Spannende Lebensbilder von vier Frauen der Schreibwerkstatt

V.l.n.r.: Dirk Sackis und die vier von der Schreibwerkstatt: Dr. Andrea Diehl, Susann von Winning, Sibyl Jaekel und Elke Wennekamp Foto: Sura

Kronberg (mw) – Dirk Sackis, Inhaber der Bücherstube, war begeistert über die vielen Gäste, die zur Lesung der vier Autorinnen der Schreibwerkstatt der vhs Oberursel im malerischen Dingeldein-Hof Platz nahmen. „Mehr Publikum als bei Stephan Thome, dem Philosophen und Erfolgsautor!“, stellte Sackis vergnügt fest. Geballte Frauenpower mit vier Taunus-Autorinnen und ihren autobiographischen Erzählungen, das ist halt nur schwer zu toppen! In Corona-Zeiten setzten sich die vier Damen der Schreibwerkstatt der vhs Oberursel, Dr. Andrea Diehl, Sibyl Jaekel, Elke Wennekamp und Susann von Winning, zusammen und gaben ihrem Erzählband den Namen „Freitags von Zehn bis Zwölf –Lebensbilder“, da sie sich immer freitags um diese Zeit zum Schreiben treffen.

Den Anfang macht Andrea Diehl mit einem alten Schwarzweiß-Foto ihrer „lebenslustigen“ Eltern in Sölden im Winter 1944. Es herrscht Krieg und Elend, dennoch strahlt das junge Paar in vertauschten Rollen: Sie in der Uniform ihres Mannes mit Sonnenbrille, er mit Lippenstift, im Pelzmantel mit schwarzen Strümpfen und Schuhen. Waren sie wirklich so locker drauf, wie es das Foto vermuten lässt? War es für diese jungen Leute auch damals trotz allem eine schöne Welt, schließlich führte der Vater einen Überlebenskampf in Rumänien und seine Frau fürchtete sich im Luftschutzkeller zu Tode? Das sind Fragen, die die Autorin beschäftigen. Mit dem Schreiben versucht sie, Antworten zu finden, ihre Eltern zu verstehen, ihre eigene Kindheit und Jugend zu begreifen. 1949 reichte ihre junge Mutter die Scheidung ein: „Vom Übermut blieb nur der Mut“, was den Vater aber nicht abhielt, sie ein paar Jahre später zurückzuerobern und ein zweites Mal zu heiraten. 1953 kam die Autorin auf die Welt, zur Zeit des Wirtschaftswunders, als sich ihre Eltern dank „der Firma“ die verlorene Jugend zurückholten: Sie führten ein Leben in Saus und Braus mit Skiurlauben in St. Anton und schicken Autos, darunter ein roter Porsche, ein Gogo-Mobil und ein Karmann Ghia. Wenn Diehl an ihre Kindheit denkt, sieht sie ihre Mutter „in Chanel – und nach Parfüm duftend“. Die Lebenslust der Eltern gipfelte in einer Weltreise, während die Tochter ins Internat ging. Mit 44 Jahren stürzte ihr Vater, ein erfahrener Pilot, in Norwegen ab. Auf ein intensives Leben folgte ein jäher Tod. Ihre Mutter hat sie trotz aller Lebenswidrigkeiten als fröhliche und sportliche Frau in Erinnerung, die sie als Tochter immer ermutigte, ihre eigenen Erfahrungen zu machen und die Welt zu entdecken. Dieses bildreiche, respektvolle und liebevolle Porträt ihrer Mutter berührte die Anwesenden sehr, viele fühlten sich an die eigene Vergangenheit erinnert.

Im Anschluss erzählt Sibyl Jaekel von ihrer Erfahrung als „Expat“ in China aus der Sicht ihrer „Expat-Hündin“ Luna. Dem Hund gefällt vor allem, dass die chinesischen Einwohner, deren Sprache niemand im Haus versteht, allergrößten Respekt vor dem „großen Hund“ haben. Der Blick auf die Welt des Border Collie ist stellenweise urkomisch. Seine neue Reisebox, die er zunächst argwöhnisch beschnüffelt, wird für ihn, nach der gefühlt ewig langen Flugreise, zu einem sicheren Hort, solange „sein Rudel“ in der Nähe ist. Gerüche beim Gassigehen sind auf einmal so ganz anders, so „modrig, süßlich“ und insgesamt ist es „unheimlich heiß“. Das erinnert an Paul Austers genialen Roman „Timbuktu“, in dem ein Hund seine Sicht auf die Menschen und die Welt ausplaudert.

Elke Wennekamp ist vom Bodensee nach Oberursel gezogen und will mit ihrer Geschichte „Müttern Mut machen“. Das hört sich erstmal dramatisch an: „Die Baby-Idylle war falsch! Kein Feierabend, kein Wochenende, keinen Urlaub, …und viel Adrenalin!“ Aber heute habe sie es geschafft, heute sei sie „wieder Joggerin“: „immer weiter, nur nicht anhalten!“. Der Lohn der schlaflosen Nächte sei das Kinderlachen: „Kinder lachen mehr als 100 Mal am Tag, Erwachsene nur 20 Mal. In ihrem Leben als Mutter hat sie mit ihren Kindern definitiv viel gelacht – das klingt doch nach einer schönen Inspiration fürs Kinderkriegen und dem allerschönsten Trost für jeden Babyblues.

Susann von Winning, die bereits über ihren Aufenthalt in Saudi-Arabien ein Buch geschrieben hat, macht ihre Biografie an den Autos in ihrer Familie fest. Der Vater arbeitete bei den „Fordwerken“, „eine amerikanische erfolgreiche Firma“ und so fuhren nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter immer die neusten Modelle: 1968 fuhr die Familie mit dem „17M todschick“ nach Dänemark in den Urlaub. 1974 war das Familienauto dann ein Ford Capri, ein frühes „Crossover von Sportwagen und Familienauto“. Das entsprach dem Zeitgeist der BRD: das Auto als Symbol für den neuen Wohlstand und als Ausdruck von Aufbruch und Freiheit. Die Tischgespräche der Familie drehten sich vor allem um Autos! Nach dem Motto „Auto, Auto über alles!“ waren bei Groß und Klein alle Auto-Modelle bekannt. Zu jeder Lebensphase passte auch das entsprechende Auto, wie 2004 das Golf Cabrio, das sogenannte „Erdbeer-Körbchen“ – „nur für mich“. So erinnert sich die Autorin an „die satte Lebensfreude beim Fahren“ in ihrem mitternachtsblauen Auto, das sie nach 16 Jahren verkaufte. Heute gelte es, an den Schutz der Umwelt zu denken, damit diese Welt auch noch für ihre Enkel lebenswert sei. „Umparken im Kopf“, das sei der richtige Slogan für die Zukunft. Ihre sehr persönliche Mahnung verdiente einen kräftigen Applaus!

Vier spannende Lebensbilder von vier Frauen amüsierten nicht nur mit lebendigen Anekdoten und entführten die Zuschauer in vergangene Welten, die viele Erinnerungen wachriefen, sondern regten auch dazu an, über die eigene Biografie nachzudenken. Die Familiengeschichte vor dem Vergessen retten, indem man sie für die eigenen Kinder und Enkelkinder aufschreibt, klingt nach einer großartigen Idee. Vielleicht wird ja ein Bestseller draus! Wer das nicht einsam am Schreibtisch tun möchte, kann Unterstützung finden, immer freitags von 10 bis 12 Uhr bei der vhs Schreibwerkstatt in Oberursel.



X