Überwältigende Klangerlebnisse beim Eröffnungskonzert

Antoine Tamestit erwies sich als Solist beim Eröffnungskonzert mit dem Chamber Orchestra of Europe nicht nur als virtuoser Bratschist, sondern auch als genialer Arrangeur, der Musik von John Dowland aus dem 16. Jahrhundert mit einem Werk von Benjamin Britten aus dem 20. Jahrhundert verband. Foto: P. Truchsess

Kronberg (pf) – „Haydns Londoner Sinfonie kann ich eigentlich mitsingen, so oft habe ich sie schon im Konzert erlebt, aber so wie heute habe ich sie noch nie gehört!“ Mit leuchtenden Augen und ganz erfüllt von diesem Erlebnis erhob sich am Samstag, als der letzte Ton verklungen war, eine Konzertbesucherin von ihrem Sitz und applaudierte begeistert dem Chamber Orchestra of Europe und seinem Dirigenten Sir András Schiff. Zum ersten Mal konnten sich die Freunde der Kronberg Academy, für die das Eröffnungskonzert reserviert war, mit eigenen Ohren von der herausragenden Akustik im großen Saal des Casals Forums überzeugen, die von Musikerinnen und Musikern des Orchesters bereits nach ihren ersten Proben überschwänglich gelobt worden war.

„Englische Eröffnung – Das Spiel beginnt“ war das Konzert überschrieben. Es begann jedoch mit Johann Sebastian Bach und seinem d-Moll-Konzert für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo, Bachwerkeverzeichnis 1043. Denn wenn mit Bachs Musik für viele Musiker der Tag beginnt, sollte dies auch für das Casals Forum gelten. Solisten in diesem vielschichtigen Werk, in dem die beiden Violinen ebenbürtige Partner sind, sich im harmonisch-freundlichen Dialog umspielen, mal in einem innigen Zwiegespräch wie im Largo, dann im stürmischen Schlusssatz fast in einem sportlich-tänzerischen Wettspiel, waren Irène Duval und Seiji Okamoto. Beide sind der Kronberg Academy eng verbunden. Irène Duval absolvierte von 2014 bis 2017 hier ihre Professional Studies, Seiji Okamoto wird seit 2019 in diesem Ausbildungsgang unterrichtet. Auch Antoine Tamestit, heute international gefeierter Bratschist und Solist des folgenden Werks, ist seit zwanzig Jahren regelmäßig bei der Kronberg Academy zu Gast, anfangs als lernender Junior bei Chamber Music Connects the World, heute als Lehrender. Er überraschte das Publikum mit seinem ungewöhnlichen Arrangement, in dem er die beiden Lieder „Flow my tears“ und „If my complaints could passions move“ des im 16. Jahrhundert geborenen Lautenisten und Komponisten John Dowland mit Benjamin Brittens 1950 entstandenen Bratschen-Werk „Lachrymae“ auf beeindruckende Weise miteinander kombinierte und verband.

Den Abschluss des Eröffnungskonzerts bildete dann Joseph Haydns Sinfonie Nr. 104 D-Dur, die sogenannte „Londoner“, die letzte Sinfonie des sein Leben lang unermüdlich schaffenden Musikgenies, die er 1795 während seiner zweiten Londoner Reise komponierte. Sie brachte ihm bei ihrer Uraufführung nicht nur begeisterte Kritiken, sondern auch viertausend Gulden ein. „So etwas kann man nur in England machen“, schrieb er damals in sein Notizbuch.

Was das Publikum der Aufführung am Samstag so begeisterte, dass es sich mit langanhaltenden Standing Ovations bei allen Ausführenden bedankte, war die fantastische Bandbreite der in dieser Durchsichtigkeit und Klarheit noch nie erlebten Musik, von den zartesten Geigen- und warm leuchtenden Fagotttönen bis zur überwältigenden Klangfülle des gesamten Orchesters, das unter dem einfühlsamen Dirigat von Sir András Schiff wieder einmal sein herausragendes Können bewies. Es war ein Konzerterlebnis und ein musikalischer Genuss, der Lust macht auf viele weitere Konzerte im auch die Augen verwöhnenden Casals Forum.



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