Fachlicher Input über die Chance von Baugemeinschaften

V.l.n.r.: die Vorsitzende von Aktives Kronberg, Andrea Poerschke, mit Stadtplanerin Birgit Kasper und Architekt Andreas Schmitt im Foyer der Kronberger Lichtspiele

Foto: Westenberger

Kronberg (mw) – Das Thema, mit dem sich der Verein „Aktives Kronberg“ am Sonntag im Rahmen einer Matinee in den Kronberger Lichtspielen auseinandergesetzt hat, ist zukunftsweisend. Auf allzu großes Interesse (was auch Corona geschuldet sein kann) stießen die Fachvorträge, die die Chancen moderner Wohnquartiere veranschaulichten, mit über 20 Besucherinnen und Besuchern dennoch nicht. Dabei hatte „Aktives Kronberg“ die Referenten eigentlich zum rechten Zeitpunkt eingeladen, steht doch die Bahnhofsbebauung (Baufeld V) sowie als weitere Bebauung das ehemalige SG0-Gelände (Altkönigblick) auf der städtischen Agenda auf der Prioritätenliste ganz oben. Wer jetzt gedacht hätte, neben aufgeschlossenen Bürgerinnen und Bürgern auch interessierte Gesichter aus der Stadtpolitik zu sehen, die das Thema „Gemeinsam miteinander statt einsam nebeneinander – Quartiersentwicklung im Wandel der Gesellschaft“ verfolgten, der irrte.

Dabei machte die Stadtplanerin Birgit Kasper, die in den Bereichen Stadtforschung und innovative Wohnformen arbeitet und die Frankfurter Koordinations- und Beratungsstelle für gemeinschaftliche Wohninitiativen und Wohnprojekte leitet, unmissverständlich klar, dass die Entwicklung solcher Quartiere kein Zukunftsthema mehr, sondern längst Antwort auf die aktuelle Wohnungsmarktsituation ist und den veränderten Wünschen in der Gesellschaft Rechnung trägt. Die Fakten seien nun einmal ein „eingefrorener Wohnungsmarkt“ einerseits und ältere Menschen in viel zu groß gewordenen Häusern andererseits. „Warum die nicht wegziehen? Weil sie keine Alternativen haben!“, so nimmt sie ihre Zuhörer auf ein Gedankenspiel mit, bei dem es bereits heute viel mehr Menschen gibt und in der nächsten Generation noch mehr geben wird, die Interesse daran haben, im Alter Teil eines gemeinsamen Projektes – statt allein – zu sein. „Der neue Luxus liegt im Teilen“, sagt sie. Die Seniorinnen und Senioren haben eine Vielzahl an Kapazitäten und Kompetenzen, die sie einbringen wollen. Und das können sie auch in einem Quartier, beispielsweise mit Werkstätten oder nachhaltigem Dachgarten, eingegliedertem Café, Atelier, mit Gemeinschaftsräumen, die auch vermietet werden können, Fahrradwerkstatt und vielem mehr. Das sieht Architekt Andreas Schmitt, Geschäftsführer des Büros blfp planungs gmbh aus Friedberg, ähnlich. Es würden heute andere Forderungen gestellt, es geht darum, möglichst viele Bedarfe im 15-Minuten-Radius abdecken zu können. Er berichtete von seinem Bauprojekt im Stephanus-Quartier in Berlin-Köpenick, wo ein „Haus im Haus“, mit ganz verschiedenen Nutzungen nebeneinander, entstehen würde, ältere Menschen, auch Pflegebedürftige, lebten hier zusammen mit Studenten. Auch ein Kindergarten sei geplant. Die Studenten beispielsweise würden eine geringere Miete bezahlen und dafür bestimmte Pflichten im Haus übernehmen. Der Trend in den zukunftsweisenden Wohnquartieren gehe hin zum Verzicht auf ein Stück Privatheit zugunsten der Gemeinschaft. Wie Schmitt und Kasper darlegten, schlägt sich dieser Gedanke bereits in der Konzeption des Quartiers nieder. Das fängt bereits in der Architektenplanung an, die die Ideen und Wünsche der Gemeinschaft aufgreifen und umsetzen müsse. Gastreferentin Natalie Schaller, die „Aktives Kronberg“ aus München in den Kinosaal online zuschalten konnte, geschäftsführende Gesellschafterin der stattbau münchen gmbH und außerdem Leiterin der mitbauzentrale münchen, wies in ihrem Vortrag auf Vorteile einer Baugemeinschaft hin. „Der Architekt muss sich hier ebenfalls auf einen partizipierenden Planungsprozess einlassen“, erläuterte sie. Bei den gemeinschaftlichen Wohnbauprojekten gehe es immer um ein Mitgestalten, das Ergebnis sei nicht einfach ein Gebäude, sondern ein Raum für gemeinschaftliches Wohnen. Anhand verschiedener Wohnquartiere im Raum München erläuterte die Architektin die Entstehung solcher genossenschaftlicher Wohnungsbauten, die die Teilhabe an der Gemeinschaft stärken würden. Jeder müsse sich hier einbringen, mitorganisieren. „Was erstellt wird ist Gemeinschaftseigentum“, erklärte sie. Der Bewohner ist Mieter und Vermieter zugleich und erwirbt mit seinem Anteil, den er einbringt, ein lebenslanges Wohnrecht. Seine Anteile kann er vererben, nicht aber die Wohnung. Die Mieten lägen immer deutlich unter dem Mietspiegel und sorgten für eine starke Bürgergesellschaft, in der Solidarität großgeschrieben werde. Die meist auch sehr nachhaltig konzipierten Wohnprojekte seien im Raum München längt Vorzeigeprojekte für lebendige Quartiere geworden. „Die Gemeinschaft in den Freiräumen sorgt für eine stabile Nachbarhaft“, berichtete Schaller von ihren Erfahrungen. „Man schaut aufeinander.“ Das sei eine gute Grundlage für Inklusion, die in manchen Bauprojekten ebenfalls gelebt würde. In jedem Fall werde aber auf soziale Durchmischung geachtet, die Gemeinschaft könne sowohl stärkere als auch schwächere Mitglieder der Gesellschaft tragen. Genossenschaftliche Wohnbauprojekte würden neben der Schaffung von bedarfsgerechtem Wohnraum zur Entkopplung der Miete vom Mietmarkt sowie zur Dämpfung des Bodenpreises beitragen und förderten sparsamen, individuellen Wohnflächenverbrauch, konstatierte sie.

In der baulichen wie inhaltlichen Entwicklung eines solchen Quartiers, so waren sich alle drei Experten einig, sei es immer wieder ein spannendes Experiment, ein solches Quartier mit Einzelwohnungen, aber auch integrierten WGs und vielfältigen Gemeinschaftsbereichen, zu entwickeln. Wie Natalie Schaller deutlich machte, ist die genossenschaftliche Quartiersentwicklung im Raum München gewollt, 40 Prozent neuer Baugebiete stehen dort für genossenschaftliche Wohnbauprojekte oder ähnliche Projekte zur Verfügung, berichtete sie. Grundstücksvergaben erfolgten nur noch mit Konzept und im Erbbaurecht. Ob in München, Berlin oder aber in Kronberg, wichtig sei neben der Offenheit für genossenschaftliche Baugemeinschaften in der Politik natürlich die Gruppe der Menschen, die einen Bedarf dafür anmeldet und sich für die erklärten Ziele einsetzt, so Stadtplanerin Kaspar. Dann, so war man sich auf dem Podium einig, könne ein gemeinschaftliches Wohnbauprojekt bereits ohne Probleme in jeder Kommune und auch für kleinere Wohneinheiten, beispielsweise gut ab ca 20 bis 30 Wohneinheiten, realisiert werden.

„Aktives Kronberg“ mit seiner Vorsitzenden Andrea Poerschke und den Gästen, die zwischendurch munter Fragen an die Experten stellen konnten, waren sich am Ende zweier informativer Stunden, zu denen auch ein kurz ins Thema einführender Film gehörte, einig: Diese Chance für Kronberg sollte man wahrnehmen! Das Stadtentwicklungskonzept, das ebenfalls interessante wie innovative Ansätze für Kronberg bereithalte und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern erstellt wurde, liegt in Kronberg zur Nutzung übrigens schon bereit, erinnerte Poerschke.



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