Unbändige Spielfreude mit dem „Best of“-Kabarettisten

Das Duo Ali Neander und Sabine Fischmann mit Luftgitarre Foto: Sura

Kronberg (aks) – Das Kronberger Kino war am Abend des 22. Juli ausverkauft – mit 61 Zuschauern und vielen leeren Plätzen dazwischen. So will es die Corona-Regel. Organisatorin und Geschäftsführerin des Kronberger Kulturkreises, Dorothée Arden, und Kino-Betreiberin Vanessa Müller-Raidt schaffen den Mehraufwand, den eine sichere Platzvergabe bedeutet, nur gemeinsam, wie sie sagen: Sie können sich blind aufeinander verlassen. „Wir sind ein super Team!“ Sonst wären die Kronberger „Kulturhäppchen“, die den Daheimgebliebenen diesen Sommer beste Unterhaltung bieten, nicht zu stemmen. Auch fürs Kinoprogramm sei jeden Abend eine sorgfältige Saalplanung nötig, das erfordert Präzision und – viel Liebe zur Kunst. 50 Prozent liegen die Besucherzahlen unter denen des Vorjahres, so berichtet Müller-Raidt. Bravo und Chapeau für diesen Einsatz!

Als Zuschauer sitzt man euphorisch in den halbleeren roten Reihen, dankbar, einen der raren Plätze ergattert zu haben und wieder Kabarett erleben zu dürfen – endlich, nach sechs langen Monaten! Vollblut-Künstlerin Sabine Fischmann prescht im Sauseschritt auf die Kino-Bühne und jubelt: „Hallo, das ist echt so schön, Ihr seid echt!“ Applaus schallt ihr von den Fans entgegen. „Wir freuen uns so, Ihr seid keine Computer“ und so trällert sie gleich los mit dem Ohrwurm aus „La Boum“: „Streams are my reality – I streamed my loving in the night – only fantasy” – „so waren wir die letzten Monate drauf“. Aber jetzt sei alles anders: „Wir sind live!“

Das Wir ist sie selbst, die beliebte, bekannte und talentierte Pianistin, Sängerin und Kabarettistin mit Partner Ali Neander, Mitbegründer der Rodgau Monotones und einer der besten Gitarristen in Deutschland. Er ist der stoisch ruhende Pol zur quirligen Sabine Fischmann. Beide treten an diesem Abend an mit virtuos witzigem Musikkabarett und Corona-Lounge Musik. Das Virus schwingt selbstverständlich mit, aber es tut gut, es mal mit Humor zu nehmen …

Von der nächtlichen Ruhestörung durch Pubertierende im Hausarrest künden ihre Koloraturen à la Nina Hagen. Als nächstes lädt Fischmann mit Wellness-Stimme alle ein zu einer Beach-Meditation, in der ein Adonis den Wellen entsteigt, der die Hand einer „mageren, Größe 34“-Mutter von vier Kindern, nimmt und sie zum Tanz führt. Ihre Mimik ist so urkomisch wie zickig: Der Mann ist toll, die Frau Rivalin! Dazu spielt sie höchst virtuos eine verführerische Chopin-Ballade, die zum Träumen einlädt, und dann plötzlich übernimmt Ali Neander mit seiner akustischen Gitarre und aus dem Strandidyll wird eine Beach-Bar mit „Conga Beat“. Gloria Esteban hätte ihren Spaß gehabt. Fischmann ist ehrlich: Die Quarantäne forderte sie heraus – auch als Köchin, schließlich sei sie talentierter im Bau von Sandfilteranlagen für den Pool: „Kochen war ein relativer Erfolg“. Und so brüllte sie, als die Kinder sich verweigerten: „Ihr esst das jetzt“. „Eat it“ mit Melodica – eine herrlich rasante Hommage an Michael Jackson. Nicht nur das Essen, auch Beziehungen seien in Corona-Zeiten eine Herausforderung gewesen: „Zu viel Abstand oder zu viel Nähe, alles nicht so leicht.“ Empathisch schließt sie die mit ein, die unter der Einsamkeit litten, „die hatten es schwer.“ Ihr Song über Selbstbetrug handelt von einer einsam Liebenden, die unfähig ist, sich selbst und dem anderen ihre Liebe einzugestehen. „Du bist das Mousse au chocolat – und ich bin auf Diät“. Sabine Fischmann jongliert leicht und mühelos zwischen Lebensattitüden und Musikstilen. Als Absolventin der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt ist Klassik ihre Leidenschaft und so leitet sie mit der Musik von Mozart über zum eigentlichen „Corona-Song“: „Corona nox, bist a rechter Ox, Corona Notte, liebe Lotte…“ dem allseits bekannten, verbal eher derben Gute-Nacht-Kanon. Da man in Pandemiezeiten besser den Atem anhält, lädt Fischmann statt zum Mitsingen zum Mitklatschen ein. Was für eine Idee: Da sollen die einen klatschen und die anderen sich auf die Brust klopfen und klatschen – im Takt, versteht sich. Es entsteht ein herrliches Durcheinander und ein großer Spaß – sozusagen eine Kakophonie mit zwei Händen. Horrorgeschichten kann sie auch ganz gut singend erzählen mit rollenden Grusel-Augen – Ali Neander fasst sich schützend an den Hals: „Nachts geh ich aufs Ganze“ – mit Messer auf der Suche nach jungen Männern. Ganz anders das Normalo-Idyll im Doppelhaus: „Schon schön hier, Schatz“ seufzt sie. „Der Taunuswind mit Blick auf die Skyline – die 500 Mille haben sich gelohnt“ - und dann erwischt es sie doch, das beschwerliche „Homekindergardening“, das zum „Erziehungsfail“ für die hochbegabten Kinder (nach Ansicht der Eltern) wird. Sie ließ es sich nicht nehmen, so plaudert sie, auf dem Kongress für Hochbegabte den passenden Song vorzutragen, trotz starken Fiebers, aber ohne Corona: Sie positioniert sich klar gegen Eltern, für „die Durchschnitt keine Option ist“ und das, obwohl Fachleute sagen: „Ihr Kind ist ganz normal, nur Sie besonders dumm!“

Das Kind hat es auch in ihrer „Schneewittchen“-Version nicht leicht, es muss weg: „Märchen mit Groove, so erreicht man die Kids!“ Der Refrain: „Schneewittchen, du süßes Sahneschnittchen im Zwergenheim, du raffiniertes Flittchen…“ Das Publikum schmunzelt über so viel Ideenreichtum.

In voller Fahrt greift sie zur Luftgitarre und parodiert den Song „Der Tag, als Conny Kramer starb“ unterbrochen von Werbebotschaften, denn das sei die Zukunft der Kultur. Chio Chips und Lila Pause lassen grüßen – Hallelujah! Zum Abschluss ein Liebeslied, das zunächst von Trennung handelt, dann aber in massive Beleidigungen ausartet. „Ich schubs dich mit rein (in den Main) du arrogantes Schwein…(das alles) im Schein der EZB“. Auch im Programm Stoltze-Lokalpatriotismus vom Feinsten mit quirligem Samba und dem Gesang von Ali Neander: „O Francoforte, auf der Fressgass Champagner schlürfen… der Handkäs riecht und die Baukunst erträgst du nur mit Braukunst“ mit dem Refrain „Un es will merr net in mein Kopp enei: Wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!“

Sabine Fischmann ist Künstlerin mit Leib und Seele. Sie kann singen wie eine Diva, Klavier spielen wie eine Konzertpianistin und Melodica flöten wie eine Eins. Sie kann herzlich lachen und schluchzen, mit den Augen rollen und grinsen, dass es eine wahre Freude ist. Die Künstlerin, die vor praller Spielfreude nur so strotzt und ihr kongenialer Partner an der Gitarre freuen sich über den herzlichen Applaus. Im Geiste dabei ist auch Maria Mucke, die berühmte Sängerin und Fischmanns Lehrerin in Frankfurt, die im Mai 2018 in Kronberg gestorben ist. So endet der schillernde Abend besinnlich mit „LaLeLu“ und keiner singt mit – nur ein leises Summen ist zu hören. Jeder ist demütig und dankbar für die Stimme der Kunst, die hoffentlich bald wieder in voller Lautstärke ertönen und ein zahlreiches Publikum erfreuen darf.



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