Kronberg im Rennfieber – Frankreich siegt vor Deutschland, zum Ärger des Kaisers

Im „Automuseum Central Garage“ in Bad Homburg ist noch bis Jahresende eine informative Ausstellung über das Rennen vor 120 Jahren zu sehen. Foto: Ried

Kronberg (war) – Der 17. Juni im Jahr 1904 fiel auf einen Freitag. An diesem Werktag vor 120 Jahren war aber in Kronberg kaum an Arbeit zu denken. Der Grund war der „5. Gordon-Bennett-Cup“, bei dem sich damals die besten Autorennfahrer Europas in einem Wettkampf mit ihren Rennboliden maßen. Der Kurs führte quer durch den Taunus und tangierte auch Kronberg. Die Kinder hatten eigens dafür schulfrei erhalten. Über eine Million Zuschauer sollen damals an der Strecke gestanden haben, deren Start an der Saalburg war. Weiter ging es von dort über Usingen, Grävenwiesbach, Weilburg, Limburg, Idstein, Esch, Glashütten, Königstein, Kronberg – direkt entlang der heutigen B 455 an Schloss Friedrichhof vorbei – und Bad Homburg wieder zur Saalburg hinauf. Die reine Rennstrecke ohne die „neutralisierten“ Passagen durch die größeren Ortschaften belief sich auf genau 127,24 Kilometer, die es vier Mal abzufahren oder besser gesagt „abzurasen“ galt, sodass insgesamt gut 500 Kilometer zu bewältigen waren. Der beste Fahrer, der Belgier Léon Théry, brauchte hierfür bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 90 Stundenkilometern 5,5 Stunden.

Staubverhinderung auf Landstraßen

Die Spitzengeschwindigkeit lag bei rund 140 Kilometern pro Stunde auf teils ungeteerten Landstraßen, die zuvor mit dem „Staubverhinderungsmittel Westrumit“, einem wasserlöslichen Ölgemisch, besprüht wurde. So versuchte man, starker und vor allem sehbeeinträchtigender Staubbildung vorzubeugen. Mehr als 1.000 Soldaten und Polizisten bewachten die Strecke, die auf langen Passagen zusätzlich mit einem 1,20 Meter hohen Zaun geschützt war. Die größeren Ortschaften durften nur im Schritttempo passiert werden, wobei ein Radfahrer vor den Rennwagen herfuhr. Auf mehreren extra errichteten Brücken, meist in Nähe der Bahnhöfe, konnten die Zuschauer die Rennstrecke gefahrlos überqueren. Insbesondere die Züge, die von Frankfurt nach Bad Homburg und Kronberg fuhren, sollen gemäß Zeitungsberichten am 17. Juni trotz zusätzlichem Schienenverkehr „übervoll“ gewesen sein. Wer sich es leisten konnte, reiste daher schon vorher an, um vor Ort zu übernachten. Die Hotelpreise waren an diesem Tag vielerorts so stark erhöht worden, dass viele Betten frei blieben. Auf der zentralen, gut 3.000 Zuschauer fassenden Haupttribüne in Form einer römischen Zirkusarena an der Saalburg, deren Baukosten sich geschätzt auf rund 100.000 Goldmark beliefen, konnten Logen für vier bis sechs Personen gebucht werden – für einen stolzen Preis von 50 Mark pro Gast. Dem „kleinen Mann“ blieb nur übrig, sich direkt an die Straße zu stellen. Am Ende war das Rennen für die Ausrichter ein Verlustgeschäft, da die Kosten die Einnahmen bei weitem übertrafen. Für die Autofirmen und die Taunusorte war das Sportereignis hingegen eine gute Werbung. Veranstalter des Autorennens war mit James Gordon Bennett Junior der sehr vermögende Herausgeber der in Paris erscheinenden International-Herald-Tribune-Zeitung. Mit seinem Sponsoring, insbesondere im Sport, warb er damals sehr erfolgreich für seine Druckerzeugnisse. Im Jahr 1899 hatte das erste Rennen von Paris nach Lyon stattgefunden. Die Sportveranstaltung fand laut Statuten danach jeweils in dem Land statt, aus dem der Wagen des Siegers des letzten Rennens kam. 1903 hatte der belgische Rennfahrer Camille Jenatzky, der auch als Konstrukteur von Fahrzeugen mit Elektroantrieb damals sehr bekannt war sowie aufgrund seines verwegenen Fahrstils und roten Barts der „Rote Teufel“ hieß, das vierte Rennen auf einem 60 PS starken Mercedes aus Deutschland in Irland gewonnen. Somit war das Deutsche Reich Austragungsort des fünften Wettbewerbs. Kaiser Wilhelm I. war es zu verdanken, dass die Wahl auf den Taunus mit Bad Homburg fiel. Dort befand sich mit dem Schloss die Sommerresidenz der Kaiserfamilie, welche in der warmen Jahreszeit gerne von Berlin aus in die klimatisch angenehme Kurstadt reiste, um hier für mehrere Wochen zu verweilen. Die nahe gelegene Saalburg war wenige Jahre zuvor auf kaiserlichen Befehl als Römerlager wiederaufgebaut und zu einem beliebten und gut erreichbaren Ausflugsziel für die Kurgäste geworden. Vielleicht dachte sich der Kaiser bei seiner Entscheidung: „Was die Römer vor 2.000 Jahren konnten, das kann ich ebenso gut.“ Fanden früher gewagte Wagenrennen mit Pferden in prunkvollen Arenen, wie dem Kolosseum in Rom, statt, so waren es jetzt Automobile mit weit mehr Pferdestärken unter der Haube auf Taunuswegen. Nebenbei konnte so die Popularität des neuen archäologischen „Themenparks“ gesteigert werden. Die Kontrahenten starteten jedoch nicht direkt gegeneinander wie zur Römerzeit, sondern nacheinander im Siebenminuten-Takt. Als Sieger ging, wie bereits erwähnt, Léon Théry mit seinem aus Frankreich stammenden Boliden der Marke Richard-Brasier hervor. Kaiser Wilhelm I. hatte insgeheim gehofft, dass Jenatzky erneut, wie im Jahr zuvor, auf seinem Mercedes, jetzt sogar mit 90 PS unter der Haube, gewinnen würde. Der rote Teufel wurde dieses Mal jedoch „nur“ Zweiter, da er erst 11 Minuten nach Théry über die Ziellinie brauste. Der Hohenzoller war somit „not amused“ und gratulierte nicht einmal dem Champion persönlich zu seinem Sieg. Verlieren war einfach nicht Wilhelms Sache. Das nächste Rennen wurde folglich im Jahr 1905 in Frankreich in der Auvergne ausgetragen Der Sieger hieß dort erneut Léon Théry auf einem Richard-Brasier. Es war das letzte Gordon-Bennett-Rennen, da es ab dem Jahr 1906 vom Grand-Prix, dem Vorläufer der Formel 1, abgelöst wurde.

Kronberger Geschichtssplitter

Der Gordon-Bennett-Cup im Taunus



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