Obstwiesen sind keine Einladung zur Selbstbedienung

Geschätzte 60 Prozent der diesjährigen Ernte liegt unter den Bäumen. Trockenheit und Schädlingsbefall zählen zu den Ursachen. Foto: H. Fischer

Kronberg (hmz) – In diesem Jahr wird eine gute Apfelernte erwartet, zumindest wenn es nach den vorläufigen Ertragsschätzungen des Bundesamtes für Ernährung und Landwirtschaft geht. Im statistischen Vergleich mag das für viele Regionen zutreffen, in dem traditionsreichen Obstbaugebiet Kronberg hingegen „liegt die Ernte der lagerfähigen oder der weiter verwertbaren Äpfel bei gerade einmal 20 Prozent“, vermutet der langjährige Vorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins, Heiko Fischer. In der Regel ist die Apfelernte Ende Oktober abgeschlossen, erst dann liegen konkrete Zahlen vor. Die Gründe für diese massiven Verluste würden bereits in das Frühjahr zurückreichen. „Die Apfelblüte war zwar vielversprechend, aber es gab einige kühle Tage, an denen der Bienenflug schwächer war als sonst“, erklärt Heiko Fischer. Ein zusätzliches Dilemma sei der Apfelwickler, eine besonders gefräßige Falterart. Die Weibchen dieser Spezies legen ihre Eier im Apfelbaum an den jungen Früchten ab. Nach circa zwei Wochen schlüpfen die Raupen der Schädlinge. Sie bohren sich in die Äpfel und mästen sich drei bis vier Wochen lang mit dem Fruchtfleisch und den Kernen. Daraufhin verlassen sie die Frucht wieder, kriechen in Richtung Baumstamm und verpuppen sich dort in den Rindenspalten. „Die Lösung dieses Problems gestaltet sich schwierig, weil wir die Früchte biologisch reifen lassen wollen“, so Fischer. „Der drastische Wassermangel, bereits im letzten Jahr hat es einen Nachholbedarf zwischen 1.000 und 1.200 Litern pro Quadratmeter gegeben, hat die Erntesituation nochmals verschärft.“

Apfel „Sonnenbrand“

Als wäre das noch nicht schlimm genug: Durch die Hitze und pralle Sonne hätten sich die Äpfel derartig aufgeheizt, dass sich die Apfelhaut braun verfärbe und unansehnlich werde, unter Fachleuten wird von einem „Sonnenbrand“ gesprochen. „Die Qualität der Äpfel ist so schlecht, dass in diesem Jahr sogar der Obstdiebstahl nachgelassen hat, allerdings wird sich immer noch reichlich bedient“, so Fischer. Entsprechende Schilder mit Hinweisen auf das Privateigentum würden regelmäßig ignoriert. „Vor kurzem haben wir einen Mann beobachtet, der mit einer Stange gegen die Äste geklopft hat, obwohl die Früchte noch ganz unreif waren.“ In diesem Zusammenhang weist Fischer darauf hin, dass auch die Apfellese unter den Bäumen verboten ist. Auch diese Äpfel gehören den Pächtern oder Eigentümern. „Das Fallobst unter den Bäumen bedeutet nicht, dass die Äpfel bereits reif sind. Durch die lang anhaltende Trockenheit und extreme Hitze können die Bäume die unreifen Früchte nicht mehr mit Nährstoffen versorgen und werfen sie ab“, so Fischer. So sei es auch zu erklären, warum – eben auch aufgrund der vorgenannten Gründe – geschätzte 60 Prozent der Ernte unter den Bäumen liegen würde. Verwertbar seien diese Äpfel nicht mehr, weil sie unreif sind.

Das „Stöffche“ reicht

Die Liebhaber des „Äpplers“ werden auf das „Stöffche“ in gewohnter Qualität jedoch nicht verzichten müssen. Durch die vielen Einschränkungen in der zweijährigen Pandemiezeit sind die Lagerbestände aus 2021 vorhanden, damit kann der Ernteausfall abgefedert werden. Der lokale Direktvermarkter und Familienbetrieb Herberth hat sich auf diese Herausforderung eingestellt und ist vorbereitet. „Wir werden im Mittel eine unterdurchschnittliche Apfelernte in der Region haben. Wenn das Obst aus der Region nicht reicht, dann haben wir Lieferanten aus den Nachbarregionen, die uns mit Kelterobst versorgen“, so Georg Peter Herberth. Die Zulieferer sind in der Regel seit Jahrzehnten die Obstbesitzer aus der Region. „Die Apfelbäume stehen seit 2018 mehr oder weniger im Dauer-Trockenstress. Durch diesen Druck werden wir immer wieder Einbußen in den Apfelernten haben. Wir müssen auch in den nächsten Jahren neue Bäume anpflanzen, die besser mit der Trockenheit zurechtkommen. Es wurde von Anbauern auch schon über künstliche Bewässerung nachgedacht“, ergänzt Herberth. Auch wenn es im diesjährigen Frühjahr nach dem letztjährigen Alternanzjahr – so wird das Abwechseln von Apfelertrag (Fortpflanzung) und Holz (Wachstum) genannt – einen guten Fruchtansatz gegeben habe, das Wasser fehle und der Regen komme vermutlich zu spät. Der Verbraucher wird sich auch beim „Stöffche“ auf steigende Preise einstellen müssen: „Wir haben diese immer sehr moderat angepasst, in diesem Jahr müssen wir die steigenden Energiekosten mit einkalkulieren“, so Herberth, „aber mit Augenmaß.“ Der Betrieb starte am 17. September mit der Apfelannahme, die geplante Hauptsaison gehe dann bis zum 8. Oktober. Wer Erntehilfe benötige, könne sich direkt unter info[at]herberth[dot]de anmelden.

Keine Förderung

Der Kronberger Obstbauer Dieter Krieger hat eine interessante Familiengeschichte. Einer seiner Vorfahren, Bürgermeister Bleichenbach, war ein Zeitgenosse von Johann Ludwig Christ. Der im Jahr 1786 als Oberpfarrer in Kronberg eingesetzte Christ sollte sich bald einen in der Fachwelt geschätzten Namen als Pomologe, Bienenzüchter und Landwirt machen. Er ist als „Apfelpfarrer“ von Kronberg in die städtischen Annalen eingegangen, weil er den Obstanbau gefördert hat, der heute noch einen großen Anteil der heimischen Kulturlandschaft ausmacht. Dieter Krieger hat das Erbe der Streuobstwiesen mit einem alten, wertvollen Apfel- Hochstammbestand angetreten. Tafeläpfel und Kelteräpfel liefert er seit vielen Jahren an Kleinbetriebe in der Umgebung. Der Apfelmarkt ohne seinen Stand ist nur schwer vorstellbar. Dem alten Baumbestand macht die Trockenheit schwer zu schaffen. Die Bäume sterben ab. „Aufgrund der vielen Bäume auf meinen Wiesen falle ich aus dem Förderprogramm für Streuobst des Landes Hessen raus. Ich darf aber auch keinen Baum fällen, weil sie unter Naturschutz stehen. Das heißt, ich trage sämtliche Kosten für Wasser und Pflege selbst.“ Der Baumbestand darf für die Förderung 100 Bäume je Hektar nicht überschreiten. Wer diese Voraussetzung erfüllt, kann in Hessen für die Nachpflanzung von Bäumen zusätzlich einen Zuschuss in Höhe von 55 Euro je Baum beantragen. Weil Dieter Krieger kein Geld aus dem Fördertopf erhält, „rechnen sich auch Neuanpflanzungen nicht für mich. Auch diese Kosten muss ich selbst tragen.“ Für Tafeläpfel möge das noch angehen, für die Kelterei lohne das nicht mehr. „Wir werden Mühe haben, für unseren eigenen Betrieb noch genügend Äpfel ernten zu können.“

Das sind düstere Prognosen für die hiesige Region. In vielen Ländern gibt es um die Weihnachtszeit herum den Brauch, Äpfel aufzuschneiden und daraus die Zukunft zu deuten. Der Apfel als Klima-Orakel? Dann doch lieber als erfrischendes Getränk.



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