Buchtipp

Offene See, Roman von Benjamin Myers; Dumont 2020; 22 Euro

Dieses Buch vereint die Reiselust, die Freude an der Natur mit der Neugierde und Offenheit gegenüber dem Fremden. Ort des Geschehens ist die Grafschaft York in England. Der 16-jährige Robert hat die Schule beendet und sein Weg scheint vorgezeichnet. Aber bevor er, wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter wird, will er raus in die Natur und an die See. Es ist kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, es herrscht an vielen Orten Not und es gibt auch noch kein Vertrauen in die Zukunft. Robert liebt die Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Er lebt in der Natur und mit der Natur. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Robert bleibt länger, als eigentlich beabsichtigt. Er fängt an das Cottage zu reparieren und sich nützlich zu machen. Dafür gibt es beste Verpflegung und viele spannende Gespräche. Benjamin Meyers ist ein Buch gelungen, dass poetisch das Leben mit der Natur beschreibt, die Sehnsucht des jungen Robert nach Freiheit und Selbstbestimmung, sich aber durch die Gespräche mit Dulcie weit in das gesellschaftliche und politische Leben ausdehnt. Während bei uns viele Menschen von einer absurden Angst vor den „Anderen“ und vor der Zukunft getrieben werden, geht hier ein Mensch ganz offen auf beides zu. Er nimmt seine Zukunft soweit es geht in die eigene Hand, er lässt sich auf fremde Menschen ein ohne sich von Vorbehalten seiner eigenen Urteilsfähigkeit zu berauben, und er ist offen für ihm unbekannte Kulturgüter. Vielleicht ist der Roman „Offene See“ von Benjamin Meyers keine literarische Sensation, aber ein kleiner literarischer Höhepunkt dieses Frühjahrs ist er allemal.

Erhältlich in allen Buchhandlungen.



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