“Behüt‘ uns Gott vor Feuer und Wind und Gesellen, die langweilig sind” – 100 Jahre Bäckerei Christ

Kronberg (war) – „Geschäfts=Uebernahme. Hiermit beehre ich mich anzuzeigen, daß ich die seit langen Jahren von Herrn Philipp Gottschalk und dessen Vater betriebene Brot- und Feinbäckerei übernommen habe und am Samstag eröffne. Ich bitte um geneigten Zuspruch und verspreche meine Kunden gut zu bedienen. Alwin Christ“. Mit dieser Anzeige vom 29. November des Jahres 1923 im Cronberger Anzeiger hatte Alwin Christ endlich sein Ziel erreicht, mit der Eröffnung seiner Bäckerei vor hundert Jahren am Samstag – es war der 1. Dezember im Jahr 1923 – in der Burgstadt Fuß zu fassen. Zu dieser Zeit gingen noch fünf weitere Bäcker in der Burgstadt ihrer Profession nach, die in Christ wohl zunächst einen Konkurrenten sahen.

Der Weg bis dahin war gar nicht so leicht gewesen, wie einer Niederschrift zu entnehmen ist, die Alwins Tochter Hildegard Christ zum 65. Jubiläum des Unternehmens im Jahr 1988 quasi als „Gedächtnisprotokoll“ für ihre Familienangehörigen erstellt hatte. Damit gelang ihr, die in Kronberg nur „s’ Hilde“ genannt wurde, laut eigenem Vorwort, „das zu verwirklichen, was unser Vater immer vorhatte, eine Familienchronik und damit die Gründung der Firma schriftlich niederzulegen.“ Ihre Aufzeichnungen enden mit dem Zweiten Weltkrieg.

Alwin Christ, Jahrgang 1894, war gebürtiger Idsteiner und hatte sechs Geschwister. Hildegard Christ weiter: „Unser Vater kam im Jahr 1908 aus der Schule. Damals war die Zeit sehr schlecht und er sollte einen nahrhaften Beruf erlernen und so kam er zu einem Bäcker in Idstein in die Lehre.“ Sein dortiger Lehrmeister schlief stets auf den Mehlsäcken statt im Bett. Nach der Lehre fand er Anstellung in einer Bäckerei in Bad Schwalbach. „Der Meister hätte ihm keinen Lohn gezahlt, dafür sei er mit dem Fahrrad des Meisters abgehauen und weiter nach Wiesbaden und Mainz. Abends um zehn Uhr wurde angefangen zu backen, bis zum nächsten Mittag ohne Kost und Wohnung“, weiß die Chronistin aus Erzählungen ihres Vaters. Den Ersten Weltkrieg überstand der junge Bäcker unverletzt nach Einsätzen in Frankreich bei Sedan sowie in Südosteuropa im Raum Sofia und Saloniki. Dort war Malariagebiet. Nach Kriegsende verdingte er sich eine Zeit lang als Holzfäller und lernte seine spätere Frau Else Veidt in Idstein kennen. Da Christ jedoch wieder in seinem eigentlichen Beruf tätig sein wollte, schaute er sich nach einer entsprechenden Arbeitsstelle um, die er dann als Bäckergeselle bei der Bäckerswitwe Weidmann in Kronberg fand. So verschlug es ihn in die Burgstadt. Jedes Wochenende ging es weiterhin per Fahrrad nach Idstein zur Freundin, um diese am 18. November im Jahr 1923 im heutigen Idsteiner Ortsteil Kröftel zu heiraten, denn von hier stammte seine zukünftige Frau. Per Kuhfuhrwerk gelangte der Hausrat von Kröftel nach Kronberg. Frisch verheiratet konnte Christ hier die Bäckerei Gottschalk zunächst pachten und, wie eingangs erwähnt, am 1. Dezember im Jahr 1923 neu eröffnen. Der vorherige Inhaber war unverheiratet und kinderlos verstorben und dessen Betrieb seit einem halben Jahr geschlossen. Die Einrichtung samt Öfen zum Backen muss sehr veraltet gewesen sein. Sicherlich war es sehr riskant, gerade in der damaligen Zeit auf dem Höhepunkt der Hochinflation ein Geschäft neu zu eröffnen. Hildegard Christs Meinung dazu: „Das Lob müssen wir heute noch aussprechen: Unsere Eltern hatten allerlei Mut und Selbstvertrauen, unter all diesen Bedingungen neu anzufangen. Das erste Brot und Brötchen wurden im Anfang mit mehreren Millionen Mark verkauft.“ Die Arbeitsbedingungen in der Backstube müssen sehr schwierig gewesen sein. „Den Aschestaub und die Enge kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Das wäre heute nicht mehr möglich und vor allem nicht mehr zulässig“, ist der Chronik zu entnehmen.

Schon bald wollte Christ die Bäckerei inklusive dazugehöriger Immobilie erwerben, um den Backbetrieb endlich zu modernisieren und effektiver zu gestalten, aber die Gottschalks wollten sich von ihrem Besitz nicht trennen. Nachdem der alternative Erwerb der Bäckerei Weidmann, Alwins erster Arbeitsstelle in Kronberg, trotz fester Zusage letztlich geplatzt war, konnte Christ bei seinem zweiten Versuch die Erbengemeinschaft Gottschalk dann doch noch überzeugen, ihm die Bäckerei zu verkaufen. Dazu musste er sich Geld leihen, das sukzessive zurückzuzahlen war. Nach dem Kauf wurde der Betrieb im Jahr 1928 grundlegend umgestaltet. So wurde in der bisherigen Scheune die neue Backstube eingerichtet Auf einem der Querbalken steht seitdem der Spruch „Behüt‘ uns Gott vor Feuer und Wind und vor Gesellen, die langweilig sind“. Ein Lehrling, jeweils für drei Jahre, sowie drei Gesellen unterstützten jetzt den Backbetrieb. Drei von ihnen schliefen über der Backstube. Auf festen Touren wurden die Brötchen zu den Kunden im Ort per Fahrrad oder zu Fuß ausgetragen. Mitte der 1930er Jahre wurde das erste Auto, ein Opel P4 mit extra eingebauter Hecktüre zum Beladen angeschafft. 1938 folgte ein Opel Super 6, der Vorläufer des Opel Kapitäns. Doch die Freude über den neuen Wagen dauerte nicht allzu lange an, denn im Laufe des Krieges wurde das „gute Stück“ für militärische Zwecke eingezogen und nach Ostpreußen transferiert.

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das Ladenlokal das zweite Mal neu eingerichtet. Das zeigt, dass das Unternehmen gut lief. „Es machte richtig Spaß, im neuen Laden zu verkaufen“, erinnert sich Hildegard Christ.

Alwin Christ musste nicht an die Front, da er als Bäcker „UK“ gestellt wurde, das heißt von Berufs wegen unabkömmlich war. Seine Gesellen jedoch wurden nach und nach zum Kriegsdienst eingezogen. Alwins Sohn Walter, dessen Schulzeit im Jahr 1942 endete, begann seine Bäckerlehre nunmehr im väterlichen Betrieb. Er leitete die Bäckerei, nachdem der Firmengründer am 21. März des Jahres 1959 verstarb. Seine Frau Erika unterstützte ihn tatkräftig im Verkauf. Im Jahr 1990 übernahmen mit Walters Sohn Stefan – Bäckermeister und Konditor – in der Backstube sowie Tochter Anita Christ im Verkauf schließlich die dritte Generation die Familienbäckerei. Inzwischen sind zu dem Stammgeschäft in der Friedrich-Ebert-Straße 39 zwei Filialbetriebe hinzugekommen – der eine am Untertor 5 in Eschborn und der andere in Kronberg, zunächst von 1988 bis 2020 in der Frankfurter Straße und seitdem am Berliner Platz 2. Stefan Christ reizt an seinem Beruf die Vielseitigkeit: „Neben einer Portion Kreativität beim Backen habe ich Freude an den kaufmännischen und technischen Aspekten.“ Dennoch wird es immer schwieriger, Fachkräfte zu akquirieren. „In diesem Lehrjahr hat im gesamten Main-Taunus- und Hochtaunuskreis kein Auszubildender mit der Bäckerlehre begonnen. Das gab es bislang noch nie“, so Stefan Christs nachdenkliches Resümee. Zum Glück unterstützen die beiden Christs derzeit zwei Gesellen. Nächstes Jahr soll sogar noch ein zusätzlicher dazukommen. Anita Christ fährt fort: „Unsere tüchtigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben zweifelsohne zu unserem 100jährigen Geschäftserfolg erheblich beigetragen. Dafür sind wir diesen sehr dankbar.“ Kein Wunder, dass die renommierte Gastrozeitschrift „Der Feinschmecker“ seit Jahren die Bäckerei Christ zu den besten in Deutschland zählt. Insbesondere betont das Magazin die reiche Auswahl an frischen Backwaren vom Treberbrot über Dinkelvollkornbrot sowie luftigen Hefezopf bis hin zu knusprigen Croissants, Tartes und Quiches nach original französischem Rezept.

„Generell wünsche ich mir, dass unsere Arbeit im Backhandwerk die Wertschätzung erfährt, welche sie verdient hat. Die Herstellung guter Backware will gelernt sein und ist keine Selbstverständlichkeit.“ Diesen persönlichen Wunsch hat Anita Christ zum bedeutsamen Jubiläum für die Zukunft.

Der Firmengründer Alwin Christ

Walter Christ mit seinen Kindern in der Backstube Fotos: Ried

Anzeige aus dem Cronberger Anzeiger vom 29. November im Jahr 1923

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