Ein „Sommernachtstraum“ – Alptraum mit Happy End

Die Multitalente der TNT Theatre Britain brillierten mit ihrer Schauspiel-, Gesangs- und Tanzkunst in Shakespeares „Sommernachtstraum“ – mal ganz anders. Foto: Sura

Kronberg (aks) – Die Oberburg der Burg Kronberg stand schon 400 Jahrhunderte als Shakespeare seinen „Sommernachtstraum“ um 1605 in seiner Heimat England aufführte.

Shakespeares wild verschlungene Parallelwelten in Burgen und Wäldern mit Herzog und Adligen, Dienern, Elfen, Nymphen und Faune, die im Wald ihr Unwesen treiben, versprachen großes Theater im Wappensaal.

Die junge Truppe des TNT Theatre Britain unter der Regie von Paul Stebbings und mit der Musik von Paul Flush gab alles und brillierte nicht nur mit großer Schauspiel- und Rezitierkunst. Die britischen Schauspieler deklamierten die Texte in schönstem Shakespeare-Englisch deutlich und klar, die Worte dennoch so ungewohnt, dass man als Zuschauer die Ohren spitzen musste. Sie begleiteten sich selbst mit anspruchsvollen Gesängen in elfenhaften Höhen, aber auch mit teils ohrenbetäubender Lautstärke und tanzten graziös entrückt – oder je nach Gewicht beängstigend ungeschlacht.

Die drei Damen der Company spielten sogar meisterhaft die Geige – es war wie ein sinnlicher Rausch für alle Sinne. Die insgesamt sechs Schauspieler Dan Wilder, Aimee Hislop, Kyle Taylor, Jessica Atkins und Sam Wright sowie die zauberhafte Rachel Middle, die auch Opernsängerin ist, schwebten und trampelten über die Bühne, immer in rasant wechselnden Rollen – insgesamt 17(!) –, dass es spannend bis zum Ende blieb. Die fantasievollen Verkleidungen (Kostümdesign Julianne Kasprzik) glichen bunten Fetzen, die die Akteure übermütig trugen und die gut zum improvisierten Bühnenbild passten. Shakespeare hätte an diesem deftigen „Horseplay“ ohne Rücksicht auf feine Ohren und allzu sensible Gemüter seine handfeste Freude gehabt – ein Riesenspaß mit viel Witz und expressiver Darstellungskunst. Nichts und niemand wurde geschont – auch nicht das Publikum. Jedes Mal, wenn der Zwei-Meter-Mann Sam Wright mit seinen 120 Kilo auf die Bühne holperte, war man versucht, sich die Ohren zuzuhalten, so laut konnte er brüllen und toben, und auch für eine Balletteinlage war er sich nicht zu schade... „Hilarious“, wie die Engländer sagen würden zum Totlachen!

Auf Liebe und Tod

Auf der spärlichen Bühne, die wie zu Shakespeares Zeiten vor 400 Jahren nur aus wenigen Utensilien (zwei Kisten und einer hohen Wand) besteht (Set Design Martin Käser), startet das Damen-Trio gleich durch mit Mord und Totschlag. Mit scharfen Säbeln bewaffnet jagen sie einen Soldaten und enthaupten ihn. Frauenpower vom Grausamsten! Aber da erscheint schon der Herzog von Athen Theseus (Dan Wilder) und nimmt sich galant die Anführerin Hippolytha (Aimee Bishop) zur Frau mit Ring und ohne Schwert, die auch gleich ja sagt. Die Hochzeit soll in vier Tagen und Nächten pünktlich zum Neumond gefeiert werden. Bis dahin soll auch die edle Dame Hermia (grandios Jessica Atkins!) mit Demetrius (Sam Wright) verheiratet werden, die das aber voller Ekel ablehnt. Die großartige Schauspielerin Aktins macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube – sie röchelt und zieht Grimassen beim Anblick des nicht von ihr, sondern von ihrem Vater Auserwählten. Sie liebt Lysander (Kyle Taylor), Punkt. Da weder Tod noch ewige Jungfernschaft eine Alternative für Hermia sind, planen die beiden ihre Flucht aus Athen. Helena, die bei Shakespeare gar nicht schön ist, begehrt wiederum Demetrius, der diese meidet wie die Pest und schlechter als einen Hund behandelt, was sie ganz gut findet. Soweit die erste Verwirrung.

Zauberhafte Waldwesen?

Cut! In einer paradiesisch anmutenden Szenerie bewegen sich traumartig zauberhaft Titania (auch Aimee Hislop), die sich als begnadete Tänzerin entpuppt, umgeben von ihren Elfen, Nymphen und Feen, unter der Regentschaft Oberons, der mit allerlei Liebestränken von wilden Blumen („love juice“) die Menschheit vor der Lieblosigkeit retten will. Sein Diener Puck bringt dann allerdings alles durcheinander: der Trank wirkt, doch die Falschen verlieben sich ineinander („...a false love turned true“). Oberon wird es am Ende richten und so fallen sich die echten und richtigen Liebenden in die Arme – „I have had a dream“.

Ein Alptraum mit „happy end“ in dem mit scharfen Waffen gekämpft wird, in dem die List der Frauen die Welt regiert und die Natur es mit ihren Säften richten soll, wenn die Menschen blind vor Liebe – oder vor Hass – sind. Shakespeare hält uns auch 400 Jahre später noch den Spiegel vor: Wie gern leben wir in Traumwelten, die sich manchmal als Alpträume entpuppen, und wie bequem ist das Warten auf das Schicksal in Form eines Liebeskrauts („Cupid is a lavish lad“), das uns die Gunst der anderen garantiert, statt mutig und entschlossen unser Leben selbst in die Hand zu nehmen – aber träumen ist halt so schön! „That way goes the game!“

Puck schickt alle zu Bett: „It’s fairy time – good night!...Meet me all by break of day!“

Der Applaus war verdient überschwenglich. Schüler, Lehrer, junge und alte Shakespeare-Fans von nah und fern erlebten einen handfesten „Sommernachtstraum“, der sogar Realisten verzauberte. Auch Francesca, die 12-jährige Schülerin aus New York City, hatte ihren Spaß und fand es „mal was ganz anderes!“



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