Irmgard Böhlig beendet ihre Tätigkeit als Behindertenbeauftragte

Irmgard Böhlig

Foto: Schöller, Stadt Kronberg

Kronberg (pu) – Wenn am kommenden Montag, 20. Dezember die in der Regel jeweils am dritten Montag im Monat angebotene Sprechstunde der städtischen Behindertenbeauftragten Irmgard Böhlig im Stadthaus der Silberdisteln stattfindet (weitere Details dazu siehe Ankündigung in dieser Ausgabe), scheint dies auf den ersten Blick keine außergewöhnliche Nachricht zu sein. Der aktuelle Termin gewinnt jedoch an Bedeutung, weil die gebürtige Berlinerin nach der Vollendung ihres 85. Lebensjahres am 28. November den richtigen Zeitpunkt gekommen sieht, ihre wichtigen Aufgaben als Vertrauensperson und Vermittlerin zwischen Behörden, Ämtern, anderen Einrichtungen sowie den behinderten Bürgerinnen und Bürgern nach 17-jähriger ehrenamtlicher Tätigkeit in andere Hände zu legen. Anlass genug für einen Rückblick auf das außergewöhnliche Engagement einer Macherin, die ihr ganzes Leben ihren Mitmenschen gewidmet hat.

Geänderte Pläne der Liebe wegen

Es war seinerzeit einem von der Schule geforderten Anerkennungsjahr geschuldet, dass ihr Weg mit dem Berufswunsch „Gewerbelehrerin für Hauswirtschaft mit dem Schwerpunkt Krankenpflege, Gesundheits- und Ernährungslehre“ aus dem fernen Berlin in den Taunus – ins Kinderheim Simon – führte. Die ursprünglichen Pläne, nach zwölf Monaten in die Geburtsheimat zurückzukehren, sollte die junge Frau rasch über Bord werfen. Ausschlaggebend war die schon am zweiten Tag nach ihrer Ankunft kennengelernte große Liebe ihres Lebens. Das junge Paar krönte sein Glück durch die Ankündigung des ersten Kindes, Hochzeit und das sukzessive Wachsen der in Mammolshain lebenden Familie zu einem Quintett. Nach 16-jähriger Familienphase beschloss die 37-Jährige zum Arbeitsamt zu gehen, um auszuloten, „was für mich beruflich noch möglich ist.“ Wie das Leben so spielt, während Böhlig auf ihr Beratungsgespräch wartete, legte eine dortige Mitarbeiterin Prospekte mit der Überschrift „Altenpflege, ein neuer sozialer Beruf“ auf einen Tisch. Das geweckte Interesse mündete nach Durchsicht der Unterlagen in den prompten Entschluss „die Ausbildung kannst du eigentlich machen.“ Damit hatte sich das Beratungsgespräch erledigt; sie setzte auf ihren ersten Beruf Hauswirtschaftsleiterin den pflegerischen zweiten drauf und beendete ihre Ausbildung mit dem Staatsexamen.

Ruf des Deutschen Roten Kreuzes

Weitere Erfahrungen sammelte Irmgard Böhlig ein Jahrzehnt lang als Gemeindeschwester in Schwalbach-Limes und Niederhöchstadt, bis 1984 die Bitte des Deutschen Roten Kreuzes an sie herangetragen wurde, die Leitung des Kaiserin-Friedrich-Hauses zu übernehmen. Wiederum ein Schritt mit besonderer Tragweite. Zum einen erlebte sie in der Stadt, in die sie sich früh beim Blick aus dem Kastaniendorf herüber verliebt hatte, „als Wahlkronbergerin eine nie erträumte überwältigende Aufnahme. Mir standen sofort alle Türen offen!“ Voller Dankbarkeit denkt sie beispielsweise an den unvergessenen ersten Heiligen Abend an neuer Wirkungsstätte zurück, „als der Musikverein singend Weihnachten ins gesamte Haus brachte“. Zum anderen wurden bereits zum damaligen Zeitpunkt Weichen gestellt, die bis zum heutigen Tag Bestand haben. Ein markantes Beispiel dafür ist die ebenfalls 1984 vom Thäler-Kerbe-Verein (TKV) übernommene Patenschaft für das Kaiser-Friedrich-Haus (KFH) auf eine Initiative des Thäler Bürgermeisters des Jahres 1979, Georg Briehn, hin. Der wurde dem Gedanken des 1967 gegründeten Vereins Rechnung tragend, eventuelle Überschüsse aus den Einnahmen der Thäler Kerb karitativen und sozialen örtlichen Einrichtungen zukommen zu lassen, bei der neuen KFH-Leiterin mit der Frage vorstellig, ob dort unter Umständen Bedarf für das eine oder andere Mehrwertbringende sei. Ein klares „Ja“ war die Antwort. Gemäß nachfolgendem Beschluss der TKV-Mitglieder ist diese richtungsweisende Entscheidung längst in der Vereinssatzung fest verankert. Ihre Verbundenheit zum Verein und zu Kronberg untermauerte Irmgard Böhlig 1986 als Miss Bembel an der Seite von Thäler Borjermaaster Gerhard Henrich.

Netzwerk

Naturgemäß wuchs im Laufe der Zeit ihr Bekanntheitsgrad in der Burgstadt und daraus resultierend ihr Bekannten- und Freundeskreis. So lernte sie unter anderem auch Ehrenbürgerin Christa Jaenich kennen, die Mitgründerin der Kontaktstelle für ältere Bürger in Oberhöchstadt und eines Spielkreises für behinderte und nicht-behinderte Kinder sowie deren Einsatz für einen Wandel im Umgang mit Behinderten und für Erleichterungen der alltäglichen Schwierigkeiten. Vor diesem Hintergrund wurde Christa Jaenich vom Magistrat der Stadt 1991 in das Ehrenamt der städtischen Behindertenbeauftragten berufen, das sie bis zu ihrem Tod im Juni 2004 innehatte. Während dieser Tätigkeit stand sie in engem Kontakt zu Irmgard Böhlig, bat diese unter anderem, Hausbesuche zu übernehmen.

Zu schade zum Wegwerfen

So war die Nachfolgerin für Christa Jaenich vom Magistrat schnell gefunden. Im Rückblick begründet die 85-Jährige ihre damalige Zustimmung zur Übernahme dieser Aufgaben mit der gewonnenen Erkenntnis, die in fast drei Jahrzehnten gesammelten Erfahrungen im sozialen Beruf seien „zu schade zum Wegwerfen“, nachdem sie 2001 mit 65 Jahren und sieben Monaten in den Ruhestand gegangen war. Darüber hinaus wollte sie „der Stadt, die mich so warmherzig hier aufgenommen hat, etwas zurückgeben“; ihr herzlicher Dank gilt allen, die ihren Weg in vielfältiger Weise begleiteten.

In ihrer typisch pragmatischen und zielstrebigen Art schärfte Irmgard Böhlig das Bewusstsein dahingehend, dass an der bergigen Topografie Kronbergs nicht zu rütteln sei und deshalb eben tragbare Lösungen für den Umgang mit diesen Gegebenheiten gefunden werden müssten. In diesem Zusammenhang hebt sie heraus, ihr Einsatz für die Bewältigung der Probleme von Schwerbehinderten sowie die Wahrnehmung ihrer Rechte sei im Laufe der Jahre durch einen großen Umdenkprozess samt veränderter Gesetzgebung bedeutend einfacher geworden. Im Gegensatz dazu erinnert sie sich an ihre Anfangszeit, als sie Durchhaltevermögen benötigte, bis auf ihre Initiative hin eine Ampelanlage in der Frankfurter Straße mit einem behindertengerechten akustischen Signalton ausgestattet wurde. Zusammenfassend sah sie ihre mit großer Begeisterung ausgeübte Tätigkeit in der Hilfe zur Bewältigung der „Wechselfälle des Lebens“, beim Ausfüllen und der Weiterleitung von Formularen wie Vorsorgevollmachten oder Pflegegeldberechtigung, der begleitenden Beratung beim Suchen des für den jeweiligen Menschen passenden Seniorenwohnheimplatzes, der Tippgebung, wo weiterhelfende Kurse zu Pflege und Demenzbetreuung zu finden sind und vielem mehr. Darüber hinaus übernahm sie eine tragende Rolle im vor über vier Jahrzehnten von Gisela Weigelt und dem Kronberger Frauenring ins Leben gerufenen Montagsclub des Ernst-Winterberg-Hauses und war immer zur Stelle, wenn dort Bewohnerinnen und Bewohner Beistand benötigten.

Dabei hatte sie schon vor dessen Wechsel ins Kronberger Bürgermeisteramt häufig mit Christoph König zu tun, der seit 2009 als Richter für Familienrecht, Betreuungsrecht und Nachlass am Königsteiner Amtsgericht fungierte. „Ich habe Irmgard Böhlig bei der von Sorgfalt geprägten Betreuung ihrer Schützlinge als sehr um das Wohl jedes Einzelnen bedachte Persönlichkeit kennengelernt, die häufig deshalb eine Verbesserung deren Situation erreichen konnte, weil sie sich nie entmutigen ließ, sondern beharrlich blieb“, rückt der Rathauschef in den Vordergrund. Die Stadt Kronberg im Taunus sei ihr „wegen des langjährigen und mit persönlichem Herzblut geleisteten ehrenamtlichen Einsatzes zu großem Dank verpflichtet!“



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