Drei Rehrisse in nur einem Monat: Jäger fordern zu mehr Vernunft im Wald auf

Jägeridylle am Hochsitz der Kellergrundwiese im Kronberger Stadtwald: Der Kronberger Jagdpächter Thomas Hodde mit „Paul“ (links) und Mitjäger Dennis Roth mit „Leo“ verbringen viele Stunden im Wald.
Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Wer liebt sie nicht, die Natur- und Tierwelt direkt vor unserer Haustür? Viele Kronberger Bürger sind genau deswegen aus der Großstadt hierher gezogen, um dem Trubel und der Hektik nach dem Arbeitstag im Büro schnell entfliehen zu können. Der Kronberger Stadtwald, am Hang des Altkönigs gelegen, mit seinen duftenden lichtdurchfluteten Hölzern, dem Rauschen der Bäume, dem Knistern und Knacken im Unterholz, lädt ein zum Wandern, Mountainbiken, Joggen und Entdecken. Er dient zur sportlichen Ertüchtigung, vor allem jedoch zur Erholung im Schatten der stattlichen Bäume. Längst gehört der Wald nicht mehr nur den Wildtieren, sondern der Mensch hat ihn ebenfalls als Lebensraum für sich entdeckt, und das mitunter von frühmorgens bis tief in die Nacht. Für den Kronberger Jagdpächter Thomas Hodde aus Kelkheim und seine Mitjägerinnen und Mitjäger ist das per se kein Problem. Jedem, der hier eine Jagdpacht übernimmt, sei klar, dass er im Vordertaunus, einer siedlungsstarken Region, keinen menschenleeren Wald pachtet, in dem man außer dem Wild keiner Menschenseele begegnet. Um so wichtiger ist dem Jagdpächter, dessen Jagdrevier sich vom Kronberger Waldschwimmbad zum Falkensteiner Friedhof hinauf bis unter den Altkönig erstreckt, ein gutes Miteinander aller Nutzer des Kronberger Stadtwalds. Hodde spricht mit den Waldnutzern, erklärt und klärt auf, damit sich im Wald alle wohlfühlen können. „Und das klappt eigentlich auch ganz gut“, betont er. „Wir haben auch mit den Hundebesitzern, die mit ihren Vierbeinern hier spazieren gehen, ein gutes Verhältnis.“ Schließlich sind Hodde und auch die meisten seiner Mitjäger selbst Hundeliebhaber. Hodde hat „Paul“, einen Weimaraner, zum Gespräch und Spaziergang durch das Gelände mitgebracht, sein Mitjäger Dennis Roth hat „Leo“, einen ungarischen Kurzhaar, im Schlepptau. Ein Thema, das sie dennoch ansprechen müssen, ist falsch verstandene Tierliebe. In den vergangenen Wochen ist es im Kronberger Waldrevier innerhalb nur eines Monats zu drei bestätigten Rehrissen durch Hundeeinwirkung gekommen. Die Rehe wurden so stark verletzt, dass das eine noch vor Eintreffen des von Spaziergängern zu Hilfe gerufenen Försters Martin Westenberger verendet ist. „Es hatte vor Schmerzen laut und anhaltend geschrien, sodass die Spaziergänger überhaupt aufmerksam geworden waren“, berichten die beiden. Tierärztin Dr. Marion Krug aus Kelkheim, die mit ihrem Mann ebenfalls dem Team aus vier Mitjägern um den Jagdpächter Hodde angehört, musste ebenfalls schon vom Ansitz aus miterleben, wie ein Reh von einem schwarzen Labrador durch den Wald gehetzt wurde – ein Hundebesitzer konnte nicht ausfindig gemacht werden. Auch unterhalb des Altkönigs wurde im Kronberger Stadtwald bereits mehrmals ein anderer, großleibiger Hund in der Dämmerung gesehen, der definitiv allein durch den Wald streifte. „Es gibt nun einmal Hunde, die nicht abrufbar sind“, erklärt Hodde. Das sei mit Hunden so, die nicht richtig trainiert wurden, aber es gebe eben auch Hunde, deren Jagdtrieb trotz Erziehung einfach zu groß sei. „Mein zweiter Hund ist voll ausgebildet und ich muss ihn im Wald trotzdem an einer zehn Meter langen Schleppleine mitnehmen. Er muss einfach an die Leine, sonst wäre er weg.“ Dass man einen Hund, der nicht in Rufnähe auf dem Weg bleibt, anleint, versteht sich für den Kronberger Jagdpächter von selbst. Genau das sei der Punkt falsch verstandener Tierliebe, seinen eigenen Hund laufen zu lassen, dessen Jagdtreiben zu ignorieren oder es, gemäß dem Motto: „Der will doch nur ein bisschen spielen“, gar noch kleinzureden. Die Jäger hoffen, auch nach insgesamt drei gerissenen Rehen – zwei Böcken und einem sogenannten einjährigen Schmalreh –, dass sich der Großteil der Hundebesitzer und der Waldnutzer vernünftig verhält. Doch sie möchten mit ihrem Appell, sich achtsamer durch das Wildtierrefugium zu bewegen, alle Waldnutzer erreichen: „Jedes Reh, das aufgrund der schweren Bisswunden erst fürchterlich leiden und schließlich durch einen Schuss von seinem Leid erlöst werden musste, ist eines zu viel“, so die passionierten Jäger. Für Mitjägerin Dr. Marion Krug sind die Rehrisse auch keine Einzelfälle mehr, da sich die Vorkommnisse in den letzten Monaten gehäuft haben. Sie ist sehr besorgt, weil die Setzzeit von Rehwild bereits begonnen hat und später auch die des Rotwildes beginnt und die Frischgeborenen sowie die hochträchtigen Muttertiere schutz- und wehrlos sind.

Vergangenes Jahr haben Hodde und Dennis Roth selbst eine Rehgeiß gefunden, die offene Wunden am Bauch, am Rücken und an den Hinterläufen hatte. „Das müssen wirklich irre Schmerzen sein“, macht Hodde deutlich. „Wir mussten sie erlösen, aber ihre Kitze haben wir leider trotz der Hunde nicht ausfindig machen können. Das bedeutet, sie sind elendig im Wald verhungert.“

Ihr Appell, den sie an alle Waldnutzer senden, ist außerdem, bitte auf den Hauptwegen zu bleiben. Das Rotwild, das Rehwild und das Schwarzwild kommen mit den vergleichsweise vielen Menschen im Wald klar, solange sie noch genügend Rückzugsmöglichkeiten in dichtem Untergehölz, in Böschungen und auf Wiesen finden, erklären die Jäger. Es sei nicht so, dass sie ständig flüchten würden, wenn sie einen Menschen sehen. „Sie haben sich längst an viele Waldbesucher gewöhnt“, erklärt der Kronberger Jagdpächter. Mitunter ständen sie in zehn, zwanzig Meter Entfernung im Wald, wenn die Menschen vorbeispazierten, und warteten ganz ruhig ab, bis diese vorbei seien. „Flüchten würden sie nur, wenn man ihnen nun jenseits der Wege im Untergehölz nachstellt“, sagt er. Deshalb sei es wichtig, nicht quer durch den Wald zu laufen. Und natürlich sei es in Corona-Zeiten im Wald nicht ruhiger geworden, sondern lauter und hektischer, und Trockenheit, Borkenkäfer und die Stürme auf dem 355 Hektar großen Waldareal täten ihr Übriges, dass Rückzugsplätze für das Wild im Wald schwinden würden. „Doch noch kann sich das Wild auch darauf einstellen“, wirbt er für ein sensibles Miteinander. Die Menschen sollen sich nun aber bitte ihrerseits auf das Wild einstellen und Rücksicht nehmen! Von Verboten hält Hodde nach wie vor wenig. „Verbarrikadierte Wege sorgen nur für Ärger und Aggressionen, das ist nicht unser Ansatz.“

Der Kronberger Jagdpächter und seine Mitjäger haben den Kronberger Stadtwald seit 1. April 2019 von der Stadt gepachtet. Zu ihren Aufgaben gehört, den Wildbestand zu begrenzen (wie viel Wild gejagt werden darf, ist genau festgelegt) und gesund zu erhalten. Natürlich gehöre das Schießen der Tiere damit ebenfalls zu ihren Aufgaben, zurzeit würden wieder vermehrt Wildschweine geschossen, damit es keine Überpopulation gibt oder sie in die Privatgärten drängen. Aber der Abschuss stehe nicht im Vordergrund, betont er. Vielmehr sei es die Natur- und Tierbeobachtung, die Freude bereite. Hodde beispielsweise ist drei- bis vier Mal pro Woche im Revier, eine willkommene Abwechslung zu seinem Bürojob, sagt der Banker, entweder in der Morgen- oder Abenddämmerung ist er auf Fährtensuche und macht aus, was für Tiere er im Revier hat. „Beim Rotwild beispielsweise haben wir auch richtige alte Omas hier rumlaufen“, erzählt er. Das erkenne man dann an der durchhängenden Rücken- und Bauchlinie des Tieres, auch an der geringeren Agilität und am stumpfen Fell. Aufgabe der Jäger ist nun, die älteren Tiere aufzuspüren, aber auch schwache Jungtiere werden geschossen, um den Bestand stark und gesund zu halten.

Im vergangenen Jahr war der neue Jagdpächter erst einmal damit beschäftigt, die in die Jahre gekommenen Hochsitze mit seinem Team zu erneuern und alles Material wie Plastik in den Verschlägen zu beseitigen, denn das hat für ihn im Wald nichts zu suchen. Auch die Helbighainer Wiese am Opel-Zoo beidseitig der Straße nach Königstein gehört zum Revier sowie die Kellergrundwiese. Letztere wurde gepflügt, gedüngt und mit einer Wildkräutermischung als Nahrung für die Wildtiere eingesät. Gemeinsam wird im Wald gearbeitet und beobachtet. „Was wir sehen, teilen wir uns natürlich mit“, erzählt Hodde, „das macht Spaß und Freude.“ Er hat den Kronberger Stadtwald sofort in sein Herz geschlossen. Für ihn persönlich ist es einfach ein außergewöhnlich schöner Wald.



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