Kronberg (aks) – Die Lions, die von sich selbst sagen, dass sie politisch neutral sind, planen mit der Stadt Kronberg den „Europa-Dialog“ als Serie, zweimal im Jahr, mit hochkarätigen Speakern. Dahinter stehe die Pflege des politischen Diskurses zu Themen, die uns alle beschäftigten: Europa und Europäische Union, Klima, Flüchtlinge, Wirtschaft etc.
Die Wahl für den Start dieser spannenden Dialogreihe fiel auf Staatssekretär Mark Weinmeister, CDU-Politiker und seit 2014 Staatssekretär für den Bereich Bundes- und Europaangelegenheiten in Hessen. Sein Credo: „Wir müssen die Bürger mitnehmen nach Europa.“ Als Mitglied für das Land Hessen im Ausschuss der Regionen (AdR) der Europäischen Union ist er Europa-Experte und ein schlagfertiger Gesprächspartner für den 2. Vice Governor der Lions, Ulf Grundmann. Der Jurist zeigte sich als scharfsinniger Moderator, dem es gelang, das Thema Europa und das Europäische Recht lebendig zu machen mit seiner Geschichte vom Bäckermeister auf seinem Weg durch die europäischen Institutionen in der Hoffnung, seinen veganen Käse auf den Markt zu bringen. Die Stadthalle war am Donnerstagabend bis auf den letzten Platz besetzt. Das Thema Europa schien auch jüngere Menschen zu interessieren, eine komplette Klasse der AKS hatte Platz genommen und stellte im weiteren Verlauf interessante Fragen. Den festlichen Auftakt zu diesem Dialog spielte die 17 Jahre alte Pianistin Malin Goslar, mit der Europa-Hymne als Klaviertranskription der 9. Symphonie Beethovens.
Leidenschaftlicher Europäer
Die AKS hatte bereits im letzten Jahr das Vergnügen, den Staatssekretär auf einem Podium zum Thema Brexit und Europa zu erleben. Rückblickend haben sich seine schlimmsten Prognosen leider erfüllt. Mark Weinmeister ist ein guter Redner, der klar, authentisch und in deutlichen Bildern spricht. Man fühlt seine Leidenschaft für Europa und die Europäische Union, auch „wenn es noch Einiges zu verbessern gibt.“ „Jeder ist gefragt, niemand kann die Verantwortung abschieben!“ Ansonsten sehe er die Europäische Union in Gefahr, die es „in 50 Jahren dann so nicht mehr gibt!“ Der europäische Gedanke stehe für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, für Frieden, Sicherheit und Freiheit und für Liberalität. Doch es sei nicht sicher, welche Gesellschaftsform sich in Zukunft durchsetzen werde. „Ich mache mir Sorgen!” gibt er ehrlich zu.
Viele europäische Länder schauten nach Deutschland und wunderten sich über deutsche Tatenlosigkeit: „Wenn Ihr nicht vorneweg geht, schaffen wir es nie“, das sei die Meinung vieler kleinerer Staaten. Den Deutschen und der deutschen Politik sei ihre Vormachtstellung oft nicht klar: „Wir sind eine Großmacht und wollen es nicht sein.“ Und: „Mit Ländern, in denen Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten wird, sind wir viel zu nachsichtig, auch das macht mir Sorgen.“ Deshalb hält er eine gemeinsame europäische Außenpolitik mit einer starken Außenwirkung für wichtig. „Wir müssen miteinander sprechen und zueinander stehen, um Europa stark zu machen und ein Gewicht in der Welt, insbesondere neben den USA und China, zu schaffen.“
Reformen als Mehrheitsentscheidung
Deutschland und Frankreich seien, nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs, die zwei größten Staaten der Europäischen Union und hätten deshalb Vorbildcharakter. Da funktioniere der Dialog ganz gut. Schwierig werde es, wenn alle 27 Staaten der EU bei jeder Reform zu einer Mehrheitsentscheidung finden müssten. Kein Kinderspiel, das wird schnell klar. Manchmal sei es schwierig, Kompromisse zu finden und zu einer einheitlichen Entscheidung zu kommen. Das habe jeder schon mal selbst erlebt ganz privat in der Familie und im Freundeskreis. Wichtig sei es, immer wieder auf das Verbindende hinzuweisen, nicht auf das Trennende. Seit 70 Jahren lebten die Menschen in Europa in Frieden und Freiheit, in Rechtsstaaten, wo Menschenrechte und Meinungsfreiheit respektiert würden. Das sei keine Selbstverständlichkeit. 80 Prozent der Menschen auf dieser Erde würden in Diktaturen unterdrückt.
Nationale Differenzen
Er höre immer wieder den Satz „Europa kann mit uns machen, was es will!.“ Das führe zu Unmut und Politikverdrossenheit und schließlich zu nationaler Abschottung: „Das ist vollkommen falsch.“ Viele Bürger*innen empfänden die EU als „Bürokratiemonster,“ dabei würden in Brüssel Regularien beschlossen, denen alle Mitgliedstaaten mit ihren Volksvertretern zustimmen müssten. Das koste zwar Zeit, gebe aber auf Dauer Planungssicherheit. „Ich darf das“, das sei gut zu wissen. Auf Nachfrage aus dem Publikum gestand er, dass die Umsetzung im Bereich Digitalisierung in Deutschland zu langsam voranginge. Der Unterschied zu den USA sei, dass dort privates Geld von Investoren schneller Fortschritte bringe als Geld vom Staat in Europa. Das sei eine wesentliche kulturelle Differenz – um nicht zu sagen Diskrepanz…
Ausblick
Reden kann Weinmeister, und sein Monolog am Schluss fasste den angeregten Dialog, der auch die anwesenden jungen Menschen einbezog, knackig in der Forderung zusammen: „Mehr Einsatz für Europa.“.
Um gute Lösungen zu finden – oft genug laufe es auf gute Kompromisse hinaus – helfe nur der Dialog: „Menschen müssen miteinander reden.” Das bedeutet „Dialog“: Durch das Wort! Verlierer sei nicht automatisch der, der sich nicht durchsetzt, sondern Gewinner seien alle die, die miteinander ins Gespräch kommen und sich am Ende verstehen und auf eine Lösung verständigen könnten.
Mark Weinmeister überzeugte als engagierter Europäer und als respektvoller Dialogpartner, das steckte an. Seine Rede war frei und durchaus emotional, außer klaren Worten brauchte er keine rhetorischen Spitzfindigkeiten – so gewann er schnell das Vertrauen des Publikums in der Stadthalle, das seine Botschaft in weiteren Dialogen in die Welt tragen kann.
Das allerletzte Wort hatte die Musik mit dem ersten Satz aus Michael Tippetts 1. Sonate, die, meisterhaft gespielt von Malin Goslar, ganz unterschiedliche Stimmungslagen in wunderbar perlende Musik übertrug. Die Pianistin wurde kürzlich mit ihrer Interpretation des Stücks im Bundeswettbewerb mit einem Sonderpreis für die „beste Interpretation eines Werks der Klassischen Moderne“ ausgezeichnet. Harmonien und Disharmonien sind das Wesen der Musik, an denen Künstler und Zuhörer wachsen können – wie im richtigen Leben – was für ein Glück!