Trotz Tod und Teufel: „Ich steh’ hier und singe“ – Mutmacher-Chorkonzert

Bernhard Zosel hatte ein anspruchsvolles Programm gemeinsam mit seinen Sängerinnen und Sängern erarbeitet, die fast ohne musikalische Begleitung ihre Sangeskunst in den Mittelpunkt stellten und die fast zweistündige Totenklage mit Bravour bestanden. Foto: Sura

Kronberg (aks) – Dass ein „Totentanz“ so viele Menschen bei Nacht und Nebel nach St. Johann lockt, damit hatte wahrscheinlich weder Pfarrer Hackel noch Kantor Bernhard Zosel am Sonntag gerechnet. Ob es an der Bach-Motette „Jesu meine Freude“ lag, dass die Kirchenbänke doch fast voll besetzt waren? Diese geistliche Motette für fünfstimmig gemischten Chor von Johann Sebastian Bach gehört zu den schönsten Werken der Kirchenmusik. Die Freude ist ansteckend, auch in düsteren Zeiten. Wenn es den Menschen gelingt, sich von weltlichen Dingen loszusagen und dem Geist Jesu zuzuwenden, der über alle Traurigkeit triumphiert, so lautet die Botschaft. Motetten sind wie spirituelle Achtsamkeitsübungen, die den Geist beruhigen. Heute würden wir von einer Bewusstseinserweiterung sprechen, einer Meditation. Alle Motetten waren eine musikalische Herausforderung für den Kammerchor St. Johann vocal, der die anspruchsvollen Kompositionen unter der Leitung von Kantor Bernhard Zosel meisterte. Sehr fein erklangen die Sopranstimmen in höchsten Tönen und schwebten glänzend durch den Kirchenraum mit der hölzernen Decke. In Bachs Motette wird „trotz“ besonders betont, mit einer deutlichen Zäsur im Gesang – ein Innehalten, dem Zosel den nötigen Raum gab. Trotz aller Sorgen und Plagen hier auf Erden, trotz des „Todes Rachen und der Furcht dazu“ – „steh’ ich hier und singe“. Welch ergreifendes Bild. Der Mensch steht einfach da und singt, in all seiner Unschuld und in all seiner Verletzbarkeit. Kein Instrument ist ihm zur Seite, das ihn stärkt und bestärkt. So klingt Kirchengesang in Reinform.

Mit dem Tod ist nicht zu spaßen und er lässt nicht mit sich handeln: „Wir müssen alle davon: gelehrt, reich, jung oder schön“, heißt es bei Johann Bach, einen Onkel des berühmten Johann Sebastian. Das Leben im Angesicht des Todes fordert uns auf, ohne Sünde, tugendhaft und christlich zu handeln. Uns alle! Ewiges Leben ist nicht verhandelbar, es ist nicht käuflich und auch nicht zu erflehen. Nach den Motetten spielte Andreas Karthäuser, langjähriger Organist an der historischen Raßmann-Orgel der Thalkirche in Wiesbaden, Max Regers Präludium und Toccata auf der Orgel. Während die Königin der Instrumente noch nachhallte, folgte Hugo Distlers Totentanz, komponiert für den Totensonntag 1934, mit Spruchversen von Angelus Silesius in einer Nachdichtung von Johannes Klöcking. Lothar Breidenstein, lange Jahre evangelischer Pfarrer in Falkenstein, heute im Rheingau tätig, sprach die Dialoge, in denen der Tod sein Gegenüber zum Tanz bittet, der selbstverständlich tödlich endet. Eine Herausforderung zum Tanz? In der „Danse macabre“ wird der Tod seit dem 15. Jahrhundert, als die Pest mehr als die Hälfte der Menschheit dahinraffte, als tanzendes Skelett dargestellt, dem sich niemand verweigern kann.

Da wird gebettelt und gefleht, wenn es ans Sterben geht. Breidenstein ist dabei so deutlich und düster, dass einem schon ein wenig mulmig wird. Der Tod führt den Reigen an, dem jeder folgen muss, einen Korb akzeptiert er nicht. Alle sind gleich und müssen sich und ihr Leben vor Gott verantworten. Der Kaiser ebenso wie der Bischof, der Arzt, der Kaufmann und die Jungfrau, sie alle müssen sich die Frage stellen „Was gut und Böses du getan“ – nur das Kind in der Wiege darf auf Gnade hoffen: „Die Seele, welche hier noch kleiner ist als klein wird im Himmelreich der schönste Engel sein“ – alle anderen müssen vor dem jüngsten Gericht zittern, das sie in den Himmel oder in die Hölle schickt – die ist in St. Johann übrigens rechts über dem Altar mit vielen Teufeln in grellen Farben...

Bernhard Zosel hatte ein anspruchsvolles Programm gemeinsam mit seinen Sängerinnen und Sängern erarbeitet, die fast ohne musikalische Begleitung – und ohne größere Pausen – ihre Sangeskunst in den Mittelpunkt stellten und die fast zweistündige Totenklage mit Bravour bestanden. Es war eine Einladung zu innerer Einkehr und die Aufforderung, sein Leben zu leben, möglichst als guter Mensch. Nicht nur die Bibeltexte machten Mut, auch die wunderschön vertonte Lyrik von Matthias Claudius ging zu Herzen, die uns schlicht und eindringlich ermahnt, dass wir nur bei Gott geborgen sind: „Der Mensch lebet und bestehet nur eine kleine Zeit. Und alle Welt vergehet mit ihrer Herrlichkeit. Es ist nur einer ewig und an allen Enden. Und wir in seinen Händen.“

Gott entscheidet, wann es genug ist, sonst keiner. Der Tod ist nur sein Erfüllungsgehilfe, der dem Leben durch seine Begrenzung Sinn gibt. Ewiges Leben wäre doch eine zu große Qual. Angesichts dieser Endlichkeit ist es in jedem Fall besser, zu leben, als ängstlich zu erstarren und passiv zu verharren. Die Aufführung in St. Johann war auch ein Appell für mehr Lebensmut – trotzdem.



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