„Wir haben jetzt die Chance,neue Wege zu denken!“

FDP-Ortsverbandschef Holger Grupe überraschte Bettina Stark-Watzinger mit nachträglichen Geburtstagsblumen. Fotos: Puck

Kronberg (pu) – Zwei Tage nach ihrem Geburtstag, an dem sie sich nach ihren eigenen Worten „mein schönstes Geburtstagsgeschenk“ durch das Einbringen der BAföG-Reform in den Bundestag selbst machte, weilte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, auf Einladung des FDP-Ortsverbandes in Kronberg. Als Gast des neuen Formats „Liberaler Salon“ stand sie im Museum der Kronberger Malerkolonie im Kulturhaus „Villa Winter“ zu aktuell besonders unter den Nägeln brennenden Themen Rede und Antwort. Der politische Salon – der auch gern als „a public world in a private space“ bezeichnet wird – ist eine alte und wiederentdeckte Form des politischen Diskurses. Dabei steht die Diskussion zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vordergrund. Trotz Themenfülle und Zeitdruck der Ministerin durch nachfolgende Termine, ließ sich FDP-Ortsverbandschef Holger Grupe die nachträgliche Gratulation zum Wiegenfest mit einem bunten Frühlingsstrauß nicht nehmen.

Kurzer Exkurs in die Historie

Den entspannten Part fortführend, lenkte die künstlerische Museumsleiterin Dr. Ingrid Ehrhardt die Aufmerksamkeit auf die Historie der Veranstaltungsstätte. Das ursprünglich 1810 in Frankfurt gebaute Haus musste 1870 einem Durchbruch zur Kaiserstraße weichen, nachdem der Bankier H. Carl W. Müller sein Grundstück an die Stadt Frankfurt verkauft hatte. Das repräsentative Bürgerhaus hingegen wurde zerlegt und in Teilen nach Kronberg transportiert, um es vor den Toren der Altstadt auf einem ehemals parkähnlichen Anwesen wieder aufzubauen. Ihren heutigen Namen erhielt die Villa, die seit 2018 die umfangreiche Sammlung der Stiftung Kronberger Malerkolonie beherbergt, durch den Maler Heinrich Winter (1843 bis 1911), einem Mitglied der Kronberger Künstlerkolonie.

Gelegenheit, die Gemälde der alten Meister wie Anton Burger oder Jakob Fürchtegott Dielmann beziehungsweise die aktuell parallel laufende Sondergesamtschau zeitgenössischen Kunstschaffens der 19 Mitglieder der Frankfurter Künstlergesellschaft auf sich wirken zu lassen, nutzten die Gäste vor und nach dem Aufenthalt der Bundesministerin.

Begleitung und Pragmatismus

Umso tiefgreifender der Brückenbau zur Politik und dem die Schlagzeilen beherrschenden imperialistisch geprägten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das Gebot der Stunde ist nach Überzeugung Bettina Stark-Watzingers, die Ukraine auf ihrem Weg der „Verteidigung ihres Landes, ihrer Souveränität und ihrer Werte“ solidarisch zu begleiten und Russland durch harte Sanktionen zu isolieren. Die aus ihrer Heimat Geflüchteten, denen es gelte, Schutz und Perspektiven zu bieten, bringen ihrer Erfahrung nach an erster Stelle den Wunsch auf baldige Rückkehr in ihr Land zum Wiederaufbau und die Frage nach Arbeit in Deutschland vor.

In Sachen Eingliederung der ukrainischen Kinder in die Kindergärten und Schulen, in puncto Hilfe für die Bundesbürger, die Menschen bei sich aufgenommen haben oder die Versorgung der Flüchtlinge betreffend, plädiert die Bundesministerin grundsätzlich für mehr Pragmatismus. Abgesehen davon, „sehen wir in Berlin die zeitaufwendige Arbeit, die großteils auch ehrenamtlich in den Kommunen geleistet wird, wir können stolz darauf sein!“ Ein typisches Beispiel, wo die Bundesregierung zwingend nachbessern muss, rückte eine hier lebende Ukrainerin in den Fokus. Sie berichtete von einer Landsmännin, die im Prinzip unverzüglich als Lehrkraft für die dringend notwendige Unterrichtung ukrainischer Kinder in einer hiesigen Schule einsetzbar wäre, jedoch vom fehlenden Deutschzertifikat ausgebremst wird. In diesem Zusammenhang wies sie außerdem auf den momentanen Zusatzstress ukrainischer Mütter hin, deren extrem schwierige Lage nach Flucht und durch ungewisse Zukunftsperspektive verstärkt werde, weil „es kompliziert ist, den zwecks aufrecht zu erhaltener Heimatbindung aus der Ukraine laufenden Onlineunterricht mit dem parallelen Schulbesuch in Deutschland zusammenzubringen.“ Zum Thema unbürokratischere Einstellungskriterien für ukrainische Lehrer versprach Bettina Stark-Watzinger, diese inständige Bitte nach rascherer Lösung derartiger Schwierigkeiten „mitzunehmen“. Nichtsdestotrotz betonte sie bei allem Verständnis für den unentbehrlichen Onlineunterricht aus der Ukraine, wie wichtig es aus ihrer Sicht ist, dass die Kinder „nicht nur am Handy hängen“, sondern neue Kontakte zu Gleichaltrigen auf dem Schulhof oder während der gemeinsamen Freizeit aufbauen.

Bildung und Chancengerechtigkeit

Apropos Bildung. Nach den Worten der Ministerin ist „jeder Euro in die Bildung eine Investition in die Gesellschaft.“ Durch die Covid-19-Pandemie seien Mängel, allem voran der schleppende Fortschritt der Digitalisierung in den allgemeinbildenden Schulen, schonungslos aufgedeckt worden. Alarmierend die laut letztjährigem Monitoring des CHE Centrum für Hochschulentwicklung fast 50.000 Studierenden ohne Abitur in einer Zeit, in der jede Fachkraft händeringend gebraucht werde. „Es hakt, wir müssen wirklich richtig Gas geben“, brachte die liberale Ressortchefin ihre Zielrichtung auf den Punkt. „Viele junge Menschen haben uns das Vertrauen gegeben, deshalb müssen wir Leuchttürme setzen, indem wir von Anfang an Menschen eine Lebenschance geben, denn das ist die höchste Form des Respekts!“

Als geeignete Maßnahmen nannte sie vor allem den Abbau von Bürokratie, das angekündigte Startchancen-Programm, die bereits erwähnte BAföG-Reform, mit deren Hilfe die Förderung wieder an die Lebensrealität von Studierenden und Azubis anpasst werden soll statt umgekehrt. „Die BAföG-Reform ist unser Einstieg in eine umfassendere Neuausrichtung der individuellen Bildungsförderung. Wir sind angetreten, um mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung zu schaffen – und wir stehen zu unserem Wort!“ Dazu der laufende Digitalpakt 1.0 und der im Koalitionsvertrag der Ampelparteien verankerten Digitalpakt 2.0. Nicht zu vergessen das Schaffen von Rahmenbedingungen, damit im ersten Anlauf gescheiterte Menschen ihre Abschlüsse dennoch erreichen und die Optimierung und Vereinfachung der Fachkräfteeinwanderung. Anwesende Schüler untermauerten die Erfordernis umfangreicher Schritte und Umdenkprozesse im Bildungssystem durch negative persönliche Erfahrungen. So berichtete eine Zehntklässlerin von einem jüngst stattgefundenen Berufsfindungsseminar, doch was nutze all die schöne Theorie, wenn in Wirklichkeit schon sämtliche Anmeldefristen abgelaufen seien. Von einem Einzelfall könne nach ihrer Recherche keineswegs die Rede sein.

Respekt und Ambition

Zur Sprache brachte Bettina Stark-Watzinger an diesem Abend außerdem die Wichtigkeit des 100 Milliarden Euro-Pakets für die Bundeswehr zur Ausrüstungsoptimierung. „Wir wissen, dass Diplomatie nur aus einer Position der Stärke wirkt!“ Nicht länger hinnehmbar sei der fehlende Stellenwert des deutschen Militärs in der Bevölkerung. „Die Bundeswehr ist Teil unserer demokratischen Mitte, sie hat mehr Respekt und Stellenwert verdient!“

Nach Aussage der Bundesministerin für Bildung und Forschung weiß die FDP um die großen Herausforderungen des mit SPD und Bündnis90/Die Grünen ausgehandelten ambitionierten Koalitionsvertrags unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“. Obendrauf kämen die immensen pandemiebedingten Aufgaben – und die Auswirkungen des Krieges mitten in Europa. „Natürlich gehen dadurch auch unsere Wachstumsprognosen runter, während die Inflation steigt!“ Dagegen gebe es „vom Arbeitsmarkt positive Signale.“

Logischerweise könne der Staat nicht alle aus vielerlei Gründen steigenden Mehrbelastungen für die Bürger auffangen. Dennoch brächten die auf den Weg gebrachten zielgerichteten Maßnahmen wie das Paket mit reduziertem Spritpreis, Neun-Euro-Ticket, erhöhte Pendlerpauschale und Wegfall der EEG-Umlage entlastende Unterstützung im Schulterschluss mit der Schuldenbremse.

Zum Kurs der Energiepolitik sagte Bettina Stark-Watzinger, im Mittelpunkt stehe neben der Sicherung des Vorhandenseins und der Bezahlbarkeit und auch die Nachhaltigkeit.

Um künftig unabhängiger zu sein, Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern und „unsere Werte zu bewahren“, müssten sowohl Deutschland als auch die Europäische Union technologisch souveräner werden, sprich, in der Lage sein, Schlüsseltechnologien zu verstehen, zu entwickeln und zu produzieren.

„Wir werden den Wohlstand in unserem Land nicht allein mit erneuerbaren Energien erreichen“, erklärte sie mit Nachdruck. Damit lenkte sie den Blick auf Wasserstoff als erhofft zentralen Baustein beispielsweise in der klimaneutralen Stahlindustrie. Abschließend forderte Bettina Stark-Watzinger: „Wir brauchen mehr Mut und Innovation und haben momentan, wo jeder gezwungen ist, sich neu aufzustellen, die Chance neue Wege zu denken!“

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