein Credo, dem viele gern folgen möchten und ein großer Trost für alle, die die Unsicherheit in Zeiten des Krieges quält. Das Heilmittel gegen jeden Missbrauch sei das Gemeinschaftsgefühl, denn „wenn wir uns verbunden fühlen, fühlen wir uns sicher“, und er sagt auch dies: „in der Tiefe sind wir mit allen Menschen verbunden“.

Machtmissbrauch in allen Varianten

Was Macht alles nicht darf und wie Machtmissbrauch aussieht, schildert Pater Grün ausführlich. Seine Warnung ist deutlich und eindringlich und die Zuhörer nicken einvernehmlich. Sein Vortrag überrascht dennoch mit Schilderungen von Fällen, die auf den ersten Blick nicht toxisch scheinen. Menschen könnten auch in ihrer Opferrolle zu Tätern werden, weil sie ihre Umwelt tyrannisierten, nach dem Motto: „Ich leide, also bin ich“. Andere gingen in ihrer Rolle als Helfer vollständig auf und stülpten sich so einen Deckmantel über (C.G. Jung nennt das „die Identifizierung mit archetypischen Bildern“), der dem Einzelnen zur Macht verhilft mit dem Versprechen: „Ich kann dich heilen“. Hier sei immer Vorsicht angebracht! Statt sich realen Beziehungen zu stellen, redeten manche Menschen „lieber mit Engeln“ und „verbinden sich gleich mit dem Göttlichen“. Meditation sei ihnen lieber als der echte Dialog mit dem Partner. Grün nennt das „Flucht in die Grandiosität – eine verführerische Macht, die nicht dient“.

Das Dogma „des schlechten Gewissens“, das alle anderen unter Druck setzt, sei ebenso subtil wie die emotionale Erpressung in Partnerschaften und Familien, die nicht Ausdruck von Liebe, sondern von Manipulation sei. Auf die dürfe nie eingegangen werden, kein einziges Mal! Sein Fazit ist dennoch zuversichtlich, denn er mutet jedem Menschen Verantwortung zu, schließlich sei „jede Entscheidung eine Verantwortung für die ganze Welt: Jeder hat Macht, er kann sie nutzen, um den Menschen zu fördern – oder er kann seine Macht missbrauchen“.



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